# taz.de -- Lahav Shapira zu antisemitischem Angriff: „Ich hätte sterben kö… | |
> 2024 wurde der jüdische Student Lahav Shapira brutal verprügelt. Ein | |
> Gericht hat die Tat als antisemitisch verurteilt. Doch einige Wunden | |
> bleiben. | |
Bild: Lahav Shapira beim Prozess im Kriminalgericht Berlin-Moabit mit seinem Re… | |
taz: Herr Shapira, am Donnerstag ist [1][das Urteil gefallen]: Drei Jahre | |
hat der Täter Mustafa A. bekommen, ein Kommilitone von Ihnen an der Freien | |
Universität Berlin, der Sie im Februar 2024 aus einem [2][antisemitischen | |
Motiv] heraus brutal zusammenschlug. Sind Sie mit diesem [3][Urteil] | |
zufrieden? | |
Lahav Shapira: Wenn man bedenkt, dass jemand versucht hat, jemanden | |
umzubringen, dann ist das schwer zu sagen. Das Wichtigste war mir, dass das | |
antisemitische Motiv anerkannt wird und dass es eben nicht zu einer | |
Täter-Opfer-Umkehr kommt. Insofern bin ich zufrieden. Aber wir wissen noch | |
nicht, ob Mustafa A. in Berufung gehen wird. | |
taz: Drei Jahre Haft – das sind acht Monate mehr, als die | |
Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Hat Sie das überrascht? | |
Shapira: Eigentlich nicht, eher die geringeren Anforderungen der | |
Staatsanwaltschaft. Theoretisch wären bis zu vier Jahren möglich gewesen. | |
Aber die Höhe der Strafe ist mir eine Genugtuung. | |
taz: Manche Prozessbeobachter empfanden die Staatsanwaltschaft als zu | |
schwach, auch ihr Plädoyer. Wie sehen Sie das? | |
Shapira: Das sehe ich persönlich nicht so. Ich finde, dass alles Passende | |
gesagt wurde. Die Staatsanwaltschaft betonte das antisemitische Tatmotiv | |
von Anfang an. Ich bin froh, dass die Vorgeschichte berücksichtigt wurde. | |
taz: Im Gerichtssaal waren Sie wieder mit dem Täter konfrontiert. Wie war | |
das für Sie? | |
Shapira: Was mich gestört hat, war, dass er teilweise gegrinst hat, als er | |
sich zum Schluss entschuldigte. Da war keine Ernsthaftigkeit, obwohl der | |
Richter ihm sogar eine Tüte mit den Schrauben und Metallplatten zeigte, die | |
nach der OP aus meinem Gesicht entfernt werden mussten. Aber vor allem der | |
Verteidiger von Mustafa A. war eine Zumutung. | |
taz: Mustafa A. wurde von [4][Ehssan Khazaeli] vertreten, einem Anwalt, der | |
Verbindungen in die rechtsextreme Szene hat, wie die taz berichtete. | |
Shapira: Man fragt sich schon, wie der Alltag eines gebürtigen Iraners im | |
Nazi-Milieu aussieht. Aber das ist nichts Überraschendes: Mein Opa wurde | |
beim Olympia-Attentat 1972 von palästinensischen Terroristen ermordet, die | |
ihre Waffen auch von Nazigruppen in Deutschland hatten. Hass verbindet. | |
taz: Wie haben Sie den Verteidiger Khazaeli erlebt? | |
Shapira: Er wollte Druck aufbauen, auch medial. Ich fand seine Art arrogant | |
und aggressiv. Aber im Endeffekt hat seine Verteidigungsstrategie uns sogar | |
geholfen. Das hat der Richter auch gesagt. Mehr als ein Jahr habe ich auf | |
ein Urteil, auf Gerechtigkeit gewartet. Und das Erste, was im Gerichtssaal | |
passiert, ist, dass der Verteidiger mir einen Umschlag mit 5.500 Euro bar | |
als Vergleich anbietet. | |
taz: Im Ernst? | |
Shapira: Zunächst wurde mir 5.000 Euro angeboten, dann haben sie die Summe | |
um 500 Euro erhöht. Vielleicht dachte er, dass man Juden halt so überzeugt | |
– mit einem Umschlag voller Geld. Das war nichts anderes als eine Taktik: | |
