# taz.de -- Zum Tod von Beach Boy Brian Wilson: Tragödien, Surfer und Teenages… | |
> Mit den Beach Boys schuf Brian Wilson unbeschwerte Welthits voll | |
> kalifornischer Sonne. Als Mensch hatte es der begnadete Komponist nicht | |
> so leicht. | |
Bild: Sein vielleicht wichtigstes Instrument: Brian Wilson 1966 am Mischpult be… | |
Berlin taz | Seine Musik wird seit Jahrzehnten länder-, generationen- und | |
genreübergreifend gefeiert. [1][Paul McCartney], Elton John, selbst | |
[2][Leonard Bernstein] wurden nicht müde, immer wieder Brian Wilsons | |
„Genie“ zu preisen. Die Anzahl der Auszeichnungen, Trophäen und | |
Spitzenplätze auf Bestenlisten jeglicher Couleur ist längst unüberschaubar. | |
Immer wieder wachsen Generationen nach, die seine Musik entdecken und | |
lieben lernen und sich von der Tragik seines Lebens berühren und | |
erschüttern lassen. | |
Diese Tragik trug das Ihre zum Mythos Brian Wilson bei und warf immer | |
wieder die Frage auf, ob ihr seine Musik die emotionale Tiefe verdankt, ob | |
also bei einem glücklicheren Leben seine Kunst belanglos geblieben wäre. | |
Die Antwort auf diese Frage kann nur lauten: „God Only Knows“. | |
Worin bestand die Tragik? Brian, geboren am 20. Juni 1942, wuchs in | |
Kalifornien auf als ältester Sohn eines sadistischen Psychopathen, der Zeit | |
seines Lebens Gefallen darin fand, Brian zu demütigen und zu quälen – auch | |
noch, als der schon längst zum erfolgreichen Popstar geworden war. Die | |
Prügel, mit denen er von klein auf an Brian und dessen jüngere Brüder | |
Dennis und Carl züchtigte, waren hart und regelmäßig und bedurften mitunter | |
nicht mal eines Anlasses. | |
Auf der anderen Seite waren Brian und sein Vater Murry eng miteinander | |
verbunden – durch Musik. Murry wäre selbst gerne Musiker geworden und | |
übertrug seinen künstlerischen Ehrgeiz schließlich auf Brian, der schon | |
früh eine außergewöhnliche musikalische Begabung gezeigt hatte. Mit Musik | |
gelang es Brian immer wieder, seinen Vater zu besänftigen. Und auch wenn | |
der ihn meistens am Ende mehr kritisierte als lobte, merkte Brian doch, | |
dass sein Talent seinen Vater stolz machte. | |
## Erleuchtung am Küchentisch | |
Als Teenager entdeckte Brian in den 1950ern die Musik der Four Freshmen, | |
einem US-Jazz-Vokalquartett aus der Stan-Kenton-Schule, das es mit engen | |
Jazz-Harmonien bis in die Pop-Charts schaffte. Auch Murry mochte ihre | |
Musik, und als Brian im Alter von 15 nach einem Konzert der Four Freshmen | |
der Familie zu Hause am Küchentisch spontan und aus dem Kopf beibrachte, | |
einen Song der Freshmen vierstimmig zu singen, erlebte er einen der | |
harmonischsten Familienmomente. | |
Auch bei Brians Brüdern Dennis und Carl zeigte sich bald eine | |
überdurchschnittliche Musikalität und Brian probte weitere | |
Vokalarrangements mit ihnen ein, gerne verstärkt durch Cousin Mike Love. An | |
der musikalischen Ausrichtung der Beach Boys hatte Carl keinen kleinen | |
Anteil, denn er machte Brian, der zu jener Zeit vorzugsweise Klassik und | |
höchstens mal George Gershwin hörte, mit Rock ’n’ Roll und R&B bekannt. D… | |
inspirierte ihn, selbst Songs zu komponieren, „und dabei entdeckte ich | |
etwas, was ich nirgendwo sonst fand, die Sache, die ich mein ganzes Leben | |
vermisst hatte: ein Gefühl von Freude und Glück“, wie er in seiner 1991 | |
