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# taz.de -- Hochschullehrende über Antisemitismus: „Es fehlt an Schutz und k…
> Roglit Ishay und Marina Allal vom Netzwerk Jüdischer Hochschullehrender
> über Antisemitismus, Unsicherheit und verbindliche Regelungen an
> deutschen Unis.
Bild: „Fridays for Israel“: Protest gegen Antisemitismus 2024 vor der Berli…
taz: Mehr als ein Jahr nach den Anschlägen vom 7. Oktober gibt es immer
wieder Studierendenproteste und Hörsaalbesetzungen. Welche Auswirkungen
haben diese Vorfälle auf Studierende und Lehrende?
Marina Allal: An der FU herrscht Unsicherheit. Studierende berichten von
Demonstrationen, Plakaten mit Hamas-Symbolen, täglichem Antisemitismus. Es
fehlt an Schutz und klaren Strukturen. Eine Studentin schrieb mir: „Und
täglich grüßt der Antisemitismus.“ Viele fühlen sich von der
Hochschulleitung im Stich gelassen.
Roglit Ishay: Das betrifft nicht nur Berlin, sondern auch Freiburg,
Frankfurt und andere Universitäten. Viele jüdische Studierende und
Lehrkräfte vermeiden es, sich zu outen. Sie hoffen, das Studium schnell
abzuschließen, ohne aufzufallen. Wir wissen oft gar nicht, dass sie da
sind, weil sie sich unter dem Radar halten müssen. Es fehlt an Rückhalt und
Schutz durch die Hochschulen. Und ich rede nicht nur von Studierenden, ich
rede auch von Lehrkräften. Das sehen wir in unserem Netzwerk, dass es genug
gibt, von denen niemand weiß, dass sie jüdisch sind, vor allem nicht die
Studierenden. Wir haben alle Angst.
taz: Bei einem Vorfall an der Kunsthochschule Kassel wurden zuletzt bei
einer Ausstellung Hamas-Terroristen verherrlicht. Müssen Hochschulleitungen
entschiedener handeln?
Allal: Ja. Oft wird ein Zickzackkurs gefahren: Mal wird eingeschritten,
dann weicht man vor Protesten zurück. Die Haltung ist nicht klar genug. Es
fehlen Strukturen wie Antisemitismusbeauftragte und klare Prozesse zur
Reaktion auf Vorfälle. Hochschulen müssen klare Kante gegen Antisemitismus
zeigen, statt zögerlich zu reagieren.
Ishay: Oft wird Antisemitismus als Meinungsfreiheit missverstanden. Niemand
würde Neonazis oder Gegner von Frauenrechten an Unis dulden, aber wenn es
um Antisemitismus geht, wird es plötzlich toleriert. Das ist eine
Doppelmoral, die nicht akzeptabel ist.
taz: Sehen Sie regionale Unterschiede?
Allal: In Berlin verbünden sich pro-palästinensische mit linken
Splittergruppen. Viele der Akteure sind keine Studierenden, sondern
wechseln von Uni zu Uni. Die Symbolkraft ihrer Aktionen wird unterschätzt.
[1][Viele Hochschulleitungen unterschätzen auch, wie bedrohlich die
Situation für jüdische Studierende ist.]
taz: Die TU München ließ eine Hörsaalbesetzung räumen, während andere Unis
gesprächsoffen blieben. Was ist der richtige Umgang?
Ishay: Die TU München hat richtig gehandelt. Es kann keinen Dialog mit
vermummten pro-Hamas-Aktivisten geben, die „Hamas Habibi“ und „Tötet die
Kolonialisten“ rufen. Antisemitismus kann nicht als legitime politische
Position behandelt werden.
taz: Auch Meinungsfreiheit wird thematisiert, etwa bei der Absage von
Francesca Albaneses Vortrag an der LMU München. Ist es nicht wichtig, die
akademische Freiheit hochzuhalten?
Ishay: Die Absage der LMU ist der richtige Weg. Dafür müssen erst einmal
die Unileitungen verstehen, dass etwas falsch ist. Das ist, glaube ich, der
Kern des Problems: Sie akzeptieren nicht, dass es sich um israelbezogenen
Antisemitismus handelt – und nicht um legitime politische Kritik oder
Meinungsäußerung. Während Frauen- oder LGBTQ+-Feindlichkeit aktiv bekämpft
wird, bleiben sie gleichgültig, schweigen und tun nichts, wenn es um uns
jüdische Menschen geht. Unsere Sicherheit und unser Leiden unter
Antisemitismus werden von den Universitäten grundsätzlich nicht ernst
genommen – wir werden nicht einmal dazu befragt, sondern als übertreibend
oder dramatisierend wahrgenommen. Insgesamt bin ich nicht sicher, ob sich
überhaupt etwas ändert – selbst wenn wir deshalb Deutschland verlassen,
Angst haben, bestimmte Kurse zu besuchen oder uns gar nicht mehr auf den
Campus trauen. Für die Hochschulen scheint es vor allem darum zu gehen,
ihren Ruf nicht zu beschädigen und die Meinungsfreiheit – auch auf Kosten
unserer Sicherheit – zu wahren.
