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# taz.de -- Deutsch-polnische Einreisekontrollen: Grenzwertig
> Seit Wochenbeginn kontrolliert auch Polen die gemeinsame Grenze mit
> Deutschland. Die Rechtsextremen freut das. Eine Erkundung an der
> rot-weißen Linie.
Bild: Doppelt hält besser: Am Montag startete Polen wie hier in Słubice die K…
Frankfurt (Oder), Gubin und Słubice Die vier Männer in Tarnkleidung stellen
sich hinter das graue Wohnmobil, strecken die Arme aus und drücken gegen
die Rückseite des Wagens. Gerade noch haben sie das große Gefährt gestoppt,
die Papiere des älteren Mannes kontrolliert, der hinterm Steuer sitzt, und
auch einen kurzen Blick in den Wohnbereich geworfen. Nichts zu beanstanden
offensichtlich. Doch jetzt, wo es weiter gehen soll, will der Motor nicht
mehr anspringen, aus der Motorhaube kommt nicht viel mehr als ein trockenes
Keuchen.
Es hilft nichts: Die polnischen Grenzschützer und Militärpolizisten müssen
schieben, wenn aus der kurzen Grenzkontrolle am Übergang zwischen Frankfurt
(Oder) und Słubice keine dauerhafte Straßenblockade werden soll. Erst nur
ganz langsam, dann immer schneller rollt das Wohnmobil über den Asphalt.
Schließlich springt der Motor wieder an und das ältere Ehepaar fährt nach
Polen hinein.
Es ist der erste Tag [1][der polnischen Kontrollen an den Grenzen zu
Deutschland], insgesamt 50 Übergänge werden seit dem vergangenen Montag
überwacht, vorerst bis zum 5. August. Und auch an den 13 Übergängen von
Litauen stehen jetzt Grenzschützer und Militärpolizisten. Für Europa ist
das ein Rückschlag.
Bis vor Kurzem war die Oder-Neiße-Grenze zwischen Polen und Deutschland
eine echte europäische Erfolgsgeschichte. Der einstige Aggressor
Deutschland gab 1990 endgültig und ganz offiziell alle Ansprüche auf die
ehemaligen Ostgebiete auf, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs Polen sind.
2004 trat Polen der EU und 2007 auch dem Schengenraum bei. Seitdem sind die
Grenzstädte und die Gesellschaften zusammengewachsen. Frieden, Kooperation
und Austausch, das sollte die Zukunft sein: Frankfurter*innen, die zum
Einkaufen über die Grenze nach Słubice schlendern, polnische Studierende,
die sich an der Frankfurter [2][Europa-Universität Viadrina] einschreiben
und deutsche Autohersteller, die wichtige Komponenten aus Polen einkaufen.
Doch seit 2023 hat sich das Bild verdüstert. [3][Deutschland führte
Grenzkontrollen ein], um Geflüchtete zurückzuweisen. Seitdem stockt der
Warenverkehr an der Grenze, die Lkw-Staus ziehen sich kilometerlang. Die
Industrie- und Handelskammer (IHK) Ostbrandenburg berichtet von spürbaren
Auswirkungen auf die Logistikbranche. Lieferungen seien nun mit einem
erhöhten Zeitaufwand verbunden.
Die neue schwarz-rote Bundesregierung verstärkte die Kontrollen im Mai
dieses Jahres und wies die Bundespolizei erstmals auch an, Personen
zurückzuweisen, die explizit um Asyl bitten. Fast alle Expert*innen
sehen darin einen Bruch mit dem Europarecht. Vorbei die Zeiten, in denen
man die Grenzbeziehungen als Ausdruck eines neuen humanen und friedlichen
Deutschlands feiern konnte. Jetzt werden erschöpfte Schutzsuchende von
Bundespolizist*innen zurückgeschickt. Und seit Montag kontrollieren
im Gegenzug die polnischen Militärpolizisten mit ihren Tarnfleckuniformen,
den roten Baretten und den verspiegelten Sonnenbrillen. Auch wenn die
Beamten freundlich beim Anschieben des Wohnmobils helfen: Ein mulmiges
Gefühl bleibt. Die deutsch-polnische Grenze ist hässlich geworden.
