| # taz.de -- Club-Projekt gegen Übergriffe in Hamburg: Alltagsgewalt auf der Re… | |
| > Queerfeindliche, rassistische und sexualisierte Übergriffe kommen auf der | |
| > Hamburger Reeperbahn immer wieder vor. Clubs haben für Betroffene eine | |
| > Anlaufstelle geschaffen. | |
| Bild: Gläserne Anlaufstelle auf dem Kiez: Wer Gewalt erfahren hat, kann hier h… | |
| Hamburg taz | Jedes Jahr zieht es etwa 30 Millionen Menschen auf die | |
| Reeperbahn im Hamburger Stadtteil St. Pauli – und jeden Tag kommt es dort | |
| zu Gewalt, Belästigungen und Übergriffen. Um allen, die auf dem Kiez | |
| Übergriffe erlebt haben, in den Abendstunden eine Anlaufstelle zu bieten, | |
| hat die Initiative „TBA – To be aware“ vom Hamburger Clubkombinat das | |
| Projekt [1][„WTF – What The Fear“] ins Leben gerufen. „Wir leben in | |
| Stukturen, in denen wir denken, dass das alles normal ist“, sagt Anna | |
| Lafrentz, Mitgründerin und Projektleiterin von WTF. „Aber das ist nicht | |
| normal.“ | |
| Eigentlich setzt sich das [2][Clubkombinat] als Sprachrohr von | |
| Veranstalter:innen, Clubbetreiber:innen und Booker:innen für die | |
| Interessen der Hamburger Livemusik-Szene ein. Doch nun wollen sie ihr | |
| Engagement erweitern und dem ganzen Partyviertel Gehör verschaffen und ein | |
| Schutzkonzept erarbeiten. | |
| Schon zuvor hatte sich die [3][Initiative TBA] mit Schutzkonzepten | |
| beschäftigt – allerdings bisher nicht für ein ganzes Ausgeh-Viertel. „Dann | |
| dachten wir uns: Wir setzen uns mit einem Container einfach mal mitten | |
| rein“, erklärt Lafrentz. Die Reeperbahn sei schließlich ein Ort, an dem zu | |
| verschiedenen Uhrzeiten verschiedenste Interessen miteinander verschmelzen. | |
| Neben der Club- und Kulturszene, [4][den Feiernden und Anwohner:innen], | |
| gebe es auch Personen, die gar nicht erst dorthin kämen. Denn „St. Pauli | |
| ist für sie kein sicherer Ort“, betont die 37-jährige Kulturmanagerin. | |
| Ansprechen möchte die Initiative vor allem Menschen, die selbst Gewalt und | |
| Diskriminierung erfahren haben – aber auch potentielle und vergangene Täter | |
| sollen sich beim WTF-Container beraten lassen können. | |
| Schon die 90 Meter lange Bauzaun-Fassade soll auf alltägliche Fälle von | |
| Übergriffen, aber auch Zivilcourage rund um die Reeperbahn aufmerksam | |
| machen. „Mein Outfit ist keine Einladung“, „Soll ich dir ein Taxi rufen?�… | |
| und „Ich habe Nein gesagt!“ ist auf der bunten Wand am Spielbudenplatz | |
| unter anderem zu lesen. Damit wolle man Menschen dazu bewegen, sich aktiv | |
| mit dem Thema auseinanderzusetzen, ohne vorwurfsvoll zu sein. „Es geht | |
| nicht um Schuld, sondern um Verantwortung“, so Lafrentz. Für die | |
| niedrigschwellige und unmittelbare Aufklärung hat die Initiative auf ihrem | |
| Büro-Container mehrere Plakate angebracht, die über Diskriminierungsformen | |
| aufklären sollen. | |
| Falls Betroffene nicht persönlich über ihre Erlebnisse sprechen möchten, | |
| können Anfeindungen oder Grenzverletzungen alternativ [5][anonym online | |
| gemeldet] werden. Eine unmittelbare Beratungs- oder Anlaufstelle für | |
| Menschen in akuten Notlagen sei der Container allerdings nicht, sagt | |
| Lafrentz. Dafür fehle es an nötigen Strukturen und Fachpersonal. | |
| Dennoch arbeite vor Ort ausgebildetes Personal, das Betroffenen einen | |
| Erstkontakt biete und an geeignete Beratungsstellen weiterverweisen könne. | |
