| # taz.de -- Historiker zu Antisemitismus an Schulen: „Der Lehrer steht ratlos… | |
| > Schulen sollen entschieden gegen Antisemitismus vorgehen. Doch viele | |
| > Lehrkräfte sind damit überfordert, sagt der Geschichtsprofessor Tobias | |
| > Arand. | |
| Bild: Was tun, wenn jüdischen Schüler*innen die Mär der „Globalist*innen�… | |
| taz: Herr Arand, Sie haben an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg ein | |
| Studienprofil für antisemitismuskritische Bildungsarbeit mitgegründet. | |
| Warum? | |
| Tobias Arand: Antisemitismus ist an deutschen Schulen ein Problem und das | |
| nicht erst seit dem [1][Hamas-Terror vom 7. Oktober] 2023. Dieser Befund | |
| gilt für die offen judenfeindliche Form genauso wie für die [2][verdeckte | |
| Variante als vermeintliche „Israelkritik“]. Im Bereich der schulischen | |
| Bildung findet bisher noch eher wenig Präventionsarbeit gegen | |
| Antisemitismus statt und Lehrkräfte erkennen Vorfälle häufig nicht als | |
| solche. Genau dieses Erkennen ist aber nötig, um handeln zu können. Da | |
| setzen wir an. | |
| taz: Es geht einfach darum, dass Lehrer*innen mehr über Antisemitismus | |
| wissen? | |
| Arand: Das Verhalten von Lehrkräften bei antisemitischen Vorfällen ist oft | |
| schlicht Unterlassung. Nicht aus Bosheit, sondern eher aus Hilflosigkeit, | |
| aus mangelnder Kompetenz oder weil Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten | |
| fehlt. Ein Schüler sagt in abwertender Absicht zum anderen: Du Jude! Und | |
| der Lehrer steht aus den genannten Gründen ratlos daneben. | |
| taz: Wirklich? | |
| Arand: Wir haben unseren Lehramtsstudierenden eine Rede von [3][Björn | |
| Höcke] gezeigt und sie gefragt, was sich dahinter verbirgt, wenn er von | |
| [4][„globalisierten Eliten“] redet. Nur wenige erkannten, dass Höcke damit | |
| codiert vom vermeintlichen „Weltjudentum“ spricht und damit antisemitische | |
| Stereotype bedient. In der rechtsextremen Szene wird das aber verstanden, | |
| deshalb sollten Lehrer diese Codes und Taktiken auch kennen. Dass selbst | |
| unsere angehenden Geschichtslehrer und -lehrerinnen solche Probleme hatten, | |
| Höckes perfide Propaganda zu erkennen, hat uns beunruhigt. | |
| taz: Mal angenommen, ein Schüler redet von „globalisierten Eliten“ und | |
| seine Lehrerin erkennt darin den codierten Antisemitismus. Was tut sie als | |
| nächstes? | |
| Arand: Der erste Schritt ist zu signalisieren: Stopp. Wir reden jetzt | |
| darüber. Die allermeisten Fälle an Schulen passieren aus Unkenntnis der | |
| Kinder und Jugendlichen. Antisemitische Stereotype sind meistens | |
| unreflektiert aus der Familie übernommen, aus der Clique oder den sozialen | |
| Netzwerken. Der Schüler weiß oft nicht wirklich, was er sagt. Dabei gilt | |
| es, beide Seiten ernst zu nehmen, ohne die bei Rechtsextremen beliebte | |
| Täter-Opfer-Umkehr mitzuspielen. Für viele Schüler wird es schon eine | |
| wertvolle Erfahrung sein, dass die Lehrkraft das Verhalten anspricht und | |
| gegebenenfalls sanktioniert, statt es einfach zu ignorieren. | |
| taz: Erkennen und Reden reicht? | |
| Arand: Es gibt keinen Knopf, den Lehrkräfte drücken können, damit der | |
| Antisemitismus verschwindet. Wir glauben an die aufklärerische Idee, dass | |
| Bildung die Menschen verändert. Je mehr jemand weiß, desto kleiner ist die | |
| Chance, dass er antisemitische Vorfälle übersieht oder begeht, und desto | |
| besser kann er erklären, warum es falsch ist, das Wort „Jude“ als | |
| Beleidigung zu benutzen. Da aber jeder Fall individuell ist und auch viel | |
| von persönlichen Beziehungen abhängt, ist es schwierig, Patentrezepte zu | |
| vermitteln. | |
| taz: Bisher haben wir über die Reaktion von Lehrkräften auf antisemitische | |
| Vorfälle gesprochen. Welche Rolle spielt der Unterricht für den Kampf gegen | |
| Antisemitismus? | |
| Arand: Die Schule ist eine Schlüsselinstitution. Jeder und jede muss sie | |
| durchlaufen, deswegen kann man hier gut ansetzen, wenn man Antisemitismus | |
| in der ganzen Gesellschaft bekämpfen will. Aber das deutsche Schulsystem | |
| ist im Moment nicht sehr gut darin, Wissen über Judentum und Antisemitismus | |
| zu vermitteln. | |
| taz: Das zeigt ja allein schon das Beispiel Ihrer Studierenden und der | |
| Höcke-Rede … | |
| Arand: Auch das lässt sich ändern, indem wir künftige Lehrkräfte in diesem | |
| Themengebiet weiterbilden. Wir folgen dabei einem interdisziplinären | |
| Ansatz. Es gibt Veranstaltungen mit Dozenten aus der | |
