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# taz.de -- Streitgespräch über Veteranentag: Würdigung oder Militarisierung?
> Ist es passend, dass Hamburg den Veteranentag am Sonntag auf dem
> Rathausmarkt feiert? „Ja“ sagt Sina Imhof (Grüne), „nein“ sagt David
> Stoop (Linke).
Bild: Stillgestanden: Soldaten beim Appell
taz: Frau Imhof, die Grünen und die SPD stellten vor einem Jahr den Antrag,
dass der erste [1][Veteranentag in Hamburg besonders begangen] wird. Nun
gibt es eine Feier auf dem Rathausmarkt. Was erwartet uns da?
Sina Imhof: Es wird auf dem Rathausmarkt einen Beförderungsappell geben und
im Anschluss im Rathaus einen Empfang des Senats, mit dem Soldat*innen
gewürdigt werden sollen.
taz: Ist das nur für Medien?
Imhof: Der Beförderungsappell ist leider eine Veranstaltung mit hohen
Sicherheitsvorkehrungen. Es werden aber geladene Bürger*innen anwesend
sein. Wir stellen die Mitglieder der Bundeswehr in den Mittelpunkt und
würdigen ihren Einsatz.
taz: Ist der öffentliche Appell das, was [2][Ihnen vorschwebte]?
Imhof: Der [3][Veteranentag] findet bundesweit statt, das ist keine
Hamburger Idee. Aber Hamburg ist eine Stadt mit einer
Bundeswehruniversität, mit einem Bundeswehrkrankenhaus, mit der
Führungsakademie und zahlreichen Bundeswehreinrichtungen. Deshalb forderten
wir den Senat auf, sich da einzubringen.
taz: Herr Stoop, warum ruft die Linke [4][zu einer Demo] auf?
David Stoop: Wir finden es falsch, dass in der Öffentlichkeit das Militär
gefeiert wird. Es gibt in Deutschland gute, historische Gründe, sich mit
öffentlichen Paraden, Appellen und Zeremonien zurückzuhalten. Und wir
teilen die Einschätzung nicht, dass es jetzt eine ‚geistige Zeitenwende‘
braucht, um Kriegstüchtigkeit herzustellen. Aber in den Kontext ordnen wir
dieses Beförderungsgelöbnis und die Feier zum Veteranentag ein. Das ist ein
unguter Weg. Wir sollten eine Friedensorientierung in der Gesellschaft
stärken.
taz: Frau Imhof, geht es um die ‚geistige Zeitenwende‘?
Imhof: Wir rücken hier die Menschen in den Mittelpunkt und würdigen ihren
Einsatz für die Sicherheit dieses Landes. Es geht hier nicht um eine
Militarisierung. Es ist ja auch keine Militärparade, wie man sie aus
anderen Ländern kennt. Das ginge in Richtung Glorifizierung. Es gibt dort
aber keinerlei Gerätschaften oder ähnliches zu sehen.
Stoop: Aber Verteidigungsminister Boris Pistorius argumentiert in dem
Sammelband „Operation Zeitenwende“ sehr deutlich, dass es darum geht, eine
Kriegstüchtigkeit in der Gesellschaft zu etablieren. Und in diesem Kontext,
er ist ja hier nach Hamburg eingeladen, ordnet sich eben so ein Gedenken
ein. Wir sind auch dafür, dass Soldatinnen und Soldaten, die dienen und in
Kriegseinsätzen waren, gut versorgt werden und eine vernünftige
psychologische Betreuung erhalten. Aber es gab eine Tradition der zivilen
Orientierung der Bundeswehr. Die sehen wir in Gefahr. Denn es soll in der
Gesellschaft darauf hingewirkt werden, Kriegstüchtigkeit herzustellen. In
dem Buch heißt es, bis 2029 soll das passieren. Und dazu gehört die
Einstimmung auf kommende Kriege.
