# taz.de -- Migranten in Halle nach dem Attentat: „Kiez-Döner“ und der Mord | |
> In Izzet Cagac' Imbiss in Halle hat vor drei Wochen ein Rechtsradikaler | |
> einen Menschen erschossen. Wie sich das Leben für Cagac seitdem verändert | |
> hat. | |
Bild: „Wir sind eins“, sagt Izzet Cagac. Links Ismet und Rifat Tekin, recht… | |
HALLE taz | Als Izzet Cagac und seine Freunde um Punkt vier an der | |
Merseburger Stadtkirche ankommen, ist der Marktplatz mit Menschen gefüllt. | |
Die Menschen umschließen den Springbrunnen, die Imbissbude und auch die | |
roten Pflastersteine sind kaum zu sehen. Auf einer Leinwand und mittels | |
einer Soundanlage wird die Gedenkfeier aus dem Innenraum der Kirche | |
übertragen. Public Viewing wie beim Fußball. | |
Männer mit Glatzen und Basecaps in Rot-Weiß und Frauen mit ausgewachsener | |
Blondierung stechen aus der Masse älterer Männer und Frauen in Beige und | |
Schwarz heraus. Sie schauen starr nach vorn, wenn sie nicht gerade | |
Zigaretten stopfen. „Nur zusammen“ steht auf den T-Shirts einiger – das | |
Motto der Fans des Halleschen Fußballclubs. Die Menschen trauern um den | |
20-jährigen Merseburger Kevin S., Fan des Fußballvereins wie sie, der am 9. | |
Oktober in einem Döner-Imbiss im hallensischen Paulusviertel von einem | |
Rechtsradikalen erschossen wurde. | |
Izzet Cagac ist der Eigentümer des Kiez-Döners, in dem Kevin S. starb. Der | |
41-Jährige will, dass nun alle zusammenhalten. Deshalb ist er mit seinen | |
Angestellten Ismet und Rifat Tekin und seiner Freundin Myriam Skalska zu | |
der Gedenkfeier erschienen – auch wenn sie hier gemeinsam mit Menschen | |
trauern, die eher im rechten politischen Spektrum verortet werden können. | |
Izzet Cagac hat auf seinem Facebook-Account Rechte wie Linke dazu | |
aufgerufen, zueinander zu finden, anstatt von Hass erfüllt zu sein. „Wenn | |
auch Rechte sich von der Tat distanzierten, hätte Kevins Mörder im | |
Gefängnis niemanden mehr, wüsste nicht mehr, wofür er gekämpft hätte“, s… | |
Cagac. | |
Während der 90-minütigen Trauerfeier hält ein glatzköpfiger Mann neben | |
Cagac eine mehrere Meter lange Fahne des Halleschen Fußballclubs. Als der | |
Sarg aus der Kirche getragen wird, laufen Cagac, Skalska und die | |
Tekin-Brüder hinter Kevins Familie her. Es fängt an zu regnen. „Wir haben | |
eine schreckliche Tat erlebt, aber die anderen auch. Wir werden das alle | |
gemeinsam schaffen“, sagt Ismet Tekin. Izzet Cagac spricht einem Hooligan | |
des Halleschen FC sein Beileid aus. | |
## Beim ersten Anruf glaubte Cagac an einen schlechten Scherz | |
Am 9. Oktober gegen Mittag lag Izzet Cagac noch im Bett. Er war in die | |
Türkei geflogen, befand sich im Haus seines kranken Vaters am Fuße des | |
Ararats. Das Smartphone piepte auf dem Nachtschrank. Seine Freundin Myriam | |
Skalska schickte ihm eine Nachricht: Hier liegt ein Toter. Erst hielt er es | |
für einen schlechten Scherz. Erst als Cagac „Halle“ googelte, fing er an zu | |
begreifen. | |
Ein schwer bewaffneter 27-jähriger Mann hatte in Halle zwei Menschen | |
getötet, nachdem er damit gescheitert war, in die voll besetzte Synagoge | |
einzudringen. Vor dem Gotteshaus erschoss er zunächst die Passantin Jana L. | |
Dann fuhr er wenige hundert Meter weiter bis zu Cagacs Imbiss. „Döner, nehm | |
wa“, sprach er. Und erschoss Kevin S., der sich dort zur Mittagspause | |
aufhielt. Es war sein achter Arbeitstag als Maler in Festanstellung. | |
Neun Tage später, es ist ein Freitag, springt Izzet Cagac aus einem Taxi, | |
das einige Häuseraufgänge von seinem Laden entfernt angehalten hat. Der | |
