# taz.de -- Erster Veteranentag in Deutschland: Machbar, aber fragwürdig | |
> Am 15. Juni begeht Deutschland seinen ersten Veteranentag. Die Idee mag | |
> berechtigt sein, ist aber weder unstrittig noch alternativlos. | |
Bild: Ein Zeichen der Wertschätzung: der Veteranentag | |
Wer sich noch an die Bonner Republik erinnert, mit Friedensbewegung und | |
Böll und Heinemann und ihrer doch recht pazifistischen Grundhaltung, dem | |
muss die neue deutsche Einstellung zum Militär wunderlich vorkommen. | |
Gewiss: zum Teil ist es richtig, dass sich hier etwas geändert hat. Man | |
kann Aggressoren wie Wladimir Putin nicht mit Ostermärschen beikommen, dem | |
Himmel sei's geklagt. Und zu glauben, dass er, nach der Ukraine, „keine | |
territorialen Ansprüche in Europa“ mehr hat, ist geradezu gefährlich naiv. | |
Mit dieser Einsicht gehen andere Dinge einher: wenn uns unsere Verteidigung | |
wichtig ist, müssen wir auch Respekt im Umgang mit den Streitkräften | |
zeigen. Und vor allen Dingen müssen Soldatinnen und Soldaten, die mit | |
posttraumatischen Belastungsstörungen, mit seelischen und körperlichen | |
Wunden aus Konfliktzonen zurückkehren, umfassende und unbürokratische | |
Versorgung erhalten. Es ist richtig, dass der Bundestag das kürzlich | |
gefordert hat. | |
Ein weiterer Beschluss aber ist von ganz anderer Natur. Es ist der | |
[1][„Veteranentag“, der in der Zukunft an jedem 15. Juni gefeiert] werden | |
soll. Er zeigt, wie kaum eine andere Entscheidung, den Wandel, der sich in | |
der Gesellschaft vollzogen hat. Und kaum eine Stunde hat dies klarer | |
gemacht als die Bundestagsdebatte, die diesem Entschluss vorausging. | |
Beginnend mit dem Eröffnungsredner Johannes Arlt (SPD), der, wie eine | |
Bundeswehrbroschüre, von einer „Zeit von Kameradschaft und sinnstiftender | |
Tätigkeit“ sprach, die man mit Auslandseinsätzen verbinden darf. Und dann | |
den Kameraden auf der Besuchertribüne (erschienen in militärischem Grau, | |
mit Ehrenzeichen) „semper talis“ zurief („stets gleich“, altes preußis… | |
Motto). Nils Gründer von der FDP kann auch Latein und rief „Virtuti pro | |
patria – der Tapferkeit für das Vaterland“, das Motto seiner | |
„Heimatbrigade“. | |
## Weitgehend unreflektiert aufgenommen | |
Es hätte eine Folge von „Navy CIS“ sein können. Nur nicht ganz so spannen… | |
Zum Schluss bat Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPA) um | |
Unterstützung des Antrags und zwar als „Inhaber der Befehls- und | |
Kommandogewalt“. Sowas hätte es unterm Willy nicht gegeben. Nicht einmal | |
unter Helmut Schmidt. In der Tat hat bislang noch keine Bundesregierung | |
einen solchen Tag für nötig gehalten. Seine Annahme durch fast alle | |
Parteien ist bemerkenswert – und bedenklich. | |
Auch in den Medien wurde der Veteranentag, mit einigen Ausnahmen, | |
weitgehend unreflektiert aufgenommen. Bei manchen Schlagzeilen gehen einem | |
die Augenbrauen hoch. [2][Ein „nationales Bekenntnis zur Truppe“]? So der | |
Wortlaut in einer regionale Zeitung. Wenn aber ein Veteranentag auf so | |
breite Zustimmung stößt, gibt es dann am Ende vielleicht gar keinen Grund | |
zur Besorgnis? Die Entwicklung in einigen anderen Staaten, einschließlich | |
Großbritanniens, weist in eine andere Richtung. | |
Hier war die Einstellung der Gesellschaft zum Militär seit langem positiv. | |
Das ist auch verständlich: ohne seine Streitkräfte wäre die Insel, wie so | |
viele europäische Staaten, unter den Stiefel der Naziherrschaft geraten. | |
Nur: Diese positive Einstellung ist, über Jahre hinweg, zu einer wahrlichen | |