Imhof: Es geht nicht um geistige Kriegstüchtigkeit, sondern eine neue
Realität. Durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die
Ukraine ist etwas eingetreten, was sich viele von uns nicht mehr
vorstellen konnten: Dass wir im 21. Jahrhundert auf dem europäischem
Kontinent ein Land haben, das militärische Auseinandersetzungen als
gerechtfertigt ansieht. Deutschland liegt sehr zentral in Europa. Wir haben
aber Nachbarn wie Finnland, die eine lange Grenze zu Russland haben und
sich in einer ganz anderen Bedrohung sehen. Das rückt die Bundeswehr in den
Mittelpunkt, weil es eben nicht mehr nur um Friedenseinsätze oder Hilfe im
Katastrophenschutz geht. Und insofern geht es mir statt geistiger
Kriegstüchtigkeit eher darum: Ist unsere Bundeswehr in der Lage,
militärische Unterstützung zu leisten, sollte sie gefordert sein? Das
bezieht sich dann auf Gerätschaften etcetera, nicht um die Geisteshaltung
der Bevölkerung.
Stoop: Es ist schon auffällig, dass das für andere Berufe nicht geschieht
und hier das Soldatische in besonderer Weise hervorgehoben wird. Das geht
einher mit einer Ausweitung öffentlicher Präsenz der Bundeswehr. Wir hatten
im letzten Jahr Bundeswehrwerbung im Freibad. Wir haben regelmäßig
[5][Bundeswehr an Schulen]. Wir haben die Debatte beim Jobcenter. Wir sehen
es als Problem, wenn die Bundeswehr ihre Aktivitäten ausweitet. So zieht
militärisches Denken in die Zivilgesellschaft ein. Rückt man Militärisches
ins Zentrum der Öffentlichkeit, drängt dies friedensorientierte Lösungen
zurück.
Imhof: Aber es geht nicht darum, die Bevölkerung im Kopf kriegstüchtig zu
machen.
Stoop: Das wird von Ihrem Koalitionspartner vorgetragen.
Imhof: Aber hier ist doch die Frage, wie wir dazu stehen. Ich teile die
Ansicht, dass es viele Berufsgruppen mit herausfordernder Tätigkeit gibt,
etwa Lehrkräfte. Aber wir sollten sie nicht gegeneinander ausspielen.
taz: Man könnte Lehrer auch auf den Rathausmarkt bitten.
Imhof: Da ist die Frage, ob sie sich das wünschen. Aber es überzeugt mich
nicht zu sagen, man darf die einen nicht würdigen, weil man es für andere
auf diese Weise nicht tut.
Stoop: Das Soldatische bekommt hier eine Sonderstellung.
taz: Brauchen wir denn mehr Soldaten?
Imhof: Wir brauchen eine Armee, die arbeitsfähig ist. Die Bundeswehr hat,
wie eigentlich alle Institutionen in diesem Land, einen Nachwuchsmangel und
wirbt für sich als Arbeitgeberin.
taz: Laut Umfragen ist eine Mehrheit für die [6][Wehrpflicht], nur nicht
bei unter 39-Jährigen.
Imhof: Das kann ich verstehen. Die [7][jungen Leute] wären ja betroffen.
Dass ich mit 70 da eine andere Abwägung im Kopf hätte, ist völlig klar.
Stoop: Für die, die nicht eingezogen würden, ist es leicht, für eine
Wehrpflicht zu sein. Leichter als für die, die im Zweifelsfall zum Sterben
an die Front geschickt würden.
taz: Brauchen wir denn eine [8][Steigerung der Verteidigungsausgaben] auf
fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts?
Imhoff: Das Ziel muss eine arbeitsfähige Bundeswehr sein. Wir kennen alle
die Geschichten über die schlechte Ausstattung und kaputte Hubschrauber.
Das hat man lange belächelt. Aber da haben wir als Gesellschaft die
Fürsorgepflicht gegenüber einer Parlamentsarmee vernachlässigt und hätten
reagieren müssen.
taz: Aber gab es nicht bereits eine Budget-Steigerung?
