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# taz.de -- Friedensforscherin über EU-Sanktionen: „Sie wirken selten sofort…
> Dr. Julia Grauvogel lobt die Geschlossenheit der G7-Länder. Ein Gespräch
> über das 18. EU-Sanktionspaket gegen Russland und den Kurswechsel der
> USA.
Bild: Sollen künftig auch von Sanktionen betroffen sein: Tanker der russischen…
taz: Frau Grauvogel, [1][kurz vor dem G7-Gipfel] am Montag hat die
EU-Kommission vergangene Woche ihr geplantes 18. Sanktionspaket gegen
Russland vorgestellt. Wie geschlossen ist der Westen in der
Sanktionspolitik noch, insbesondere mit Blick auf die US-Regierung unter
Donald Trump?
Julia Grauvogel: Innerhalb der EU zeigt sich weiterhin eine beachtliche
Geschlossenheit. Auch beim 17. Sanktionspaket war trotz kritischer Stimmen
einzelner Staaten am Ende eine Einigung möglich. Offen ist jedoch, ob Trump
eine Absenkung der Ölpreisobergrenze mittragen würde. Zwar hat er neue
Sanktionen mehrfach angedeutet, aber bislang nichts Konkretes beschlossen.
Im US-Kongress gibt es zwar auch Druck aus republikanischen Reihen, doch
bleibt unklar, ob bei einem Kurswechsel der USA neue Maßnahmen wirklich
kommen.
taz: Im vorgeschlagenen Sanktionspaket soll die Ölpreisobergrenze von 60
auf 45 US-Dollar pro Barrel gesenkt werden. Glauben Sie, dass jetzt auch
ohne Trumps Zustimmung an dieser Preisdeckelung festgehalten wird?
Grauvogel: Das ist schwer einzuschätzen. Kommissionspräsidentin von der
Leyen betont, dass eine Einigung innerhalb der G7 wahrscheinlich sei. Die
vorgeschlagene Absenkung auf 45 Dollar ist bewusst moderat gewählt, um
einen Kompromiss zu ermöglichen. Forderungen, etwa aus der Ukraine, gingen
sogar weiter. Dort war von 30 Dollar pro Barrel die Rede. Bei solchen
Werten würde Russland teilweise nur noch seine Produktionskosten decken.
taz: Was würde eine solche Maßnahme tatsächlich an Russlands Einnahmen
ändern, der derzeitige Deckel greift ja angesichts aktuell niedriger
Marktpreise ohnehin ins Leere?
Grauvogel: Ursprünglich sollte der Preisdeckel mindestens 5 Prozent unter
dem durchschnittlichen Weltmarktpreis liegen. Da der Marktpreis zum
Zeitpunkt des Vorschlages der EU-Kommission um die 60 Dollar schwankte,
wäre eine Senkung auf 45 Dollar eine spürbare Verschärfung. Nach
[2][Israels Angriff auf den Iran] sind die Ölpreise stark angestiegen.
Russlands Einbußen wären also gemessen am aktuellen Ölpreis noch höher. Die
Wirkung hängt allerdings auch davon ab, ob Länder wie China und Indien
weiterhin bereit sind, russisches Öl über der Preisgrenze zu kaufen. Das
ist schwer vorherzusagen.
taz: Denn Russland nimmt weiterhin viel Geld über Rohstoffexporte ein. Seit
2022 waren es fast 8 Milliarden. Wie lässt sich trotzdem die Wirksamkeit
von so einer Ölpreis-Obergrenze erklären, wenn es weiterhin Länder gibt,
die auch darüber kaufen würden und sich nicht daran halten?
Grauvogel: Russland erzielt weiterhin Einnahmen aus Energieexporten, das
stimmt. Aber verschiedene Studien zeigen, dass die Öl- und Gaseinnahmen im
Vergleich zu den Zeiten vor der Invasion um etwa 80 Prozent gesunken sind.
Der Anteil dieser Einnahmen am russischen Staatshaushalt liegt heute bei
etwa 30 Prozent – früher waren es über 45 Prozent. Trotz Umgehungen wirken
die Sanktionen also deutlich.
taz: US-Senator Lindsey Graham fordert ja auch Sekundärsanktionen, 500
Prozent Zölle für Länder, die weiter russisches Öl kaufen. Halten Sie das
für ein realistisches oder eher symbolpolitisches Instrument?
Grauvogel: Sekundärsanktionen können sehr wirkungsvoll sein. Die EU geht
damit jedoch vorsichtiger um, da sie das Instrument in der Vergangen
durchaus kritisch gesehen hat. Stattdessen setzt sie auf gezielte Maßnahmen
wie die Listung von Schiffen der [3][sogenannten Schattenflotte] – mit dem
neuen Paket wären über 400 Schiffe betroffen. Die Kyjiw School of Economics
geht davon aus, dass es 400 bis 500 Schiffe gibt, somit wäre ein
beachtlicher Teil gelistet. Auch Finanzdienstleister in Drittstaaten, die
Russland bei der Umgehung helfen, sollen sanktioniert werden. Das ist
zielgerichteter und politisch weniger riskant.
taz: Können denn Sekundärsanktionen etwa gegen Länder wie Indien oder die
Türkei nicht auch die westlichen Länder wirtschaftlich einschränken?
