# taz.de -- Antisemitismusdebatte in Deutschland: Platz machen, hinhören | |
> Nach dem Terror von Halle fragt sich Deutschland, wie es den Juden | |
> hierzulande geht. Wo ist dieses Interesse an ihnen, wenn nichts passiert? | |
Bild: Dass es Zäune vor Synagogen braucht, sollte uns den Magen umdrehen | |
Gerade wird mal wieder nicht nur über die Juden in Deutschland gesprochen, | |
einige von ihnen kommen sogar [1][selbst zu Wort]. Wie immer, wenn etwas | |
passiert ist. Sonst aber fehlt ihre Stimme viel zu oft. Dabei wird es, zum | |
Glück, langsam fast normal, dass Frauen, Ostdeutsche, Migranten [2][eine | |
Stimme haben], die auch gehört wird, dass sie den Diskurs zu egal was | |
mitbestimmen. | |
Juden fragt man nach ihrer Meinung zum Antisemitismus und zu Israel, ganz | |
gleich, ob sie Deutsche, Franzosen, US-Bürger oder tatsächlich Israelis | |
sind (Hauptsache, sie distanzieren sich von Netanjahu und seiner Regierung | |
oder haben sonst etwas Bequemes zu sagen). | |
Am liebsten aber sind den meisten sowieso die sechs Millionen Juden, die | |
nicht mehr mit eigenen Ansichten ankommen. An die erinnern wir Deutschen | |
uns gern, sie können nichts mehr fordern, fragen, wollen. Gerade weil sie | |
Opfer waren, die man beweinen kann, rühren sie nicht so unangenehm am | |
eigenen Gewissen. Und sie geben uns, den Deutschen, in einem seltsamen | |
historischen Hütchenspiel die – scheinbare! – Legitimation, heute, | |
geläutert und „wieder gut“, zu wissen, was gut für die Juden ist. Linke | |
Ansichten etwa, und natürlich Polizeischutz vor ihren Synagogen, Schulen, | |
Kindergärten. | |
Teil des Problems ist, dass sich uns nicht der Magen umdreht angesichts der | |
Tatsache, dass es diesen Schutz überhaupt braucht. Und nicht erst das | |
Attentat in Halle hat gezeigt, wie dringend es ihn braucht, erst zwei Tage | |
zuvor hatte ein Mann mit einem Messer versucht, in die Neue Synagoge in | |
Berlin einzudringen. Damit sich das irgendwann ändert, braucht es [3][nicht | |
weniger Polizeischutz], ganz sicher nicht. Aber es braucht auch nicht: | |
[4][Demos], Lichterketten, gemeinsames Kippa-Tragen. | |
Es braucht Interesse an jüdischen Stimmen, nicht nur, wenn die Gegenwart | |
mal wieder daran erinnert, dass der Antisemitismus noch nie weg war. Dafür | |
braucht es Platz für Juden auf Podien, auf Zeitungsseiten, Sendeplätzen und | |
am besten auch auf der eigenen Wohnzimmercouch. | |
Nur wer Freund ist, ist kein Fremder mehr. Damit man zu Freunden wird, | |
braucht es – das haben wir mit den Frauen, Ostdeutschen und Migranten ja | |
auch fast kapiert – echte Auseinandersetzung, kein Beschützen, Bestaunen, | |
Bemitleiden. | |
Unbequemerweise ist das nichts, was man [5][der Politik überhelfen] kann. | |
Die muss tatsächlich mehr Schutz gewährleisten. Aber der entbindet keine | |
gesellschaftliche Mehrheit von der lästigen Aufgabe, Platz zu schaffen im | |
Kopf und im Herzen für die Ansichten anderer, oder davon, sich selbst mal | |
nicht so wichtig zu nehmen. | |
24 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ariane Lemme | |
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