Stoop: Ja, eine ausufernde. Militärausgaben wurden von der Schuldenbremse
komplett ausgenommen. Wir befürworten die nicht, aber dass nur das
Militärische den Freifahrtschein bekommt, halten wir für falsch, auch
angesichts der Rüstungsausgaben anderer Länder. Das setzt eine
Rüstungsspirale in Gang, die unsere Zukunftsperspektiven bedroht. Der
Klimawandel und andere globale Sorgen erfordern ein Mehr an Kooperation.
Darum müssten wir uns auf Abrüstung verständigen.
taz: Ihr Parteichef sagt, jedes Land soll zehn Prozent Rüstungsausgaben
reduzieren.
Stoop: Jan van Aken macht halt gute Vorschläge. Angesichts des hohen Etats
der Bundeswehr müssen wir auch darüber reden, wie die Beschaffung
funktioniert und welche Waffensysteme besorgt werden. Es gab in der letzten
Dekade eine Orientierung auf Einsatzfähigkeit in weit entfernten Ländern
mit Großtransportern. Das braucht man nicht zur Landesverteidigung. Die
Bundeswehr wurde von einer Verteidigungsarmee zur Interventionsarmee
umgebaut. Wir sollten diskutieren, was eigentlich der Charakter der
Bundeswehr ist. Da sagen wir ganz eindeutig: Landesverteidigung, punkt –
und nicht Intervention irgendwo auf dem Globus und dann gegebenenfalls noch
Beteiligungen an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen.
Imhof: Aber wir sind Teil der Nato und insofern im Bündnisfall
verpflichtet. Das ist ja die Idee dieses Militärbündnisses, sich zur Seite
zu stehen. Verteidigung kann man im 21. Jahrhundert nicht mehr nur auf die
eigenen Landesgrenzen reduzieren.
Stoop: Eben solche Fragen wären zu diskutieren, wenn man diese
Rüstungspakete auflegt.
taz: Als Veteran gilt übrigens jeder, der mal beim Bund war, egal ob im
Einsatz oder nicht. Warum ist das so weit gefasst?
Imhof: In der Tat gibt es andere Länder, da muss man für diese Bezeichnung
in einem Einsatz gewesen sein. Unsere Definition gibt es schon länger. Sie
wurde nicht für den Veteranentag neu erfunden. Es ist gut, dass wir mit
unserer Definition den Menschen in den Mittelpunkt stellen und nicht die
Einsatzerfahrung.
taz: Herr Stoop, haben Menschen, die beim Bund waren, keine Ehrung
verdient?
Stoop: Wir brauchen eine Bundeswehr zur Landesverteidigung und
selbstverständlich müssen die, die dort diesen Dienst leisten, vernünftig
versorgt sein. Dass sie, wenn sie in Einsätzen traumatisiert werden, eine
psychologische Nachversorgung bekommen und all das, was dazugehört. Wo wir
nicht für sind, ist, das Militärische mit Appellen und Paraden zu feiern
und damit militärische Logiken nach vorne zu stellen. Denn zelebriert man
öffentlich militärische Stärke, treten zivile Konfliktlösungen in den
Hintergrund. Es gibt in Hamburg kein großes Friedensfest, das der Senat
ausrichtet.
taz: Aber die Stadt Bremen, wo die Linke mitregiert, feiert auch den
Veteranentag.
Stoop: Es gibt dort einen Empfang im Rathaus. Aber keinen inszenierten
öffentlichen Appell. Das hat eine andere Qualität.
Imhof: Aber es wird ja auch in Hamburg nichts Militärisches zelebriert. Es
rollen da keine Panzer, da stehen Menschen in Uniform. Und wir haben eine
Parlamentsarmee. Die Legislative entscheidet über die Einsätze. Und ich
glaube, so ein Tag kann auch dazu führen, dass Bundeswehr und Gesellschaft
sich begegnen und Verständnis entwickeln.
taz: Geht es nicht darum, dass die Jugend, die nicht zur Armee will, die
gut findet?
Imhof: Es wird ja niemand zur Bundeswehr gezwungen. Sie rückt durch die
geopolitischen Veränderungen für viele Menschen mehr ins Bewusstsein. Aber
dieser Tag ist keiner der Rekrutierung, sondern des Verständnisses.