schmale Mann trägt Jeans, ein dunkelblaues Hemd, eine schwarze Jacke. Er | |
sieht die neongelben Markierungen an Häuserwänden, auf Fußwegen und der | |
Straße. Hier sind die Kugeln des Täters eingeschlagen. Nasses Laub klebt | |
auf den Fußwegplatten. Im Laufe des Tages wird der Regen die Spuren weiter | |
verwischen. Anstatt zu seinem Imbiss geht Izzet Cagac zur Bäckerei auf der | |
anderen Straßenseite. Wie es in seinem Geschäft aussieht, am Tatort, weiß | |
er bis jetzt nur von den Bilder auf seinem Smartphone. „Deswegen trau ich | |
mich gar nicht dahin“, sagt er. Izzet Cagac kehrt zurück in seinen Alltag, | |
in dem nichts mehr ist, wie es war. | |
Vor dem Kiez-Döner bauen sich Fernsehteams auf. Izzet Cagac ist unruhig. Am | |
Telefon hatte er vorher gesagt: „Ich kann das nicht, aber ich hab ja | |
gesagt, ich lasse mich dort blicken.“ Cagac sieht es als seine Pflicht an, | |
seine Stimme zu erheben. Er hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf | |
Facebook gebeten, eine persönliche Beileidsbekundung auszusprechen. Der | |
Bundespräsident rief kurz darauf bei ihm an. Das machte Izzet Cagac | |
bekannt. Für seine Haltung. Für seine Forderung nach Beachtung. Es kommt | |
nicht allzu oft vor, dass ein Mensch mit Migrationsgeschichte den Deutschen | |
sagt, was sie zu tun haben. | |
## Der Ministerpräsident am Tatort | |
Als er an diesem Tag in Halle ankommt, braucht er zuerst ein Feuerzeug für | |
seine Zigarette, dann einen Kaffee und auch dann dauert es noch ein paar | |
Minuten, bis er mit seinen blutunterlaufenden Augen einen Punkt fixieren | |
kann. Er nimmt an einem Klapptisch vor der Bäckerei Platz, auf dem ein | |
schwarzer Aschenbecher steht. Inzwischen ist es fast zu kalt, um draußen zu | |
verweilen. Izzet Cagac zieht erneut eine Zigarette aus der rot-weißen | |
Schachtel und zündet sie mit dem Stummel der alten Zigarette an. | |
Es ist dreiviertel zwölf. Für zwölf Uhr hat sich Sachsen-Anhalts | |
Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) angekündigt. „Ich find’s schön, | |
dass er erscheint“, sagt Cagac. Der Kiez-Döner ist eines von vier | |
Geschäften, die ihm gehören. „Vorn am Markt“ und auf der Merseburger Stra… | |
seien es zwei weitere, und ganz in der Nähe ein Späti. | |
Als Cagac 1999 von Berlin nach Halle kam, hat er „erst gearbeitet, | |
irgendwann ein kleines Geschäft aufgebaut, und dann ging es weiter. Aber | |
ich hab Rückendeckung. Ich hab extreme Rückendeckung.“ Er redet von Ismet, | |
Rifat und seiner Partnerin Myriam Skalska. „Wir sind alle eins. Es gibt | |
nicht Ismet, Rifat, Myriam. Es gibt nur wir.“ | |
Halles Geschichte rassistischer Angriffe ist lang. Seit 2015 wurden in der | |
Stadt an der Saale mehr rassistisch motivierte Gewalttaten registriert als | |
in jedem anderen Kreis Sachsen-Anhalts. 2016: Ein Minderjähriger im | |
Thor-Steinar-Shirt ersticht einen 24-Jährigen im Park, weil der ihm keine | |
Zigarette geben will. 2017: Nach der Maidemonstration, Neonazis machen Jagd | |
auf Blockierer. Anklage: zweifacher versuchter Totschlag, Urteil: | |
gefährliche Körperverletzung. 2018: Halle-Neustadt, zweimal Schüsse auf die | |
Moschee in nur einem Jahr. Im vergangenen Jahr waren es laut Monitoring der | |
mobilen Opferberatung 39 rassistisch motivierte Gewalttaten. Und jetzt das. | |
## Ein Ort, an dem man keine Angst zu haben glaubt | |
In den knapp zwanzig Jahren in Halle ist Izzet Cagac nie Opfer eines | |
rassistischen Angriffs gewesen. Selbst an Beleidigungen kann er sich nicht | |
erinnern. Cagac ist durch seine Läden bekannt. „Ich bin wie deutsch. Ich | |
bin hier geboren. Ich kann nicht sagen, dass ich Migrant bin.“ | |