veröffentlichten Autobiografie „Wouldn’t It Be Nice“ schrieb. | |
Verstärkt durch Brians alten High-School-Kumpel Al Jardine machte die | |
erweiterte Familie jetzt Ernst. Carl Wilson besorgte sich eine Gitarre, | |
Dennis wurde zum Schlagzeuger bestimmt, Brian übernahm die Bassgitarre, | |
alle fünf sangen. Dennis, der extrovertierte Draufgänger und Sportler, | |
brachte Brian und Mike Love, der sich ums Textschreiben kümmerte, auf die | |
Idee, mal einen Song übers Surfen zu schreiben, das in Kalifornien gerade | |
dabei war, Trendsport zu werden. Die Anregung wurde aufgenommen, der Song | |
„Surfin'“ wurde schließlich im Dezember 1961 von einem kleinen Label | |
veröffentlicht. Er kletterte bis auf Platz 75 der Billboard-Charts und | |
machte größere Labels auf sie aufmerksam. Vater Murry, der es sich nicht | |
nehmen ließ, die Managerfunktion zu übernehmen, entschied sich für Capitol | |
Records. Capitol wollte eigentlich seine Hausproduzenten auf die Beach Boys | |
loslassen, Murry Wilson wollten den Job selbst übernehmen. Brian ebenfalls. | |
Sein Glück war es, dass sich sein Vater so schnell so unbeliebt machte, | |
dass das Label alles tat, um mit ihm so wenig wie möglich zu tun zu haben. | |
So kam es zu der in jener Zeit komplett unüblichen Situation, dass ein | |
Künstler seine Songs nicht nur selbst komponierte und arrangierte, sondern | |
auch noch produzierte. Und Brian nahm die Herausforderung an. Einerseits | |
lieferte er Up-tempo-Hits wie „Surfin’ USA“, „Fun, Fun, Fun“ oder „… | |
Deuce Coupe“, andererseits experimentierte er mit zunehmend komplexen, | |
melancholischen Balladen wie „In My Room“, „The Warmth Of The Sun“ oder | |
„Keep An Eye On Summer“. | |
Mit der Produktion von bis zu drei Alben pro Jahr plus Tourneen kam Brian | |
jedoch ans Limit und beschloss nach einem Nervenzusammenbruch, sich ganz | |
auf die Studioarbeit zu konzentrieren. Solange er kontinuierlich Hits | |
auswarf, ließen ihn Capitol und seine Bandkollegen machen. Bei dem 1966 | |
veröffentlichten Album „Pet Sounds“ erschienen der Band die Playbacks, die | |
er ihnen vorab vorbereitet hatte, jedoch so außergewöhnlich, dass sich | |
interne Kritik regte. „Don’t fuck with the formula!“, soll Mike Love ihn | |
gewarnt haben, zusätzlich beleidigt, weil Brian für seine neuen Songs einen | |
externen Textdichter hinzugezogen hatte. Das Album verkaufte sich auch | |
deutlich schlechter und Capitol verstand es nicht, die Musik zu promoten | |
und veröffentlichte stattdessen eilig eine Greatest-Hits-Compilation. | |
Brians Antwort war der Song „Good Vibrations“. Ein aus den Ergebnissen von | |
über 30 Studiosessions zusammengesetztes Patchwork; eine Mini-Sinfonie, die | |
sämtliche üblichen Popsong-Strukturen sprengte. Unerwarteterweise wurde der | |
Song ein Megahit, die bestverkaufte Beach-Boys-Single überhaupt. Davon | |
motiviert, begann Brian die Arbeit an seinem ambitioniertesten Projekt, dem | |
Konzeptalbum „Smile“, einer „Teenage Symphony to God“. Tatsächlich war… | |
eher sein Charles-Ives-Moment, in dem er die US-Geschichte mit Anklängen an | |
alte Folk Songs und Spirituals heraufbeschwört, den vier Elementen je einen | |
Song widmet und mit Banjo, Mundharmonika, Marimbaphon und Orgel ein | |
Klangbild zauberte, das denkbar weit weg war von den zu jener Zeit | |
bestimmenden psychedelischen Rocksounds von [3][Jimi Hendrix], Jefferson | |