Allal: An der Freien Universität Berlin wurde Francesca Albanese ebenfalls
von einzelnen Professor*innen für einen Vortrag am 19. Februar
eingeladen. Die Wissenschaftssenatorin Berlins stufte Albaneses frühere
Äußerungen als eindeutig antisemitisch ein. Der Vortrag wurde vom Präsidium
der FU aufgrund erheblicher Sicherheitsbedenken abgesagt und der Präsident
verwies in einer Sitzung des Akademischen Senats zurecht darauf, dass
Wissenschaftsfreiheit nicht von Verfassungstreue entbindet. Leider wurde
innerhalb der Universität das antisemitische Potenzial der geplanten
Veranstaltung nicht immer gesehen, stattdessen eine Einschränkung der
Wissenschaftsfreiheit befürchtet. Hier gilt es die richtige Balance
zwischen Meinungsfreiheit, Wissenschaftsfreiheit und einer entschiedenen
Bekämpfung von Antisemitismus zu finden.
taz: Von Cancel Culture waren auch jüdische und israelische Intellektuelle
betroffen. Zuletzt etwa [2][der Historiker Benny Morris,] dessen Vortrag an
der Universität Leipzig abgesagt wurde. Oft begründen die Hochschulen
solche Absagen mit dem Argument, dass es für die Veranstaltungen
Sicherheitbedenken gebe.
Ishay: Ich glaube, das Argument „Mangel an Sicherheitsmaßnahmen“ ist eine
Ausrede. In jüdischen Gemeinden finden ständig Veranstaltungen statt, und
wir fühlen uns sicher. Es mag eine Geldfrage sein, aber das müsste es den
Unis wert sein. Ich glaube, die Universitätsleitungen haben einfach keine
Lust auf Proteste und Kontroversen und wollen lieber alles ruhig halten –
vor allem, damit ihr Ruf nicht beschädigt wird. Es ist eine Mischung aus
falsch verstandenem Liberalismus und einer Scheu, Klartext zu reden.
Außerdem gibt es leider auch Tendenzen, pro-Hamas-Propaganda oder offen
antisemitische Referenten einzuladen, während gleichzeitig diejenigen
ausgeladen werden, die kritisch Stellung beziehen.
Allal: Der Vortrag von [3][Emilia Roig] an der FU Berlin ist ein Beispiel
dafür. Auf einer gezeigten Power Point wurde in der Folienabfolge Theodor
Herzl mit Europas Rechtsradikalen verglichen, eine völlig anachronistische
und nicht haltbare Gleichsetzung. Gleichzeitig wurde eine geplante
Veranstaltung wie die Ausstellung „The Vicious Circle“ über antisemitische
Pogrome von der NS-Zeit bis heute abgesagt, unter anderen mit der
nachträglichen Begründung, dass eine Darstellung antisemitischer Pogrome zu
unterschiedlichen Zeiten unter Umständen als eine Form der
Holocaust-Relativierung verstanden werden könnte. In Wirklichkeit aber
findet die Relativierung der Shoah an anderer Stelle statt. Etwa wenn der
Genozid-Begriff pauschal im Zusammenhang mit Gaza geführt wird. Wenn auf
diese Weise eine latente Holocaust-Relativierung stattfindet, wird das zu
selten als Problem wahrgenommen.
taz: Spiegelt die Protestintensität die Lage im Nahost wider? Wird es bei
einem Ceasefire in Gaza oder der Waffenruhe im Libanon etwa ruhiger?
Ishay: Nein. Diese Proteste sind nicht spontan, sondern organisiert und
finanziert. Manche vermuten iranische Unterstützung, aber belegen kann ich
das nicht. Klar ist jedoch, dass viel Geld und logistische Planung
dahinterstecken.
Allal: Bestimmte Gruppen nutzen jede Gelegenheit, um ihre Narrative zu
verbreiten. Daran ändert auch ein Waffenstillstand nichts, so begrüßenswert
er ist. Der harte Kern protestiert weiter und sucht neue Bündnisse. Es geht
allerdings nicht darum, Proteste aus den Universitäten zu verbannen. Es ist
verständlich, dass junge Menschen angesichts eines furchtbaren Krieges
etwas bewegen wollen. Sie sollten das tun, ohne sich antisemitischer Bilder
zu bedienen oder auf andere Studierende bedrohlich zu wirken. Dazu möchte
ich auf den jüngsten Lagebericht „Antisemitismus an deutschen Hochschulen“
der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) verweisen.
taz: Wie bewerten Sie den [4][Bundestagsantrag zu Antisemitismus an
Hochschulen]?
Allal: Er beschreibt die Probleme treffend und zeigt Maßnahmen auf.
Hochschulen müssen endlich verstehen, dass sie hier eine klare
Verantwortung tragen und alle Formen der Ausgrenzung bekämpfen müssen.
Ishay: Er ist symbolisch wichtig, aber nicht bindend. Es braucht
verbindliche Regelungen, um Sicherheit zu gewährleisten. Solange alles
freiwillig bleibt, wird sich wenig ändern.
22 Mar 2025
## LINKS
[1] /Angriff-nach-Antisemitismus-Vorlesung/!6071589
[2] /Morris-ueber-israelische-Staatsgruendung/!5997388
[3] /Abwege-des-Aktivismus-in-der-Kunst/!5971023
[4] /Protest-gegen-Hochschulresolution/!6062136
## AUTOREN
Chris Schinke
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