Das Paulusviertel, in dem die Synagoge und der Kiez-Döner liegen, ist | |
eigentlich eine Wohlfühlblase der Stadt. Obwohl zwischen einigen Häusern | |
auch verfallene Altbauten stehen, ist es für hallensische Maßstäbe | |
durchgentrifiziert. Die Fassaden rund um die Pauluskirche sind frisch | |
verputzt. Die Straßenbahn rattert an Ladengeschäften vorbei, in denen | |
veganes Streetfood auf der Karte steht. Der Waldorfkindergarten ist nicht | |
weit. Hier fühlt man sich sicher. | |
Der Mordanschlag auf sein Geschäft hat nichts an Cagac' Grundgefühl | |
geändert – im Gegenteil, sagt er. Über Facebook bekommt er viele | |
Nachrichten und Zuspruch. „Ich bin mir sicher, dass einige davon auch | |
rechts sind und trotzdem schreiben: Hey, wir stehen hinter euch.“ Das | |
rassistische Motiv des Täters sieht Cagac nicht als vordergründig an. | |
„Glaub mir, das ist mir einfach egal“, sagt er und winkt ab. Aus seiner | |
Sicht hätte es jeden treffen können. Für gewöhnlich sitze er selbst an dem | |
Tisch, der vom Täter als Erstes ins Visier genommen worden war. Immer | |
wieder schaut Cagac unruhig zu seinem Geschäft auf der anderen Seite der | |
Straße. | |
Danach wird Izzet Cagac nicht allein auf diese Straßenseite gehen. Ismet | |
Tekin, der am Tag des Mordes mit seinem Bruder Rifat hinter der Theke | |
stand, tritt an seinen Tisch heran. Er trägt den gleichen grünen Parka wie | |
auf den Fotos nach dem Attentat. Seine Augenringe sind in der vergangenen | |
Woche noch dunkler geworden. Die beiden Männer umarmen sich kurz, aber | |
fest. Dann setzt sich Tekin auf einen Stuhl ganz nah neben Cagac. Sie reden | |
türkisch, halten inne. „Jetzt bin ich gerade vom Flughafen gekommen und hab | |
nicht mal ’ne scheiß Blume“, bricht Cagac das Schweigen. Er zieht eine | |
Serviette aus seiner Jackentasche und beginnt sie geschickt zu einer Tulpe | |
zu modellieren. | |
## Izzet Cagac und seine Freunde in der Bäckerei | |
Izzet Cagac legt den Arm um seinen schweigenden Freund, küsst ihn auf die | |
Wange und rückt ihm die Fellkapuze zurecht. „Meine Familie war schon groß�… | |
sagt Cagac nach einer Weile, „jetzt ist sie viel größer geworden.“ Er sei | |
überwältigt von der Solidarität: „Ich hab immer gedacht, wir sind alleine.… | |
Sein linkes Auge zuckt erschöpft. Eine zierliche Frau kommt an den Tisch. | |
Myriam Skalskas schwarze, lockige Haare sind streng zurückgebunden. Die | |
dunklen Augen sind vor Anspannung verengt. Sie umarmt Cagac lang, küsst ihn | |
flüchtig. Ihre dünnen Beine tippeln unruhig auf der Stelle, sie will nicht | |
sitzen. „Sitzen ist nicht gut, stehen ist nicht gut.“ Nichts ist mehr gut. | |
Noch die eine Kippe, dann gehen sie rüber zum Kiez-Döner. | |
Rings um den Imbiss hat die Polizei ein rot-weißes Plastikband gespannt. Um | |
den Stamm des jungen Baumes vor dem Geschäft sind bis in zwei Meter Höhe | |
rot-weiße Fanschals des Halleschen Fußballclubs geknotet. Vor dem Laden | |
stehen noch drei rot-weiße Sonnenschirme an kleinen Klapptischen. Davor | |
flattern Hunderte Grablichter und leuchten ebenso viele aufgereihten | |
Blumensträuße, die von nassem Laub ummantelt keine Sichtlücke zum Asphalt | |
zulassen. | |
Als Izzet Cagac und seine Freunde die Straße überqueren, fragt er die | |
Reporterin mit gesenktem Kopf: „Denkst du, es ist okay, wenn wir gleich | |
beten? Richtig mit den Händen hoch? Nicht, dass das falsch ausgelegt wird. | |
Wegen Islam und so.“ Als Cagac mit Tekin und Skalska die gebastelte Blume | |
am Tatort ablegt, wird er von Kameras umringt. Sie beten nicht, zumindest | |
nicht sichtbar. | |