Die Entscheidung der polnischen Regierung, ebenfalls Grenzkontrollen
einzuführen, hat nicht nur damit zu tun, dass die deutschen Grenzkontrollen
für Warschau ein Affront sind, der nicht unbeantwortet bleiben kann. Die
Regierung von Premier Donald Tusk steht auch innenpolitisch massiv unter
Druck. Das hat viel mit Menschen wie Kristian zu tun. Er steht an der
Stadtbrücke gegenüber von den Militärpolizisten in Słubice und guckt zu,
wie sie das Wohnmobil anschieben. Neben ihm sind zwei Banner an der
Balustrade befestigt. „Stoppt Migration“ fordern sie auf Polnisch und
Englisch. Kristian, schwarze Bauchtasche, kurze Jeanshose und T-Shirt, ist
Lagerarbeiter und lebt seit acht Jahren in Brandenburg. Er nutzt seinen
freien Tag, um die Grenzkontrollen zu beobachten, erzählt der gebürtige
Pole auf Deutsch. Warum er sich gegen Migration ausspricht?
Kristian argumentiert wie aus dem Lehrbuch der polnischen Rechtsextremen.
Die Staus an der Grenze seien ein „Deutschland-gemachtes Problem“ und
illegale Migration die Ursache für die hohe Kriminalitätsrate in
Deutschland. Um ein sicheres Land zu bleiben, „soll Polen alle Grenzen
dichtmachen“. In Polen soll es am besten gar keine „Schwarzen“ mehr geben,
fordert er.
Kristian ist inhaltlich damit auf einer Linie mit einer selbsternannten
Bürgerwehr. Seit Frühjahr dieses Jahres organisiert eine Gruppe um den
polnischen Nationalisten Robert Bąkiewicz Demonstrationen gegen
Migrant*innen. Videos im Internet zeigen einen muskulösen Mann mit ernstem
Blick, der sich sichtlich Mühe gibt, seriös zu erscheinen, doch sein straff
zur Seite gegeltes Haar verrät ihn als Rechten. Auf Anfragen der taz für
ein Treffen oder ein Gespräch reagiert er nicht. Dabei ist er in den
vergangenen Wochen zu einer öffentlichen Figur geworden. Zuletzt traf er
sich gar mit dem polnischen Innenminister, um über die Lage an den Grenzen
zu reden.
Erkämpft haben sich Bąkiewicz und seine Anhänger diesen Machtgewinn, indem
sie sich in Aufgaben einmischten, die eigentlich dem Staat vorbehalten
sind. Im Netz finden sich Videos, in denen Mitglieder der selbst ernannten
Bürgerwehr an den Grenzen zu Deutschland stehen und diese „überwachen“.
Offizielle Befugnisse dafür haben sie nicht. Trotzdem zeigen die Aufnahmen,
wie die selbst erklärten Grenzschützer Geflüchtete rabiat aus Autos ziehen
und sie an die Polizei übergeben. Auf den meisten ihrer gelben Schutzwesten
steht „Bewegung Grenzverteidigung“, verziert mit einem Adler mit
Königskrone, einem Grenzpfosten und einem weiß-rot gestreiften Speer mit
Säbelspitze.
Kristian sagt, er gehöre nicht zu der Gruppe, ihre Arbeit lobt er trotzdem.
Sie halte die „Flut an Migrant*innen“ zurück, sagt er. Er ist überzeugt,
dass Deutschland nicht nur offiziell zurückweist, sondern nachts heimlich
Asylsuchende durch den Wald nach Polen abschiebt – eine „unbemerkte
Invasion“.
Mit der Realität hat das nicht viel zu tun. Gerade einmal 330 Asylsuchende
hat die Bundespolizei seit Anfang Mai zurückgewiesen – an allen deutschen
Grenzen zusammen. Dazu kommen weitere 5.500 Personen, die zurückgewiesen
wurden, ohne ein Asylgesuch geäußert zu haben. Zwar gibt es schon seit
Längerem deutliche Hinweise, dass die Bundespolizist*innen
Asylgesuche gern mal überhören, doch so oder so: Die große Invasion, von
der Kristian raunt, ist das bestimmt nicht.
