# taz.de -- Nachruf auf US-Funklegende Sly Stone: Der Spirit des Standfesten | |
> Er erfand den Funk mit sozialkritischem Masterplan und leitete eine der | |
> ersten integrierten US-Bands. Musiker Sly Stone ist gestorben. Ein | |
> Nachruf. | |
Bild: Einer seiner wenigen öffentlichen Auftritte nach 1975: Sly Stone bei der… | |
Liebe, Freiheit und friedliches Zusammenleben. In den unruhigen, | |
segregierten USA der mittleren 1960er Jahre mussten solche Attribute hart | |
erkämpft werden. Es brauchte dafür künstlerischen Spirit, Standfestigkeit | |
und eine klare Haltung. Von den grundlegenden Dingen jener unruhigen Zeit | |
handeln die Songs des Albums „Stand!“ von Sly and the Family Stone. | |
Musik und Texte bringen die Hoffnungen der Bürgerrechtsbewegung auf soziale | |
Teilhabe und das gestiegene Selbstbewusstsein der Schwarzen Musikkultur mit | |
dem Optimismus der Hippie-Ära zu etwas völlig selbstverständlichem Neuem | |
zusammen: Funk. Groove und spirituelle Bestimmung waren abgeleitet von Soul | |
und Gospel; Psychedelik und Experimentierfreude kamen vom Rock; und die | |
Chuzpe hatte Sly Stone, der Sänger und Bandleader, als zeitweiliger | |
Moderator am Mikrofon eines Radiosenders in San Francisco erprobt. | |
Schon Mitte der 1960er arbeitete Sly Stone dort als Studioproduzent, unter | |
anderem für die Sängerin Grace Slick (später Jefferson Airplane). Sly Stone | |
brach im Musikbiz alle Schranken, die Schwarzen in der US-Gesellschaft bis | |
dato im Weg standen. Und er schaffte als einer der Ersten den Crossover in | |
die Mehrheitskultur. Sly Stone brachte etwa durch Auftritte in | |
Late-Night-Talkshows tiefe Kontraste in das Farb-TV, das ungefähr | |
zeitgleich mit seiner Karriere entstand. | |
## Wut kanalisieren | |
„Stand!“, veröffentlicht 1969, ist vielleicht das Meisterwerk seiner Band | |
Sly and the Family Stone. Denn aus der Musik spricht erhöhte Spiritualität | |
(„I Wanna Take You Higher“), die Lust an der Existenz („You Can Make It If | |
You Try“); und ein Masterplan, die angestaute Wut in Songs zu kanalisieren, | |
die etwas bewirken ([1][„Don’t Call Me Nigger, White]y“). | |
Der Song „Everyday People“ mit der zum Slogan gewordenen Zeile „Different | |
strokes for different folks“, die sich gegen die Privilegien der | |
Hippie-Bohemiens wandte. Sich erheben und bewegen zur Musik „Dance to the | |
Music“ (erschienen als Single, fast zeitgleich mit dem Album „Stand!“) und | |
ein wütender Kommentar zu den Unruhen um 1968 „Hot Fun in the Summertime“ | |
(ebenfalls eine Single, veröffentlicht 1969). Diese beiden und sowie die | |
acht Songs auf „Stand!“ hatten eine wichtige Botschaft und so formte sich | |
das Album zum Gesamtkunstwerk. | |
Sly Stone hatte großen Anteil daran, dass sich das englische Wort „Spirit“ | |
damals überhaupt in den deutschen Sprachgebrauch eingeschlichen hat. Wer | |
seine filigranen Gesangsarrangements hört, die Läufe am Keyboard, merkt | |
sofort den Spirit, der aus der Musik von Sly and the Family Stone spricht. | |
Sly (bürgerlich Sylvester Stewart) verkörperte wie kein Zweiter den Spirit | |
einer Ära, die Aufbruchstimmung der 1960er Jahre, den Willen, Dinge zu | |
ändern. [2][] | |
## Integrierte Band | |
[3][Sly Stone etwa leitete eine Band aus Schwarzen, Weißen und Latinx, | |
Musikerinnen und Musikern]. Frauen als gleichberechtigte | |
Instrumentalistinnen. „In ihrem Sound lag enorme künstlerische Freiheit. | |
Die Musik war komplex, weil Freiheit an sich komplex ist“, formulierte es | |
der US-Autor Greil Marcus. | |
„Wild und anarchisch, weil der Wunsch nach (künstlerischer) Freiheit genau | |
so ist. Die Musik klang ansteckend optimistisch, zärtlich, mitfühlend, wie | |
eben die Realität von Freiheit.“ [4][Zur Legende geriet im August 1969 auch | |
der Auftritt on Sly and the Family Stone beim Festival in Woodstock, wo die | |
Band um eine Zugabe gebeten wurde.] | |
In jener Zeit reflektierte und untermauerte Sly Stone seinen Status als | |
Schwarzer Rockstar und Begründer des Funk mit dem Album „There’s a Riot | |
goin’ on“ (1971) und dem Song „Family Affair“, der als einer der ersten… | |
Beat von einer Rhythmusbox, einem Drumcomputer, so programmierte, dass er | |
wie ein menschlicher Herzschlag pochte. | |
## Tiefer Fall | |
Die 1960er Jahre waren da bereits vorbei, und mit ihnen geriet das | |
affirmative Moment des Progressiven ins Hintertreffen. Nach dem steilen | |
Aufstieg kommt ein tiefer Fall. Sly Stone zollte dem Tour- und | |
Aufnahmestress mit exzessiven Drogenkonsum Tribut. | |
Er veröffentlicht noch einige gute Alben in den 1970ern, ebnet dabei den | |
Weg für Künstler:Innen wie Prince und Erykah Badu, aber ruiniert seine | |
Karriere durch kokainhaltige Unzuverlässigkeit. In dem Dokumentarfilm „Sly | |
Lives! The Burden of Black Genius“, von Ahmir „Questlove“ Thompson (2025), | |
wird Sly Stones Genie mit der gesellschaftlichen Ausgrenzung | |
zusammengedacht, der das Schwarze Amerika trotz Erlangung der Bürgerrechte | |
auch in den 1970er und später weiter begegnete. Sly Stone konnte sich | |
zunächst befreien; die Lust am freien Dasein kollidierte mit der Last | |
seiner künstlerischen Begabung. | |
Erst als Großvater konnte er sich von den Drogen wieder befreien. Am | |
Pfingstmontag ist er im Alter von 82 Jahren gestorben. | |
10 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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