| Geschichtswissenschaft, Soziologie und Politologie, aber auch aus der | |
| christlichen und islamischen Religionspädagogik. Ein Kollege hat in seiner | |
| Lehrveranstaltung etwa über die letzte Documenta gesprochen und an diesem | |
| Beispiel Antisemitismus im linken Milieu thematisiert. Den gibt es ja auch | |
| und das nicht nur im globalen Süden, wie sich in Kassel gezeigt hat. Ich | |
| selbst gebe Seminare zur jüdischen Emanzipation im 19. Jahrhundert, um auch | |
| mal über mögliche Gelingensmomente der deutsch-jüdischen Geschichte zu | |
| sprechen. | |
| taz: Ist das wirklich relevant für den Kampf gegen Antisemitismus heute? | |
| Arand: Es gibt so viele aktive Beiträge von Juden zur deutschen Kultur: Da | |
| sind zum Beispiel Moses Mendelssohn und Felix Mendelssohn Bartholdy, Kafka | |
| oder [5][Hannah Arendt]. Wir müssen aufhören, Juden im Unterricht immer nur | |
| als Opfer von Holocaust oder Pogromen darzustellen und damit noch einmal zu | |
| viktimisieren. Ich denke, dass es einen Zusammenhang zwischen diesem | |
| Opfernarrativ und der Verwendung des Wortes ‚Jude‘ als Schimpfwort gibt. | |
| taz: Bisher haben in fünf Semestern rund 100 Studierende die | |
| Veranstaltungen aus Ihrem Studienprofil besucht. Ist das genug? | |
| Arand: Ich bin stolz auf unsere Studenten und Studentinnen, sie besuchen | |
| das Studienprofil immerhin zusätzlich zu ihrem regulären Studium. Wir | |
| verstehen diese jungen Leute als Multiplikatoren. Unsere Absolventen reden | |
| ja später auch mit ihren Kollegen und können vielleicht auch da noch etwas | |
| anstoßen. Wir hoffen auf einen Schneeballeffekt. | |
| taz: Der Bundestag hat zuletzt in einer Resolution gefordert, dass jede | |
| Lehrkraft im Studium mit dem Thema Antisemitismus in Berührung kommt. | |
| Arand: Das ist eine gute Idee, aber im Moment illusorisch. Es müssten | |
| unfassbar viele Dozenten eingestellt werden. Und Geld ist im Bildungssystem | |
| immer knapp. Die politische Bereitschaft, daran etwas zu ändern, hat | |
| Grenzen. | |
| taz: Die Länder sind zu knausrig? | |
| Arand: Steuermittel wollen überlegt eingesetzt werden. Aber wir sind als | |
| Abteilung Geschichte mit den anderen beteiligten Fächern der Hochschule in | |
| erhebliche Vorleistung gegangen, indem wir das Studienprofil neben unserem | |
| eigentlichen Deputat stemmen. Auch wenn Geld allein keine Lösung ist und es | |
| viel persönliche Initiative und Ideen braucht, benötigen wir mittelfristig | |
| Mittel vom Land Baden-Württemberg. Die Landesregierung betont ja selbst | |
| oft, wie wichtig der Kampf gegen Antisemitismus ist. Wir freuen uns über | |
| alles, was das Land Baden-Württemberg anbieten könnte, um uns im Kampf | |
| gegen Antisemitismus zu unterstützen. | |
| taz: Was müsste die Politik noch tun? | |
| Arand: Es braucht eine systematische Überprüfung der Bildungspläne und | |
| damit auch der Schulbücher. Bislang erzählen wir den Kindern und | |
| Jugendlichen eindimensionale und stellenweise schlicht falsche Geschichten | |
| über das Judentum. Und wie gesagt: Es wäre schön, wenn die Politik erkennen | |
| würde, dass es zur Umsetzung ihrer oft sinnvollen Appelle eben auch | |
| Unterstützung braucht. | |
| taz: Nochmal zurück zum Inhaltlichen: Warum geht es in Ihrem Studienprofil | |
| eigentlich nicht auch um Rassismus, der ja mit dem Antisemitismus verwandt | |
| ist? | |
| Arand: Diesen Einwand hören wir immer wieder. Natürlich ist der Kampf gegen | |
| Rassismus wichtig. Aber wir wollen unser Programm nicht überfrachten. Und | |
| wir wollten eine Politisierung des Programms verhindern, die bei Begriffen | |
| wie „Race“ und „Gender“ zwangsläufig folgt. Dazu kommt, dass | |
| Forschungsergebnisse zeigen, dass beide -ismen keineswegs identische | |
| Wurzeln haben und die Prävention deshalb differenziert sein muss. | |
| taz: Ist die Auseinandersetzung mit Antisemitismus nicht automatisch | |
| politisch? | |
| Arand: Uns geht es um Meinungsvielfalt und religiöse Toleranz. Das ist | |
| natürlich politisch, bei all diesen Begriffen kann man ja darüber streiten, | |
| was genau darunter zu verstehen ist. Und dem stellen wir uns auch. Dennoch | |
| liegt unser Fokus eben auf der Ausbildung künftiger Lehrkräfte. Um die aus | |
| meiner Sicht durchaus antisemitisch aufgeladene Diskussion, ob Israel laut | |
| postkolonialer Theorien ein angeblicher ‚weißer Siedlerstaat‘ ist, können | |
| sich gern andere kümmern. | |
| 1 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Frederik Eikmanns | |
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