Längst nicht alle teilen Kristians Freude über die Grenzkontrollen. Auf der
deutschen Seite der kleinen Brücke in Frankfurt stehen fünf Bürger*innen
mit selbst gebastelten Schildern. Einer von ihnen ist Jan Augustyniak, er
will sich von den Kontrollen der polnischen Behörden nicht einschüchtern
lassen. Das „Wettrüsten an der Grenze“ sei Symptom der fehlenden
Kommunikation zwischen den Regierungen Polens und Deutschlands – zum
Nachteil der Menschen vor Ort. „Es herrscht viel Unsicherheit“, sagt er. Am
Ende bleibt jeder auf seiner Seite, sorgt sich Augustyniak, und das „für
ein wenig Symbolpolitik“.
Bei den polnischen Maßnahmen ist noch nicht einmal klar, gegen wen sie sich
genau richten. Sollen Zurückgewiesene aus Deutschland in Polen erneut
abgewiesen werden? Offizielle Aussagen von polnischen Politikern gibt es
dazu nicht. Ein solches Vorgehen würde Geflüchtete endgültig zum Spielball
eines absurden Überbietungswettstreits machen, wer die härteste Linie
fährt.
[4][An der Grenze zwischen Polen und Belarus kann man sehen, wohin das im
Extremfall führen kann.] Die belarussische Regierung schickt gezielt
Geflüchtete aus dem globalen Süden über die Grenze, um Druck auf Polen und
die EU auszuüben. Warschau reagierte mit einem Hightechzaun an der Grenze.
Seitdem treiben belarussische Sicherheitskräfte Migrant*innen nach
Polen, wo sie von polnischen Grenzschützern zurückgeschickt werden – ein
Spiel in „Ping-Pong-Manier“, wie die links-liberale Gazeta Wyborcza einst
schrieb, das oft erst endet, wenn die Menschen irgendwo aufgenommen werden.
Manche gehen auf der Suche nach Freiheit und einem besseren Leben in den
polnisch-belarussischen Sümpfen „verloren“ oder sterben an Unterkühlung,
Hunger und Durst. Die Hilfsorganisation We are Monitoring zählte bisher 97
solcher Todesfälle.
In den ersten drei Monaten dieses Jahres dokumentierte der polnische
Grenzschutz rund 2.200 Versuche der Grenzüberschreitung aus Belarus.
Daraufhin schränkte die Mitte-Links-Regierung unter Donald Tusk Ende März
2025 das Recht auf Asyl an dieser Grenze ein. Erst sollte die neue Regelung
nur für 60 Tage gelten, doch inzwischen wurde sie für weitere 60 Tage
verlängert. Ausgenommen sind lediglich schwangere Frauen, Schwerkranke und
unbegleitete Minderjährige.
Für die Rechtsradikalen der Bürgerwehr an der polnisch-deutschen Grenze
scheint diese Politik ein Vorbild zu sein. Ihre Social-Media-Kanäle
erwecken den Anschein, als ob sich die Mehrheit der polnischen Bevölkerung
an der deutschen Grenze um die vermeintliche Flut an Migrant*innen
sorgt. Aber stimmt das?
Ortsbesuch im polnischen Gubin, etwa 70 Kilometer südlich von Frankfurt
(Oder). Keine 24 Stunden vor den taz-Reporter*innen war auch
Bürgerwehr-Chef Robert Bąkiewicz hier, wie ein Video auf der Plattform X
zeigt. Vor einem Blumenladen nahe der Grenze spricht er mit finsterem Blick
in ein Mikrofon. Die deutschen Grenzkontrollen seien eine „Provokation“,
die seine Gruppe ganz genau beobachten wolle. Dafür habe er die
Unterstützung der breiten Öffentlichkeit, behauptet er.