Airplane oder Janis Joplin. | |
Band und Plattenfirma intervenierten jedoch so massiv, dass Brian entnervt | |
aufgab und das Album nicht fertigstellte. Er zog sich zurück ins zweite | |
Glied, schrieb zwar immer wieder ein paar Songs, überließ die künstlerische | |
Verantwortung aber zunehmend seinem Bruder Carl. Der kreative Flow war | |
abgebrochen und kehrte auch nicht zurück. Zu Beginn der 1970er Jahre fiel | |
Brian Wilson schließlich in eine tiefe Depression, verbrachte seine Tage | |
größtenteils im Bett, stopfte sich voll mit Steaks und Burgern, bis er über | |
130 Kilo wog, und konsumierte Unmengen von Kokain und Marihuana. | |
Als es dem Psychiater Eugene Landy schließlich gelang, Brian aus der | |
Depression herauszuholen, gesünder zu leben und wieder zu arbeiten, | |
feierten Band, Plattenfirma und Fans: „Brian is back!“ Doch es war ein | |
anderer, reduzierter Brian, der zurückgekommen war. Landy verschrieb ihm | |
eine starre Lebensführung und zog, um sie zu überwachen, gleich mit ein | |
paar Assistenten bei ihm ein. Natürlich beanspruchte er auch | |
Co-Komponisten-Anteile an den von Brian nun wieder häufiger geschriebenen, | |
jedoch deutlich schlichteren Songs. | |
Das Biopic „Love & Mercy“ von 2014 zeigt, wie die Autoverkäuferin Melinda | |
Ledbetter Brian Wilson schließlich Ende der 1980er Jahre aus Landys Klauen | |
befreite. Sie wurde 1995 seine zweite Frau. Was jedoch sowohl die | |
Landy-Phase wie auch die späteren Jahre kennzeichnete, waren ständige | |
juristische Auseinandersetzungen mit Plattenfirmen und vor allem mit | |
Bandkollege Mike Love, der sich die Rechte an dem Namen Beach Boys | |
gesichert hatte. Zwar gab es immer wieder auch Beach-Boys-Reunions und | |
sogar neue Alben, am erfolgreichsten war Brian jedoch, wenn er unter seinem | |
Namen mit Komplettperformances von „Pet Sounds“ oder „Smile“ auf Tour g… | |
Eine rekonstruierte „Smile“-Version erschien schließlich 2011. | |
In den letzten Jahren soll Brian zunehmend senil gewesen sein, obwohl immer | |
noch neue Alben von ihm erschienen (zuletzt 2021 „At My Piano“). Nach dem | |
Tod seiner Frau Melinda im Januar 2024 wurde er unter Vormundschaft | |
gestellt. | |
Er starb am 11. Juni. | |
12 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Paul-McCartneys-Songtexte-in-Buchform/!5833607 | |
[2] /Film-Maestro-von-Bradley-Cooper/!5974061 | |
[3] /Was-von-Jimi-Hendrix-bleibt/!5710927 | |
## AUTOREN | |
Detlef Diederichsen | |
## TAGS | |
Beach Boys | |
Popmusik | |
Kalifornien | |
Nachruf | |
USA | |
GNS | |
Funk | |
Nachruf | |
Los Angeles | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nachruf auf US-Funklegende Sly Stone: Der Spirit des Standfesten | |
Er erfand den Funk mit sozialkritischem Masterplan und leitete eine der | |
ersten integrierten US-Bands. Musiker Sly Stone ist gestorben. Ein Nachruf. | |
US-Sänger David Thomas ist tot: Schreie über Monster, Meere und andere Abgrü… | |
David Thomas ist am 23. April im Alter von 71 Jahren gestorben. Für den | |
Sänger war die Liebe als Vereinbarung der Blockfreiheit eine typische Idee. | |
Feuerkatastrophe von Los Angeles: Der abgebrannte Traum von individuellem Glück | |
In Los Angeles stieß die amerikanische Kolonisierung auf die Mauer des | |
Pazifiks. Ein Essay über eine besondere Stadt und das, was den Flammen zum | |
Opfer fiel. |