| # taz.de -- Auf den Kriegsdienst einstimmen: Antifa statt Bundeswehr | |
| > Den „Veteranentag“ brauche es, für „die Demokratie“. Doch wer die | |
| > wirklich verteidigen will, der sollte lieber bei der Antifa | |
| > vorbeischauen. | |
| Bild: Veranstaltung zum Gedenken an für im Auslandseinsatz gefallene Soldaten … | |
| Deutschland soll kriegstüchtig werden. Dieses Mantra beten | |
| Politiker:innen nun schon, seit Olaf Scholz nach dem russischen | |
| Überfall auf die Ukraine die „Zeitenwende“ ausgerufen hat. Das Land auf | |
| Krieg zu trimmen heißt dabei nicht nur, unzählige Milliarden in die | |
| Produktion von Panzern, Drohnen und Munition zu stecken. Auch ein | |
| Gesinnungswandel soll her. „Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg | |
| ausgehen“ war gestern, heute soll Deutschland „endlich in dieser Welt | |
| Interessen definieren“, wie es Kanzler Friedrich Merz einmal formuliert | |
| hat. | |
| Seither wird fleißig über die Wiedereinführung der Wehrpflicht debattiert | |
| und die Militarisierung der Gesellschaft vorangetrieben. Auch in Berlin ist | |
| das zu spüren. Im [1][Pierburg-Werk im Wedding will Rheinmetall Waffen | |
| produzieren]. Die Bundeswehr wirbt in den Schulen um Nachwuchs. Und am | |
| Sonntag soll auf der Reichstagswiese der erste „Nationale Veteranentag“ mit | |
| einem „Bürgerfest“ begangen werden. Offizielles Ziel: Das „Band zwischen | |
| Bundeswehr und Gesellschaft stärken“ – also die Entscheidung normalisieren, | |
| für Deutschland zu kämpfen, und zu sterben. | |
| Konkret soll ein „Veteranendorf“ errichtet werden. Hier werden wohl | |
| Soldat:innen und Veteranenverbände den Besucher:innen zwischen | |
| Essensständen und Hüpfburgen von Diversität, Kameradschaft und Nervenkitzel | |
| bei der Bundeswehr vorschwärmen. Um dem Truppenaufmarsch vor dem größten | |
| Symbolgebäude der Demokratie einen möglichst parlamentarischen Anstrich zu | |
| geben, soll etwa Bundestagspräsidentin Julia Klöckner kommen. | |
| Wer davon nicht genug hat, kann die Ausstellung „Wounded – The Legacy of | |
| War“ besuchen. Dort zu sehen ist [2][laut Ausstellungsbeschreibung] die | |
| „beeindruckende Charakterstärke und Tapferkeit“ von verwundeten britischen | |
| Soldat:innen, die „ohne zu zögern die Prüfung des Krieges bestanden | |
| haben“ – heißt: Die in Afghanistan und in den Irak einmarschierten – und | |
| die heute „trotz ihrer Beeinträchtigung jeden Tag in Würde weiterleben“. | |
| ## Begeisterung in liberale und grüne Milieus vorgedrungen | |
| Dass eine solche Veranstaltung nur in linken und linksradikalen Kreisen auf | |
| Widerstand stößt, ist kein Zufall. Längst ist die Begeisterung für die | |
| Bundeswehr weit in liberale und grüne Milieus vorgedrungen, auch in der | |
| taz. Begründet wird der neue Militär-Hype dabei mit der russischen Invasion | |
| der Ukraine. Um sich als Demokratie gegen autoritäre Regime wie Russland zu | |
| behaupten, müsse man abschrecken und Verteidigungsfähigkeit demonstrieren, | |
| heißt es. Der Dienst an der Waffe wird so als Verfassungspatriotismus | |
| geframed, als gelebter Antifaschismus. | |
| Große Worte – die bei der Jugend allerdings nur mäßig verfangen. Die | |
| Wehrpflicht wird nämlich vor allem von denen gefordert, die nicht von ihr | |
| betroffen wären. [3][Laut einer YouGov-Umfrage] steigt die Zustimmung zur | |