## Opferberaterin Antje Arndt hilft | |
Rifat Tekin kommt mit einer kurzhaarigen Frau hinzu. Es ist Antje Arndt von | |
der Mobilen Opferberatung Sachsen-Anhalt. Sie betreut das Team des | |
Kiez-Döners seit dem Anschlag. Arndt leistet Beistand, erklärt, wer was von | |
ihnen möchte und trägt dabei einen Rucksack voll mit Formularen auf ihrem | |
schmalen Rücken. | |
Um 12.15 Uhr hält ein großer grauer BMW vor dem Kiez-Döner. In Begleitung | |
von Bodyguards steigt Ministerpräsident Reiner Haseloff aus dem Wagen. | |
Kameras klicken. Haseloff verschwindet mit Cagac, Skalska, den | |
Tekin-Brüdern und Antje Arndt im Hinterhof. Der Fahrer parkt den BMW an der | |
Ecke zur Schillerstraße, genau dort, wo acht Tage zuvor der Täter seinen | |
Leihwagen anhielt, um im Imbiss von Izzet Cagac zu morden. | |
Als die vier, Arndt und Haseloff später wieder aus dem Hinterhof | |
hervorkommen, verschwindet der Ministerpräsident nach einigen Fotos ohne | |
Kommentar. Die anderen gehen zurück zum Bäcker gegenüber. Ismet Tekin legt | |
seinen Arm um Arndt, die in den letzten Tagen von großer Bedeutung für die | |
Opfer war. „Als Betroffener einer solchen Gewalttat kommt zu dem Schock | |
noch so viel Papierkram dazu. Das können die gerade gar nicht“, sagt sie | |
auf die Brüder deutend. | |
Der Kiez-Döner ist noch immer polizeilich als Tatort gesichert. Die Tür ist | |
verriegelt. Die Miete, Lieferanten, die Löhne und der Sachschaden müssen | |
bezahlt werden. Der Bund sei dafür nicht zuständig, erklärt Arndt. Und noch | |
ist nicht klar, ob die Brüder bis zur Wiedereröffnung Mitte November in der | |
Verfassung sind, wieder hinter dem Tresen zu stehen. Und dann bleibt da | |
noch die Angst, dass trotz aller Solidarität niemand an einem Ort essen | |
möchte, an dem ein Mord stattfand. | |
Einige Tage später wird Izzet Cagac entscheiden, den Imbiss Ismet und Rifat | |
Tekin zu schenken, die das Attentat miterleben mussten. Er meint, er müsse | |
etwas Gutes für sie tun. | |
Die Tekin-Brüder und Antje Arndt nehmen jetzt im hinteren Teil der Bäckerei | |
an drei kleinen Tischen Platz. Sie reichen Papiere und Visitenkarten herum, | |
diskutieren das Auftreten der Presse und notieren Daten. Izzet Cagac steht | |
noch vor einer Fernsehkamera, Skalska telefoniert vor der Tür, kommt kurz | |
herein und geht wieder. Sie ist die Kommunikationszentrale, hält die | |
Geschäfte aufrecht und arbeitet die lange Liste an Aufgaben ab. Es gibt | |
viel zu tun. Ein Schadenersatzantrag muss ausgefüllt, Termine müssen | |
bestätigt werden. | |
Myriam Skalska läuft rauchend vor der Bäckerei auf und ab. Eine Bekannte | |
hält an, spricht ihr ihr Beileid aus. Die junge Frau fragt, wann der | |
Kiez-Döner wieder öffnen würde. „Es ist ’ne Gedenkstätte. Das geht nicht | |
sofort – moralisch und psychologisch“, sagt Skalska. Als sie in den | |
Hinterraum der Bäckerei geht, macht sie auf halbem Weg kehrt. „Oha nee, ich | |
brauch Zucker.“ Kurz darauf hält ihre kleine kräftige Hand einen Teller mit | |
einem riesigen, mit Glasur überzogenen Pfannkuchen. Sie wirft sich sich auf | |
die braune Lederbank hinter den drei Tischen und reißt ihre Jacken auf. | |
„Guck mal, zwei dicke Jacken, dabei ist es gar nicht so kalt.“ | |
„Ich hab voll viel abgenommen. Ich bin ja nur noch auf Kaffee und | |
Zigaretten. Und Alkohol“, sie schlafe kaum noch. „Ich bin im | |
Funktionsmodus, deshalb bin ich auch so ’n bisschen gereizt.“ Sie fängt an, | |
den Pfannkuchen in Stücke zu reißen, rutscht auf ihrem Platz hin und her. | |
Sie ditscht den Teig der einen Seite in das Pflaumenmus der anderen, wirkt | |
fast kindlich in ihrer Unruhe. Dazu sagt sie: „Ich kann einfach nicht mit | |