Stoop: Da Sie von Begegnung sprechen. Ich habe den Senat gefragt, ob es im
Rahmen des Veteranentages dialogische Veranstaltungen gibt? [9][Die Antwort
war]: Nein, gibt es nicht, sondern nur Appell und Empfang. Aber
insbesondere die Frage von Abrüstung und von Frieden ist ja gerade für
Soldatinnen und Soldaten relevant, weil sie im Kriegsfall sterben würden.
Man könnte diesen Tag inhaltlich gestalten. Das plant der Senat aber nicht.
Imhof: Es geht ja auch nicht um eine abstrakte Debatte, sondern darum, die
Menschen in den Vordergrund zu stellen.
taz: Das war 40 Jahre nicht nötig. Warum heute?
Imhof: Wir könnten darüber streiten, ob es ein Fehler war, das in den
letzten Jahrzehnten hinter die Kasernenmauern zu drängen. Wir haben eine
Bundeswehr, die sich dieser Gesellschaft verpflichtet fühlt, da halte ich
eine stärkere Sichtbarkeit für sinnvoll.
taz: Fragt sich auch, wer geehrt wird. Es gab in einem Papier der
Bundeswehr den Vorschlag, dazu auch Männer zu zählen, die sich [10][im
Zweiten Weltkrieg hervortaten]. Das Papier wurde zurückgezogen. Ein ganz
anderer Vorschlag sah vor, statt eines Veteranentages lieber den 2003 von
der UNO ausgerufenen „Tag der Peacekeepers“ zu begehen, der Menschen ehrt,
die sich an UN-Friedensmissionen beteiligen. Wäre das eine Alternative?
Imhof: Die Bundeswehr wurde mit dem klaren Auftrag gegründet, sich von der
Tradition der Wehrmacht und deren Verbrechen abzugrenzen. Das muss immer
der Maßstab sein. Und klar: So ein Peacekeeper-Tag wäre auch eine Option,
dann aber mit einer ganz anderen Ausrichtung.
Stoop: Das wäre etwas grundsätzlich anderes. Also, ob ich eine
Friedensorientierung mit zelebriere oder nicht, macht einen riesigen
Unterschied. Unser Erster Bürgermeister Peter Tschentscher hat sich zum
Beispiel der Agenda der 'Majors for Peace’, der Bürgermeister für den
Frieden, verpflichtet. Die sieht diverse Aktivitäten vor wie zum Beispiel
Jugenddelegationen zu Friedenskonferenzen, Kurse zu Hiroshima und Nagasaki
an den Hochschulen und den Einsatz für atomare Abrüstung. All das macht der
Senat überhaupt nicht, sondern antwortet, wenn ich ihn dazu befrage,
lapidar: „Der Hamburger Senat macht keine Außenpolitik.“ Dann frage ich
mich aber, weshalb Hamburg überhaupt Teil dieses globalen Netzwerkes ist.
Da gibt es angesichts des Veteranentags eine große Schieflage.
Imhof: Beim Veteranentag geht es um die Menschen in der Bundeswehr und
deren Würdigung. Dieser Tag steht daher nicht im Konflikt zu anderen
Aktivitäten dieses Senats.
Stoop: Ginge es um die Menschen, dann würde ja ein Empfang reichen. Dann
müsste man keine öffentliche Inszenierung organisieren. Es mag ja sein,
dass Sie das nicht tun. Aber auch in der Bundeswehr wird es diskutiert,
dass dies Teil der Herstellung von Kriegstüchtigkeit ist.
taz: In Hannover dürfen die Veteranen an diesem Tag umsonst in die Museen.
Wäre das nicht auch eine Option?
Imhof: Das kann man machen, es geht hier aber nicht um Geschenke, sondern
wahrzunehmen, dass Menschen eben diesen Dienst verrichten und das notfalls
auch unter Einsatz des eigenen Lebens tun.
13 Jun 2025
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Kaija Kutter
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