| Hier wollen sie vor allem mit den Daten und Berichten allgemeine und | |
| zielgruppenspezifische Schutzkonzepte für das gesamte Vergnügungsviertel | |
| erarbeiten, an denen sich vor allem Clubbetreiber:innen orientieren | |
| können. | |
| In diesem Bereich sei noch einiges zu tun, meint Lafrentz, denn im Kontext | |
| von Übergriffen und Gewalt auf der Reeperbahn denken die meisten sofort an | |
| sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen. Diese Fälle gebe es auf dem Kiez | |
| zwar sehr häufig, aber es sei eben nicht nur Sexismus, der das Nachtleben | |
| auf St. Pauli prägt. Es gebe auch rassistische Türkontrollen oder | |
| wohnungslose Menschen, die „häufig beklaut, bespuckt und angegriffen | |
| werden“, so Lafrentz. „Viele Geschichten, die uns Betroffene erzählt haben, | |
| konnten wir erst einmal selbst nicht glauben.“ | |
| Gewalt fange nicht erst bei physischen Schlägen an, auch verbale Gewalt und | |
| internalisierte Verhaltensweisen können verletzend oder diskriminierend | |
| sein. „Ich muss kein Nazi sein, um rassistisches Verhalten zu zeigen“, | |
| betont Projektleiterin Lafrentz. Diese Form von unterbewusster Gewalt müsse | |
| deswegen „ganz ohne Zeigefinger oder Angriffe“ sichtbar gemacht und „mit | |
| radikaler Ehrlichkeit“ erklärt werden. „Ich glaube, dass wir als Menschen | |
| dazu imstande sind, denn am Ende profitieren wir alle von sozialer | |
| Gerechtigkeit.“ | |
| Das für die Reeperbahn zuständige Polizeikommissariat steht mit den | |
| Initiator*innen des Projekts des Clubkombinats in Verbindung und | |
| begrüße „diese zivilgesellschaftlichen und behördenübergreifenden sowie | |
| gesamtgesellschaftlichen Bemühungen um Awareness“, sagte ein | |
| Polizeisprecher auf Anfrage der taz. Solche Projekte seien wichtig, „um | |
| Vorurteile abzubauen, Empathie zu fördern und langfristig Veränderungen | |
| anzustoßen“. | |
| ## Bewusst auf der Seite der Betroffenen | |
| Die WTF-Initiative agiert bewusst parteilich auf der Seite der Betroffenen, | |
| erklärt Lafrentz: „Wir stellen erst einmal nichts in Frage.“ Anders als die | |
| Polizei, die eine andere Aufgabe als das WTF-Projekt habe. Die | |
| Trauma-sensible Arbeit, die sie leisten wollen, sei „im System Polizei auch | |
| gar nicht vorgesehen“, so Lafrentz. Dennoch befinde man sich in | |
| „kooperativer Kommunikation.“ | |
| Ab dem 3. August soll die Meldestelle am Spielbudenplatz wieder abgebaut | |
| werden, dann endet das von der Kulturbehörde geförderte Pilotprojekt | |
| vorerst. Die Arbeit sei allerdings noch nicht zu Ende, sagt Lafrentz. Neben | |
| einem langfristigen Projekt auf der Reeperbahn, könne sie sich auch gut | |
| vorstellen, ähnliche Anlaufstellen in verschiedenen Hamburger Stadtteilen | |
| zu platzieren, um [6][ortsspezifische Schutzkonzepte] zu erarbeiten. Denn | |
| auch dort komme es zu Gewalt und Diskriminierungserfahrungen. „Es sind die | |
| gesellschaftlichen Missstände und keine Missstände der Reeperbahn, die ein | |
| solches Verhalten produzieren.“ | |
| 8 Jul 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://wtf-stpauli.org/ | |
| [2] https://clubkombinat.de/ | |
| [3] https://tobeaware.org/ | |
| [4] /Auf-dem-Kiez-ist-es-zu-laut/!6007290 | |
| [5] https://wtf-stpauli.org/meldestelle/ | |
| [6] /Konzerte-in-Berlin/!5943774 | |
| ## AUTOREN | |
| Quirin Knospe | |
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