| Wehrpflicht proportional mit dem Alter: Während 75 Prozent der Menschen im | |
| Rentenalter die Jugend zum Bund schicken wollen, lehnen die Jugendlichen | |
| selbst das mit überwältigender Mehrheit ab. In Deutschland ist es wie | |
| überall: Zwischen denen, die den Krieg fordern, und denen, die ihn | |
| ausfechten sollen, besteht kaum eine Schnittmenge. | |
| Es ist ja auch paradox: Von der Jugend wird erwartet, sie soll ihre | |
| Selbstbestimmung aufgeben, weil ihr sonst die Fremdherrschaft drohe. | |
| Dass diese Logik nicht aufgeht, darauf weist in der öffentlichen Debatte | |
| vor allem einer hin: Ole Nymoen. Unermüdlich lässt sich der Kolumnist und | |
| Podcaster in Talkshows als Vaterlandsverräter beschimpfen, weil er sagt, | |
| dass die Interessen von Herrschenden und Beherrschten nicht identisch sind. | |
| Der deutsche Staat ist eben keine Solidargemeinschaft, sagt Nymoen, sondern | |
| in erster Linie ein Gewaltapparat, der die Interessen von Staat und Kapital | |
| sichert. Für diese zu kämpfen, da sagt Nymoen: „Nein, danke!“ Seinen | |
| Pazifismus fasst er so zusammen: „Ich lebe lieber in Unfreiheit, als für | |
| diese Freiheit zu sterben.“ | |
| ## Die spannendere Frage | |
| Nun macht es natürlich – trotz aller autoritären Tendenzen auch hierzulande | |
| – einen Unterschied, ob man in der Bundesrepublik oder in Putins Russland | |
| lebt. Schließlich sind viele der bürgerlichen Freiheiten in harten sozialen | |
| Kämpfen errungen worden. Es muss der Linken darum gehen, diese Kämpfe | |
| fortzuführen und auszuweiten – statt bereits errungene Erfolge einfach | |
| aufzugeben. Insofern lässt sich das Argument der bedrohten Demokratie nicht | |
| völlig von der Hand weisen. | |
| Die spannendere Frage ist aber doch: Ist die Bundeswehr der richtige Ort | |
| für Menschen, die für die Demokratie kämpfen wollen? Angesichts der | |
| zahlreichen Naziskandale in der Bundeswehr – wohl kaum. Und ist ein | |
| russischer Einmarsch in Deutschland wirklich die größte Bedrohung für die | |
| Demokratie in Deutschland? Wohl auch eher nicht. | |
| Die wirklichen Bedrohungen kommen von innen: Nazis, die ihre politischen | |
| Gegner terrorisieren und dafür Waffen horten, die auch aus den Lagern der | |
| Bundeswehr stammen. Demokratische Parteien, die sich überbieten, um | |
| geflüchtete Menschen zu entrechten. Angriffe auf Grundrechte wie die Rede- | |
| und Versammlungsfreiheit aus Gründen der „Staatsräson“. Das Leben, das si… | |
| die Menschen nicht mehr leisten können, während die Reichen immer reicher | |
| werden. Und so weiter, und so fort. | |
| Die Militarisierung der Gesellschaft ist kein Kampf gegen den | |
| Autoritarismus – sie führt zum Autoritarismus. Und der Kampf gegen | |
| Faschismus ist kein hypothetisches Zukunftsszenario, er wird bereits heute | |
| tagtäglich geführt. Diejenigen, denen es wirklich um die Freiheit und | |
| Demokratie geht, sollten lieber mal bei der Antifa vorbeischauen, statt zur | |
| Bundeswehr zu gehen. | |
| 13 Jun 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Waffenproduktion-in-Berlin/!6084311 | |
| [2] https://steidl.de/Books/Wounded-0307102538.html | |
| [3] https://www.welt.de/politik/deutschland/article255626742/Umfrage-Mehrheit-d… | |
| ## AUTOREN | |
| Timm Kühn | |
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