# taz.de -- Leben in Plattenbausiedlungen: Mehr Miteinander | |
> Plattenbausiedlungen haben einen schlechten Ruf. Dabei gibt es dort oft | |
> Widerstand gegen die Einsamkeit und gegen das Übersehenwerden. | |
Bild: Zu unrecht schlecht gemacht? Hochhaus-Quartier um die Gründgensstraße i… | |
Leser*innen, die diese Kolumne schon öfters gelesen haben, wissen es schon: | |
Ich habe meine Kindheit und Jugend in der Nähe von Damaskus verbracht, in | |
einer kleinen, siedlungsähnlichen Nachbarschaft außerhalb der Stadt. Dort | |
stand ein Haus, in dem nur meine Familie lebte. Hohe Decken, viele Zimmer, | |
ein Nachbar, der jeden Morgen sehr laut den Koran hörte. Die meisten | |
Nachbar*innen waren direkt oder indirekt mit meiner Familie verwandt. | |
Als ich nach Hamburg kam, war mir klar: Alles wird anders. So war es auch | |
dahingehend, wie und wo ich heute wohne. | |
Das Thema Wohnen [1][beschäftigt viele in Hamburg]. Ich denke, ich werde | |
die Liste der damit verbundenen Probleme nicht abschließend nennen können, | |
sie ist lang und die meisten von uns kennen sie gut. Aus meinem | |
persönlichen Umfeld aber habe ich vor Kurzem doch etwas neues gelernt: | |
„Wohnen in der Platte“. | |
Eine befreundete Familie sucht eine größere Wohnung, sie wünschen sich mehr | |
Platz für ihre Kinder. Nach fast einem Jahr und Hunderten Bewerbungen, | |
Besichtigungen und Absagen bekamen sie über Kontakte eine Information: In | |
Steilshoop wird eine Wohnung frei! Genügend Quadratmeter, aber für knapp | |
1.500 Euro Miete im Monat. Kaltmiete. Sie erzählte meiner Frau davon, die | |
sagte erstaunt etwas wie „So viel für ’ne Plattenbauwohnung!?“ | |
Das war das erste Mal, dass ich das Wort „[2][Plattenbau]“ gehört habe. Ich | |
wusste nicht, was es bedeutet, meine Frau konnte es zwar sachlich | |
beschreiben, aber nicht genau, warum man dort automatisch geringere Mieten | |
erwartet. | |
Können eng gebaute Wohnungen aus Beton kein schönes Zuhause sein? Was hat | |
es mit Steilshoop auf sich? Neben Plattenbau habe ich nun auch die Begriffe | |
„Hochhaussiedlung“ und „Systembauweise“ gelernt. | |
Die Woche darauf war ich beruflich in Dresden unterwegs und mir begegnete | |
das Thema wieder. Ich suchte syrische Interviewpartner*innen und kam | |
ins Gespräch, während ich mich in ihrer Plattenbausiedlung umsehen durfte. | |
Von einem Balkon hing eine Palästinaflagge, beim Nachbarn wurde Lammfleisch | |
gegrillt. Auf dem Hof spielten Kinder Verstecken – auf Arabisch. Es war | |
nicht idyllisch, aber es fühlte sich sozial und harmonisch an. Und das | |
zählt auch, oder? Na ja, die Gebäude waren hässlich und schmutzig. Und | |
niemand wollte wirklich was ändern. „Seit 30 Jahren ist hier nichts | |
renoviert worden“, erzählte mir ein alter Mann. | |
Zurück in Hamburg habe ich ein bisschen nachgelesen: Plattenbauten sollten | |
in den 60er-Jahren die Wohnungsnot in der DDR lösen. Günstig und schnell | |
gebaut mit vorgefertigten Betonplatten. „Die Platte“ galt als Zeichen der | |
Fortschrittlichkeit, spätestens nach der Wiedervereinigung war das wieder | |
vorbei. Im Osten wurde die Bauweise zum Zeichen für Stillstand. In | |
Westdeutschland als Ort für die „sozial Abgehängten“. | |
Und heute? Nach meiner kurzen Recherche und ein paar Gesprächen höre ich | |
beim Begriff „Plattenbau“ oft im Subtext mit: arm, migrantisch, asozial. | |
Ähnlich wie bei „Problemviertel“ oder „[3][sozialer Brennpunkt]“. Ich … | |
Steilshoop nicht, auch nicht die anderen Plattenbausiedlungen der Stadt. | |
Aber ich höre die Sprache und denke mir, wir vermischen, wie wir über die | |
Architektur sprechen und wie über die Menschen. Und die Architektur ist | |
schließlich nicht vom Himmel gefallen, sie wurde so geplant und gemacht. | |
Ich habe auch aus den Gesprächen gelernt: In vielen Plattenbauwohnungen | |
leben Menschen seit mehreren Generationen, viele deutsche wie nicht | |
deutsche Bürger*innen, viele Familien, viele Arbeiter*innen. Man kennt | |
sich, unterstützt sich, passt mal auf die Nachbarskinder auf, feiert | |
zusammen Eid al-Adha. Ist das romantisiert? Vielleicht. Gibt es kollektive | |
Strukturen, Widerstand gegen die [4][Einsamkeit] und gegen das | |
Übersehenwerden? Vielleicht mehr in Plattenbausiedlungen als anderswo. | |
30 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Hussam Al Zaher | |
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