Bewunderungshaltung ausgebaut worden, angefeuert von Politikern, die eine | |
Chance witterten, die eigene Popularität zu stärken. | |
Tony Blair schließlich führte einen „Veterans Day“ ein, später „Armed | |
Forces Day“ genannt. Dieser Tage Kritik an „unseren Jungs“ in der Armee zu | |
üben, das ist fast eine Sünde wider den Heiligen Geist. Eine solche | |
Entwicklung lässt sich auch in Deutschland befürchten; die ersten Schritte | |
sind getan. Dabei ist es doch, wenn man sich die Sache recht überlegt, | |
bizarr. | |
## Kritik muss machbar sein | |
Wir fühlen uns ganz unbefangen dabei, gegen jede Sektion der Gesellschaft | |
Kritik zu üben, selbst gegen diejenigen, deren Beruf es ist, Leben zu | |
retten – von Krankenpflegern bis zu Feuerwehrleuten. Nur Veteranen sollen | |
ohne jede Einschränkung gefeiert werden. Dabei ist es gerade hier wichtig, | |
das eigene Denken nicht vor der Tür zu lassen. Es gibt sie, die Soldaten, | |
denen die Gesellschaft viel schuldet, in einigen Fällen ihr eigenes | |
Überleben. | |
Es gibt die Sanitäter, die, ohne Waffen und unter Einsatz des eigenen | |
Lebens, verwundete Soldaten retten. Aber jeder militärische Konflikt birgt | |
auch Potenzial für Missbrauch und Menschenrechtsverletzungen. Und es gibt | |
daher auch Angehörige der Streitkräfte, die selber in Kriegsverbrechen | |
verstrickt sind. | |
Der Folterskandal im Gefängnis [3][Abu Ghraib im Irak], in dem US-Personal | |
involviert war, und die Untersuchungen des Internationalen | |
Strafgerichtshofes zu britischen Kriegsverbrechen im selben Land zeigen, | |
dass selbst Streitkräfte einer Demokratie an solchen Taten beteiligt sein | |
können. | |
Kritikfähigkeit ist ein Gut, das nicht leichtfertig um eines Feiertags | |
Willen geopfert werden darf. Militäreinsätze können notwendig sein – selbst | |
die Charta der Vereinten Nationen akzeptiert das und erlaubt solche | |
Einsätze in engen Grenzen (im Fall der Selbstverteidigung und wenn ein | |
Staat mit Autorisierung des UN-Sicherheitsrates handelt). Die Schöpfer der | |
UN waren keine unrealistischen Träumer: Sie sahen militärische Gewalt als | |
einen Schritt, der manchmal unausweichlich ist. Ein Grund zum Feiern ist er | |
nicht. | |
Und es gäbe Alternativen zu einem Veteranentag. Ein befreundeter Arzt, der | |
Afghanistan Veteranen behandelte, schlug einen Tag vor, um [4][„Ärzte ohne | |
Grenzen“] zu ehren, die Organisation, die schon seit Jahrzehnten | |
medizinische Hilfe in Kriegsgebieten leistet und mit dem Friedensnobelpreis | |
ausgezeichnet wurde. Für Völkerrechtler klingt das nach einer großartigen | |
Idee: Sie stellt Personen in den Vordergrund, die sich dem Schutz der | |
menschlichen Unversehrtheit widmen; sie schließt weder eine kritische | |
Bewertung der Militäreinsätze aus noch derer, die an ihnen teilnehmen. | |
Sie hat natürlich keine Aussicht, von der Politik aufgegriffen zu werden. | |
Dafür ist sie zu vernünftig. Und wenn wir darüber reden, Militäreinsätze | |
und Feiern zu verbinden, dann hat die Vernunft schon lange Abschied | |
genommen. | |
15 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Ganz-grosse-Koalition-fuer-Veteranentag/!6006609 | |
[2] https://ga.de/news/politik/deutschland/veteranentag-bekenntnis-zur-truppe-k… | |
[3] /Irakisches-Kriegsgefaengnis-Abu-Ghraib/!5075696 | |
[4] https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/unsere-arbeit/einsatzlaender/afghanistan | |
## AUTOREN | |
Paul Behrens | |
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