Wenn der Täter dem Opfer eine Entschädigung anbietet, kann das | |
strafmildernd wirken. Wir haben gefordert, dass sein Mandant Antisemitismus | |
als Motiv anerkennt, was er nicht machen wollte. | |
taz: Warum war der Angriff aus Ihrer Sicht antisemitisch motiviert? | |
Shapira: Antisemitismus ist nicht nur dieses Nazi-Zeug mit der | |
„Judenrasse“. Es gibt verschiedene Formen. Der israelbezogene ist einer von | |
ihnen. Mustafa A. hat sich daran gestört, dass ich antisemitische Plakate | |
an der Freien Universität abgerissen habe. Auf seinem Handy wurde ein Video | |
aus der Tatnacht gefunden, mit dem Text „Musti hat diesen Judenhurensohn | |
totgeschlagen“. | |
taz: Auch ein Gruppenchat für Lehramtsstudierende an der FU, in der Mustafa | |
A. auch Mitglied war, war Gegenstand des Prozesses. | |
Shapira: Darin sieht man eine bunte Mischung: von „Juden beherrschen die | |
Welt“ und es gebe zu viele Juden an der Uni bis hin zu der Behauptung, ich | |
persönlich würde Whatsapp kontrollieren. Studierende haben eine Montage von | |
mir mit Hörnern gemacht. Sie schrieben, ich fände es gut, dass Kinder | |
sterben – und Babys insbesondere. Das LKA hat übrigens diese Chatverläufe | |
nicht ans Gericht übermittelt, sie hätten keine Zeit gehabt, sie | |
auszuwerten, hieß es. Am Ende haben wir sie als Beweismittel eingereicht. | |
Als die Nachrichten im Gericht vorgelesen wurden, hat der Richter gefragt, | |
ob das ernsthaft angehende Lehramtsstudierende sind, die andere so | |
angreifen. | |
taz: In den Wochen vor dem Angriff gab es eine regelrechte Hasskampagne | |
gegen Sie. Sie seien ein rechter Zionist, ein Provokateur. Können Sie das | |
nachvollziehen? | |
Shapira: Nein, ich persönlich habe nie Werbung für Netanjahu gemacht, ich | |
bin kein Patriot. Das Einzige, wogegen ich mich eingesetzt habe, sind | |
Gewaltaufrufe gegen Israelis und Juden sowie diese ganze Intifada-Rhetorik, | |
die fordert, Israel auszulöschen. Es ging nie darum, dass man Israel nicht | |
kritisieren darf. Doch das wird von diesen Aktivisten als störend | |
empfunden. Das nutzen sie aus, um Leute als Rassisten oder Aggressoren | |
abzustempeln. Man gilt als provokant, weil man sich gegen Antisemitismus | |
ausspricht. Und schnell machten Videos und Fotos von mir die Runde. Auch | |
das linke Medienportal „Red“ fertigte Clips an, die viral gingen. | |
taz: Provokant seien Sie vor allem, weil Sie Plakate heruntergerissen | |
haben. | |
Shapira: Ich habe extra darauf geachtet, dass ich nur Plakate mit | |
antisemitischen Aussagen niedergerissen habe – unter anderem von der | |
Organisation Young Struggle, die den 7. Oktober als Gefängnisausbruch | |
feiert. Da war unter anderem vom israelischem „Landraub“ die Rede. Plakate | |
mit rassistischen Zitaten von Ben-Gvir (Anm. d. Red.: der rechtsradikale | |
Sicherheitsminister Israels) habe ich nicht abgemacht. | |
taz: Würden Sie das heute noch mal tun? | |
Shapira: Wenn das antisemitische Plakate sind, ja. Auch das Gericht fand | |
das in Ordnung. | |
taz: Selbst nach dem Angriff auf Sie schrieb auf Instagram Udi Raz, | |
Vorstandsmitglied der antiisraelischen Aktivistengruppe „Jüdische Stimme“ | |
und Doktorandin an der FU, Sie seien ein „notorisch rassistischer Jude“, in | |
dem eine „satanische Seele“ lebe. Wie gehen Sie mit solchen Vorwürfen um? | |