Grauvogel: Das ist tatsächlich eine Gefahr. Deshalb wird versucht, nicht
ganze Länder, sondern einzelne Akteure ins Visier zu nehmen. Ein Beispiel
ist der Import raffinierter Produkte aus russischem Öl, etwa Diesel oder
Kerosin, das in Drittstaaten verarbeitet wurde – das soll künftig verboten
werden. Solche punktgenauen Maßnahmen sind effektiver und spalten den
Westen weniger als umfassende Sekundärsanktionen gegen ganze Staaten.
taz: Die Verschärfungen der vorgeschlagenen Sanktionen betreffen auch den
Finanzsektor. Wie bewerten Sie die neuen Pläne?
Grauvogel: Sie sind deutlich weitreichender als bisherige Pakete. Besonders
die Sanktionierung von Finanzakteuren in Drittstaaten wäre ein neuer,
starker Hebel. Auch dass nun offenbar eine breitere Einigkeit unter den
EU-Staaten zur Sanktionierung weiterer russischer Banken besteht, ist
bemerkenswert.
Zusätzlich sollen bis zu 22 weitere russische Banken gelistet werden.
Außerdem soll es nun ein umfassendes Transaktionsverbot für sanktionierte
Banken geben. Bisher gab es nur einen Ausschluss aus dem Swift-System, über
dem die Kommunikation der Banken, aber nicht das Geld läuft. Insgesamt geht
dieses Paket über frühere Schritte hinaus. Während das 17. Paket eher eine
graduelle Nachbesserung war, sehen wir hier qualitative Veränderungen.
taz: In Brüssel macht sich eine gewisse „Sanktionsmüdigkeit breit. Experten
sprechen bei Sanktionen von einem „schleichenden Gift“ – wie stark
beeinträchtigen die bisherigen 17 Sanktionspakete tatsächlich Russlands
Kriegswirtschaft?
Grauvogel: Sanktionen wirken selten sofort. Die Bewertung ihres Erfolgs
hängt auch davon ab, welches Ziel man misst. Sollte Russland etwa zum
Rückzug gezwungen werden, wäre das allein durch Sanktionen kaum erreichbar.
Sanktionen sind ein Instrument von vielen. Sie funktionieren nur in
Verbindung mit Waffenlieferungen und diplomatischen Bemühungen. Und
trotzdem zeigen sich Wirkungen: Einnahmen aus Energieexporten sind deutlich
gesunken, technologische Modernisierung ist stark eingeschränkt.
Mit dem neuen Paket sollen zusätzliche Güter im Wert von 2,5 Milliarden
Euro betroffen sein. Russische Waffen können kaum noch mit westlicher
Technologie modernisiert werden – das ist ein konkreter Effekt. Russland
kann diesen Krieg nicht so führen, wie es ihn ohne Sanktionen könnte.
taz: Von der Leyen und Kallas betonen, das Ziel sei, Raum für echte
Friedensgespräche zu schaffen. Können Sanktionen diesen Raum tatsächlich
schaffen, wenn die Option, sie abzubauen, nicht diskutiert wird?
Grauvogel: Bisher steht die Rücknahme von Sanktionen nicht im Fokus – es
geht darum, den Druck aufrechtzuerhalten. Aber unsere Forschung zeigt:
Sanktionen wirken besser, wenn sie an konkrete Ziele geknüpft sind und bei
Teilerfüllung auch schrittweise gelockert werden können. Dazu müssten
Sanktionen als verhandelbare Maßnahmen verstanden werden, nicht als reine
Strafe.
taz: Würden Sie sagen, das funktioniert?
Grauvogel: In Einzelfällen, ja. Es gibt Beispiele wie den Südsudan, wo
Sanktionen an Zwischenziele gekoppelt und dann schrittweise gelockert
wurden. Aber das gelingt nur bei klaren politischen Zielsetzungen. Wenn es
hingegen darum geht, ein Regime zu schwächen, ist das so ein allgemeines
politisches Ziel, dass sich daraus nur schwer Meilensteine ableiten lassen,
an die man eine Rücknahme einzelner Sanktionsmaßnahmen knüpfen kann.
taz: Wie könnte das im Fall von Russland aussehen?
Grauvogel: Langfristig könnte man etwa über Sicherheitsgarantien für die
Ukraine verhandeln und daran die Rücknahme einzelner Maßnahmen knüpfen.
Noch ist es zu früh dafür, aber das könnte ein Baustein künftiger
Friedensgespräche sein.
16 Jun 2025
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## AUTOREN
Anastasia Zejneli
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