Messer und Gabel essen. Ist vielleicht so ’n Kanackending.“ | |
Sie erzählt vom Treffen mit Haseloff. Wie er gefragt habe, wie lange sie | |
schon in Halle lebten. Die Jungs ein paar Jahre. Skalska selbst ist 24, in | |
Halle geboren und aufgewachsen. Vielleicht hat es ihn überrascht. Skalska | |
hat von Kindesbeinen an Deutsch gelernt, akzentuiert es aber leicht | |
arabisch, denn ihr Vater stammt aus dem Jemen. Haseloff habe dann nur noch | |
von ihrem Stadtteil geredet und was er alles gemacht habe. „Irgendwie | |
komisch“, fand sie das. Daraufhin hat sie ihn einfach „richtig frech | |
unterbrochen“. Sie möge ihn trotzdem, er sei „irgendwie niedlich“. Seit … | |
Anschlag wollen viele ältere weiße Männer mit ihr sprechen. Sie erinnert | |
sich an einen anderen, den Bundesbeauftragten für Opferberatung: „Der hatte | |
einen Joop-Mantel an. Da dachte ich mir: Okay, der hat Asche.“ Alle lachen. | |
## Wie Myriam Skalska sich um „ihre Jungs“ kümmert | |
Das ist nur ein Moment von vielen, an denen sie ihr angespanntes Umfeld zum | |
Lachen bringt. Ansonsten redet sie viel im Befehlston, sagt den anderen, | |
was sie zu tun hätten. „Ich muss die Jungs hier irgendwie aufrechterhalten, | |
weil die mir sonst echt wegklappen. Ich habe echt das Gefühl, dass Frauen | |
in solchen Situationen einfach mental stärker sind und klarer denken können | |
als die Jungs.“ | |
Als Izzet Cagac endlich in das Café kommt, ist er kaum ansprechbar. Sein | |
Blick ist starr, er hört nicht mehr auf seinen Namen. In den letzten neun | |
Tagen hat er vielleicht zwei Stunden geschlafen. Auch Skalska war die ganze | |
Nacht wach. Sie saß an der Späti-Kasse, hat gearbeitet und getrunken. „Vor | |
meinen Kunden muss ich ja so tun, als wäre nichts.“ Rifats Kopf kippt zur | |
Seite, seine Augenlider fallen halb zu. Cagac ist wieder mit seinem Handy | |
vor der Tür. Skalska fasst sich an den Kopf: „Guck mal, wir sind komplett | |
durch.“ | |
Ismet Tekin bringt Kaffee für alle. Cagac kommt, flucht, holt Skalskas | |
Handy, geht wieder. Sie haben gelernt, wie wichtig es ist, jetzt | |
aufeinander zu achten. Skalska schüttelt drei längliche Zuckertüten, reißt | |
sie mit einem Ratsch auf, kippt sie kopfüber in ihren Kaffee. Das Gleiche | |
noch mal, ratsch, für Cagacs Kaffee. Ismet beginnt eine Kondensmilchpackung | |
nach der anderen zu öffnen und in Cagac' Tasse zu füllen. | |
Rifat Tekin lacht: „Wo kommt das jetzt alles her“ – „Na von den anderen… | |
sagt Skalska und deutet auf die Tassen der Reporterin, der Fotografin und | |
der Opferberaterin. Als sie Cagac' Kaffee umrührt, stupst sie ihn an. „Was | |
los? Sauer oder süß, mh?“ Wann das Leben wieder normal sein wird? Ismet | |
Tekin zuckt mit den Schultern. | |
## 150.000 Aufrufe bei Facebook | |
Als Skalska das Auto in Richtung Merseburg lenkt, tippt sie einen Termin in | |
ihr Handy. An einer roten Ampel trommelt sie unruhig auf dem Lenkrad. Die | |
Trauerfeier für Kevin S. ist ihnen wichtig. Sie haben Angst, zu spät zu | |
kommen. Bisher hatte es keinen Kontakt zu den Angehörigen der Opfer | |
gegeben. Izzet Cagac will ihn aufbauen, falls die Angehörigen es zulassen. | |
Er überlegt, seinen Laden umzubenennen, in JAKE – für Jana und Kevin, die | |
beiden Mordopfer. Zur jüdischen Gemeinde möchte er auch noch gehen. Cagac | |
verteilt Likes für Kommentare auf Facebook. 150.000 Aufrufe, sagt die | |
Statistik. Bei Google sind es über 250.000. Skalska lehnt sich in den | |
schwarzen Ledersitz und tritt aufs Gaspedal. | |
29 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Pia Stendera | |
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