Shapira: Udi Raz und diese Organisation sind nichts mehr als ein | |
Feigenblatt. Sie verbreiten Propaganda. Man kann sie nicht wirklich ernst | |
nehmen. Der einzige Weg, mit denen umzugehen, ist mit Strafanzeigen. Und | |
genau das habe ich bereits gemacht. | |
taz: Sie betreten nur noch mit Personenschützer den Campus. Fühlen Sie sich | |
von der Leitung der Freien Universität unterstützt? | |
Shapira: Nein. Die Uni-Leitung unternimmt fast gar nichts, deshalb klagen | |
wir sie an. Ihre Aussage ist, dass man nicht überall Sicherheitsleute | |
hinstellen kann. Ich weiß nicht, warum das das Einzige ist, was ihnen | |
einfällt, um jüdische Studierende zu schützen. Was besser geworden ist, | |
ist, dass Plakate und Schmierereien inzwischen schneller entfernt werden. | |
Aber ansonsten müssen wir immer die Uni darauf hinweisen, wenn Hetze wieder | |
stattfindet oder solche Veranstaltungen geplant sind. | |
taz: Im Oktober wurde die FU besetzt, schon wieder: Aktivist*innen | |
trugen Äxte, Sägen und Brechstangen mit sich und bedrohten | |
Uni-Mitarbeiter*innen. Vergangene Woche wurde wieder die | |
Humboldt-Universität besetzt: Ein historischer Hörsaal wurde mit roten | |
Dreiecken und Intifada-Parolen besprüht und verwüstet. Es gibt Schaden im | |
Wert von bis zu 100.000 Euro. Haben Sie das Gefühl, mit solchen | |
Aktivist*innen ist man bislang zu nachsichtig umgegangen? | |
Shapira: Definitiv. Was mich stört: Solche Aktionen werden von den | |
Aktivist*innen immer als so harmonisch dargestellt, obwohl sie den | |
Zugang zu Unigebäuden versperren und Menschen beleidigen und bedrohen. Und | |
auf der anderen Seite gebe es nur unverhältnismäßige Repression in einem | |
vermeintlichen Polizeistaat. Manche Dozent*innen und Professor*innen | |
– und zum Glück sind es wenige – solidarisieren sich sogar mit diesen | |
Aktivist*innen. | |
taz: Vier Personen – aus Irland, aus den USA und aus Polen – sollen nach | |
der FU-Besetzung nun des Landes ausgewiesen werden. Das wurden von vielen | |
als zu hart und auch rechtlich problematisch kritisiert, weil sie noch | |
nicht verurteilt worden sind. Wie sehen Sie das? | |
Shapira: Ich bin gegen Abschiebung und finde, dass erstmal ermittelt werden | |
soll. Und gegebenenfalls sollen dann verurteilte Täter hier in Deutschland | |
bestraft werden. Gleichzeitig soll man nicht so tun, als wären Personen, | |
die eigentlich nur Menschen bedrohen, irgendwie Kämpfer für die | |
Meinungsfreiheit. | |
taz: 14 Monate nach dem Angriff gegen Sie ist der Prozess nun endlich | |
vorbei. Wie hat sich Ihr Leben seitdem verändert? | |
Shapira: Ich hätte sterben können. Und ich bin immer noch mit Arztterminen | |
beschäftigt. Die Metallplatten wurden aus meinem Gesicht inzwischen | |
entfernt, aber meine linke Wange ist immer noch ein bisschen angeschwollen. | |
Es kann sein, dass sich wegen der OP Narben unter der Haut gebildet haben. | |
Ich wollte eigentlich nur mein Studium bewältigen, der Angriff belastet | |
mich aber bis heute sehr. Zum Glück habe ich viele liebe Menschen um mich | |
herum, auch meine Partnerin, die ich in der Zwischenzeit kennenlernte. | |
Jetzt will ich einfach meine Bachelorarbeit anmelden, die ich nachholen | |
muss. | |
23 Apr 2025 | |
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