# taz.de -- Leben zwischen Leerstand und Plattenbau: Durchlöcherte Stadt | |
> Halle-Neustadt wurde als größte Planstadt der DDR gebaut. Heute bleiben | |
> in der Platte die Ärmeren unter sich. Über die Zukunft wird nun | |
> diskutiert. | |
Bild: Wie sollen wir leben? Ein Supermarkt in Halle-Neustadt | |
Als „Chemiearbeiterstadt“ wurde Halle-Neustadt vor 58 Jahren gegründet. | |
HaNeu, wie das Quartier in Anlehnung an die Hauptstadt des sozialistischen | |
Bruderlands Vietnam auch genannt wird, ist die größte Planstadt der DDR. | |
Seit Jahren hat sie jedoch auch große Probleme: [1][Kriminalität, hohe | |
Arbeitslosigkeit und ein Bevölkerungsrückgang um 50 Prozent, wohnten 1980 | |
doch fast 100.000 Menschen in Halle-Neustadt.] Heute sind es knapp 45.000. | |
Das Zusammenspiel zwischen sanierten, farblich aufgehübschten Hochhäusern | |
und den verfallenden, mittlerweile leerstehenden Wohnblocks ist | |
gleichermaßen beeindruckend wie bedrückend. | |
Wie sich der Stadtteil erhalten und weiterentwickeln lässt, darüber dachte | |
man am Freitagabend im Prisma Cinema Halle-Neustadt bei einer | |
Diskussionsveranstaltung der Hermann-Henselmann-Stiftung nach. Über | |
einzelne Wortbeiträge kam man freilich kaum hinaus, dafür war der Abend mit | |
neun Gästen plus Moderator und Vorsitzenden der Stiftung, Thomas Flierl | |
etwas zu überfrachtet. | |
Grünen-Stadtrat Christian Feigl betont gleich zu Anfang, dass sich das | |
Wohnklima in HaNeu in den letzten Jahren deutlich verbessert hätte. Auch | |
sei die Stadt Teil des Wettbewerbs „Zukunftsstadt 2050“, was ausformuliert | |
bedeutet, dass Halle-Neustadt, vor dem Mauerfall eigenständige Stadt, eines | |
der „bedeutsamsten Nachwende-Konversionsprojekte in Ostdeutschland“ werden | |
soll. Etwas konkreter stellt René Rebensdorf, Beigeordneter für | |
Stadtentwicklung (parteilos), die Neubauplanungen vor. | |
Der Campus Kastanienallee soll Schulen mit Lernorten für Erwachsene | |
verbinden, zudem soll eine leerstehende Kaufhalle zu einem | |
Begegnungszentrum für Senior:innen umfunktioniert werden. Für die | |
„soziale Mischung“ werden in HaNeu pyramidenartige Terrassenhäuser | |
(däschler architekten & ingenieure) gebaut, die wohl Bessersituierte in den | |
Westen von Halle ziehen sollen. | |
## Die soziale Mischung | |
Es ist erwähnenswert, wie sich der Gedanke der „sozialen Mischung“ über d… | |
Jahre und im Wechsel der politischen Systeme wandelt. Galten die | |
Plattenbauten zu DDR-Zeiten doch an sich als inklusiv; der viel zitierte | |
Professor, der neben dem Schichtarbeiter lebt, die Wohnraumvergabe | |
gesichert durch ein staatliches Punktesystem, nicht im Wettbewerb um das | |
höchste Einkommen. Die „soziale Mischung“ im Stadtteil wird durch den Zubau | |
von höherpreisigen Wohnungen sicher gewährleistet, in der Platte bleiben | |
die Ärmeren trotzdem unter sich. | |
Energetisch scheint es auf den ersten Blick fragwürdig, neue Häuser zu | |
bauen, wenn überall in Halle-Neustadt abgerissen wird. Doch Abriss ist | |
notwendig, der Gedanke, in einer halbvollen Platte zu wohnen, gar als | |
letzter das Licht auszumachen, ist gespenstisch. An Wohnraum mangelt es in | |
HaNeu ja auch nicht, es sind vielmehr die sogenannten dritten Orte, Cafés, | |
Kulturhäuser, Freizeitzentren, die man vergeblich sucht. | |
Die fehlten in der Planstadt seit jeher, sagt Guido Schwarzendahl, Vorstand | |
der Bauverein Halle & Leuna eG. Er lobt den stadtplanerischen | |
Gestaltungswillen der DDR und findet, in Halle-Neustadt müsse man „diese | |
Planungen endlich fertigstellen“. „Ein architektonisches Verbrechen“ nann… | |
wiederum Brigitte Reimann in ihrem [2][posthum erschienen Roman „Franziska | |
Linkerhand“] Halle-Neustadt schon im Entstehen. | |
## Freiflächen für Natur | |
Nimmt man in einer schrumpfenden Stadt Abrissarbeiten vor, geschieht dies | |
normalerweise von außen nach innen. Das Prinzip der „perforierten Stadt“, | |
das seit einigen Jahren und vor allem nach dem Mauerfall diskutiert wird, | |
sieht jedoch „Rückbau“ punktuell und innerstädtisch vor. So sollen | |
Freiflächen für Natur gewonnen werden, die wieder ganz nah an die | |
Wohngebiete herangeführt wird. In Leipzig sind so etwa urbane Wälder im | |
Stadtgebiet entstanden. | |
Auch in Halle-Neustadt ist es trotz der grauen Wohnblocks ziemlich grün, | |
Parks und Seen durchziehen das Gebiet. Ein Skatepark, der seit 2009 Skater | |
aus dem Umland anzieht und in den nächsten Jahren erweitert wird, entzerrt | |
das Wohnbild ebenfalls. | |
Neben dem Abriss ist in Halle-Neustadt noch ein anderes Thema im Gespräch. | |
Die sozialistischen Bauten unter Denkmalschutz zu stellen, hält Ulrike | |
Wendland, Geschäftsführerin des Deutschen Nationalkomitees für | |
Denkmalschutz, für eine gute Idee. Widerspruch kommt von | |
Architekturkritiker Wolfgang Kil. Die dringendste Frage laute doch, wie | |
sich Halle-Neustadt verändern lässt, meint er. Wie das konkret zu schaffen | |
ist, dafür findet man auch an diesem Freitagabend keine zufriedenstellende | |
Lösung. | |
4 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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