# taz.de -- Hamburger Reeperbahn: Bürgerbeteiligung in die Tonne getreten | |
> Die Pläne für ein neues Quartier an der Hamburger Reeperbahn landen zum | |
> größten Teil im Papierkorb. Subkultur wird hier doch keinen Platz | |
> bekommen. | |
Bild: Hier wird wohl nichts draus: Visualisierung des Palomaviertels nach den P… | |
Hamburg taz | Kletterwand am Hochhaus – ersatzlos gestrichen, Stadtbalkon – | |
ersatzlos gestrichen, Subkultur- und Nacharschaftscluster – ersatzlos | |
gestrichen: An der Hamburger Reeperbahn droht eines der interessantesten | |
Stadtentwicklungs- und Bürgerbeteiligungsprojekte der Republik zu | |
scheitern. | |
Wie der Hamburger Senat jetzt der Fraktion der Linken in der Bürgerschaft | |
im Einzelnen bestätigt hat, werden die meisten Ideen aus einem aufwändigen | |
Beteiligungsverfahren für das Neubauquartier Palomaviertel nicht umgesetzt. | |
Der Charme des Projekts bleibt damit auf der Strecke. „Der neue Entwurf | |
wird dumm, brutal und teuer“, urteilte die Planbude, die den | |
Beteiligungsprozess organisiert hatte. | |
Gegenstand des Streits ist ein großes Grundstück an der Reeperbahn, auf dem | |
bis vor elf Jahren Hochhäuser mit billigen, allerdings baufälligen | |
Mietwohnungen standen. Eine Bürgerinitiative hatte versucht, die | |
„Esso-Häuser“ – genannt nach der benachbarten Tankstelle – im Sinne der | |
Mieter zu erhalten. Stadtteilaktivisten organisierten Proteste, an deren | |
Ende der Bezirk Mitte schließlich die Planbude aufschlagen ließ. | |
## Vorbild war ein Nachbarschaftspark am Hafenrand | |
Vorbild war ein Beteiligungsprojekt am anderen Ende von St. Pauli, wo ein | |
Nachbarschaftspark am Hafenrand nach Ideen der Anwohnerschaft gestaltet | |
wurde. Die „kollektive Wunschproduktion“ war als Kunstprojekt angelegt, das | |
dessen Initiator [1][Christoph Schäfer 2002 auf der Documenta 11 in Kassel | |
vorstellte]. | |
Ergebnis der Planbude war ein kleinteiliges, stark durchmischtes Quartier, | |
das die Struktur St. Paulis aufgreifen sollte – den St. Pauli-Code, wie | |
Schäfer das nannte. Dabei geht es um eine kleinteilige Strukturen, die | |
Verschränkung öffentlicher und mehr oder weniger privater Räume, Räume für | |
Kleingewerbe und Clubs, für nachbarschaftliche Begegnungen und Sport, nicht | |
zuletzt und Wohnungen aber auch Platz für ein Hotel – schließlich plante | |
man ja für die Reeperbahn. | |
Der Druck der Öffentlichkeit und das Ergebnis dieses Beteiliungsverfahrens | |
überzeugten auch den Investor Bayerische Hausbau. Der [2][städtebauliche | |
Wettbewerb im Anschluss an die Bürgerbeteiligung] endete 2015 mit einem | |
einstimmigen Ergebnis. „Ein kleinteiliges Gesamtkonzept, das | |
Aneignungsmöglichkeiten bietet“, lobte die Initiative Esso-Häuser den | |
Entwurf. Und der Investor Bayerische Hausbau sah seine „Ansprüche an die | |
Wirtschaftlichkeit der Neubebauung erfüllt“. | |
Eben Letzteres hat sich allerdings mit den explodierenden Baupreisen und | |
steigenden Finanzierungskosten nicht zuletzt in Zusammenhang mit der | |
Corona-Pandemie geändert. Die Bayerische Hausbau verschleppte das Projekt, | |
bis Ende vergangenen Jahres unter tatkräftiger Nachhilfe des Senats [3][das | |
städtische Wohnungsunternehmen Saga und der Privatinvestor Quantum das | |
Areal kauften und die Wunschliste zusammenstrichen]. | |
Ihr Plan sieht nur noch Sozialwohnungen vor, dafür aber ein doppelt so | |
großes Hotel. Nach der Liste, die der Senat der Linken übermittelt hat, | |
soll es zwar zwei Räume für Musikclubs geben, aber keine Räume für | |
Subkultur. Das vorgeschlagene Hostel ist gestrichen; für „stadtteilaffine | |
Nutzungen“ sind noch 213 Quadratmeter vorgesehen. Das geplant Rauhe und | |
Kleinteilige, das dem Quartier Leben einhauchen sollte, bleibt auf der | |
Strecke. | |
„Die große Herausforderung beim Paloma-Viertel ist es, die Planungen unter | |
den geänderten Marktbedingungen überhaupt umsetzen zu können“, rechtfertigt | |
sich die SPD-geführte Stadtentwicklungsbehörde. Erst nach langen | |
Verhandlungen und durch den Einsatz öffentlicher Mittel sei es gelungen, | |
aus dem Paloma-Viertel ein tragfähiges Vorhaben zu machen. | |
## St. Pauli-Code in die Tonne getreten | |
Ein Projekt mit ausschließlich geförderten Wohnungen, mit | |
Gemeinschaftsflächen, und einem kompletten Gebäude nur für die | |
Kreativwirtschaft mitten in der Stadt abzusichern – das sei auch für | |
Hamburg außergewöhnlich. „Nach jahrelangem Stillstand wurde damit endlich | |
eine gangbare Lösung gefunden, die weiten Teilen der Bevölkerung | |
zugutekommt“, schreibt die Behörde. | |
„Es darf nicht sein, dass der Senat den St. Pauli-Code im Profitinteresse | |
des Investors Quantum einfach in die Tonne tritt“, kritisiert dagegen Marco | |
Hosemann von der Linksfraktion. Das [4][schadet auch dem Vertrauen in | |
Politik und Verwaltung] und steht im Widerspruch zu allem, was SPD und | |
Grüne zu Bürgerbeteiligung in ihren Koalitionsvertrag geschrieben haben. | |
Die Stadtentwicklungsbehörde äußerte sich zu diesem Vorwurf nicht. | |
Fazit der Linken: „Das Paloma-Viertel hätte zu einem Ort für alle werden | |
können – nun werden austauschbare Gebäude ohne Bezug zum Stadtteil und | |
Nutzungen für die Nachbarschaft kommen, so wie sie SAGA und Investoren auch | |
andernorts bauen.“ | |
1 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://park-fiction.net/park-fiction-documenta11/ | |
[2] /Neubebauung-an-der-Reeperbahn/!5232485 | |
[3] /Fruehere-Hamburger-Esso-Haeuser/!6047028 | |
[4] /Fruehere-Hamburger-Esso-Haeuser/!6047028 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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