Doch jetzt ist von Bąkiewicz keine Spur mehr zu finden. Fragt man im Ort
herum, ist auch nicht viel von dem Unmut zu hören, von dem er so gern
spricht. Die Inhaberin des Blumenladens, vor dem Bąkiewicz im Video steht,
will sich nicht äußern. Sie sei „Floristin und keine Politikern“, sagt si…
Auch auf dem Markt hinter dem Einkaufszentrum sind die Leute entspannt. „Es
wurde zu einem größeren Problem gemacht, als es eigentlich ist“, erzählt
eine Verkäuferin, vor ihr Schalen mit Blaubeeren und Erdbeeren. Die
polnischen Grenzbeamten würden zwar immer wieder mal einen Kleinbus zur
Seite ziehen, der Verkehr fließe aber weiterhin fast ungestört durch die
Fahrbahnverengung.
Von der „deutschen Provokation“ ist ebenfalls wenig zu spüren. Tatsächlich
ist auf der anderen Seite der Grenze gar keine richtige Kontrolle zu
erkennen, nur einige Straßenbiegungen landeinwärts stehen ein paar Beamte
des Zolls, offenbar auf der Suche nach Zigarettenschmugglern, nicht nach
Geflüchteten.
Einige Stunden später, zurück in Frankfurt (Oder), trifft die taz dann doch
auf Bąkiewicz und seine Bürgerwehr. Er steht einfach da, wenige Meter vom
Kontrollposten der polnischen Militärpolizei entfernt, in Jeans und einem
dunkelblauen T-Shirt, das sich über seinen Bierbauch spannt. Sein Blick ist
besorgt-aggressiv, wie in den Videos. Er ist kleiner als erwartet. Nach
einigem Zögern erklärt er sich zu einem Gespräch bereit. Ein glatzköpfiger
Mann weicht ihm dabei nicht von der Seite und filmt die taz-Reporter*innen
– ein klassischer Einschüchterungsversuch, wie man ihn von Rechtsextremen
kennt.
„Wir haben als Gesellschaft, als Nation beschlossen, für unsere eigene
Sicherheit zu sorgen“, sagt Bąkiewicz. „Weil die Behörden bisher versagt
haben.“ Für ihn ist klar: Seine Bürgerwehr hat die polnische
Grenzschutzbehörde zum Eingreifen gezwungen. Für ihn und viele Anhänger der
nationalpopulistischen PiS bis zur rechtsextremen Konfederacja ist Polens
Premier Donald Tusk nur eine Marionette deutscher und europäischer Politik.
„Donald Tusk wäre ohne Deutschland, ohne die Unterstützung deutscher
Politiker, niemals wieder an die Macht in Polen zurückgekehrt“, behauptet
er. Die Bürgerwehr, ein Dorn im Auge der Regierungsparteien, kommt dagegen
bei dem PiS-nahen Präsidenten Andrzej Duda gut an. Er lobte zuletzt die
Mühen der Männer in gelben Westen.
Einige von ihnen sitzen hinter Bąkiewicz auf Plastikstühlen. Überwiegend
sind es ältere Herrschaften, die Füße teils in Flipflops. Auch ein
glatzköpfiger Hüne ist dabei, über dessen Schädel zwei tiefe Narben
verlaufen. Eine bekannte Figur hat sich ebenfalls unter die Gruppe
gemischt: Kristian, der polnische Lagerarbeiter, der in Brandenburg lebt
und davon raunte, die Deutschen würden heimlich Geflüchtete durch den Wald
nach Polen schleusen.
Hatte er zuvor noch behauptet, mit der Bürgerwehr nichts zu tun zu haben,
trägt er nun eine gelbe Weste und steht mit verspiegelter Sonnenbrille und
verschränkten Armen neben den anderen Männern. Wortkarger gegenüber der taz
ist er auch geworden, einige Fragen beantwortet er dann aber doch. Ist er
nun doch Teil der Gruppe? Er sei an diesem Tag beigetreten, erzählt er nun
auf Polnisch. Wenn er frei habe, werde er die nächsten Tage wieder an die
Grenze fahren, um die Arbeit der Behörden zu beobachten, sagt er. Den Druck
hochhalten.
11 Jul 2025
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## AUTOREN
Frederik Eikmanns
Gabriele Lesser
Anastasia Zejneli
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