| # taz.de -- Trauer um die Opfer von Halle: Kevin und seine Freunde | |
| > In Halle wurde Kevin S. erschossen, der zur eher rechten „Saalefront“ | |
| > gehörte. Seine Kumpels schließen sich dem antirassistischen Trauerzug an. | |
| Bild: Die Freunde von Kevin S. in Halle vor der Gedenkdemo | |
| Halle taz | Es hat geregnet in Halle. Nach Tagen, an denen man das Blut von | |
| Jana L. noch vor der Synagoge sah, hinter dem Absperrband auf dem Pflaster. | |
| Und Nächten, in denen die Kerzen vor der Synagoge, [1][am Marktplatz] und | |
| vor dem Kiez-Döner brannten. Die Blumen drumherum liegen jetzt nass da, | |
| umgeben von Blättern, die der Wind angeweht hat. | |
| [2][Am 9. Oktober wurden in Halle zwei Menschen erschossen]. Jana L. vor | |
| der Synagoge und Kevin S. in einem türkischen Imbiss. Sie waren nicht | |
| gemeint und sind tot. Gemeint waren die Jüdinnen und Juden in der Synagoge, | |
| in die der rechtsextreme Attentäter nicht hineinkam. | |
| Durch eine Glasscheibe mit Einschussloch sieht man den Döner noch, den | |
| Kevin S. bestellt hat, er steht auf der Theke, daneben die Cola. „Seine | |
| Jacke ist noch da drin“, sagt ein Freund des Ermordeten, der seit der Tat | |
| jeden Abend vor dem Kiez-Döner verbringt. „Es sieht so aus, als käme er | |
| gleich raus.“ | |
| Kevin S. war 20, Maler, er arbeitete in der Nähe des Kiez-Döners und hatte | |
| gerade Mittagspause. Vor allem war er Fußballfan, er liebte den Halleschen | |
| FC, hatte HFC-Bettwäsche, HFC-Poster an der Wand, HFC-Pullover an. | |
| In Videos, die in sozialen Netzwerken zu finden sind, singt er HFC-Lieder, | |
| „ich fahr für dich, egal wohin, Chemie du bist mein Lebenssinn.“ Chemie | |
| Halle hieß der Verein, bevor er 1991 zum HFC wurde, viele nennen ihn noch | |
| immer so. Er singt Playback auch Liebeslieder, macht Cloud-Rap nach und | |
| singt „Das ist das Land der Vollidioten“ von Freiwild: „Das ist das Land | |
| der Vollidioten, die denken, Heimatliebe ist gleich Staatsverrat. Wir sind | |
| keine Neonazis und keine Anarchisten, wir sind einfach gleich wie ihr, von | |
| hier.“ | |
| ## Kevin S. war Fan vom Halle FC | |
| Am Samstag nach dem Tod von Kevin S. spielt der Hallesche FC gegen den SG | |
| Rot-Weiß Thalheim. Auswärtsspiel. Es gibt Wurst mit Mostrich, Bier und | |
| Sonne, die Fußballer klackern mit ihren Stollen über den Asphalt, von der | |
| Umkleide bis zum Rasen. Es sind Fans da, Kinder, Alte, Ultras. | |
| Während die Spieler sich aufwärmen, versuchen die Ultras in der | |
| HFC-Fankurve eine Zaunfahne anzubringen, ein schwarzes Tuch, es flattert, | |
| lässt sich nicht festbinden. „Das ist wie mit einer Tischdecke im Wind“, | |
| sagt einer. „Aber da steht normalerweise eine Flasche drauf“, sagt ein | |
| anderer. Auf dem Shirt des einen steht in Frakturschrift: „Saalefront“, so | |
| heißen die Ultras des HFC. | |
| Als die schwarze Zaunfahne endlich hängt, liest das ganze Stadion in | |
| silbernen Buchstaben: „Ruhe in Frieden Kevin“. Kevin S. war einer von | |
| ihnen, er ist mit ihnen oft im Bus zu Auswärtsspielen gefahren. | |
| „Saalefront“ ist die einzige Info, die im Steckbrief auf einem seiner | |
| beiden Facebook-Profile steht. Beim anderen steht: „hat bei HFC-Fankurve | |
| gearbeitet“. | |
| Die „Saalefront“ ist bekannt für Randale und Gewalt. Der HFC musste in den | |
| vergangenen Jahren deshalb öfter Geldstrafen zahlen. Einige von der | |
| „Saalefront“ dürfen nicht mehr ins Stadion, ihre Symbole wurden 2014 | |
| verboten. Bei einem Testspiel haben HFC-Ultras Anhänger des VfL Halle | |
| getreten und geschlagen, sie haben sie „Juden“ genannt. Auch dieser Satz | |
| soll gefallen sein: „Euch Scheißzecken bringen wir um!“ Bei einem Spiel | |
| gegen Jena riefen sie: „Juden Jena!“ 2010 demolierte die „Jugendbande | |
| Saalefront“ einen Asia-Imbiss und hinterließ eine Schmiererei: „Jude“. | |
| 2010, das ist lange her. Kevin S. war damals 11. Zu Beginn der Spielzeit | |
| 2014/15 war er immer noch ziemlich jung. Da entwarf der Dachverband | |
| HFC-Fanszene e. V. einen „Fan-Ethik-Kodex“. Die Fans sollten sich | |
| freiwillig verpflichten, auf Gewalt, Rassismus, Vermummung und Pyrotechnik | |
| zu verzichten. Die „Saalefront“ trat deshalb aus dem Dachverband aus und | |
| begründete das so: Es sei „schlichtweg menschlich, auch in Ausnahmefällen | |
| unbewusst eine Grenze zu überschreiten“. Und: „Scherzhafte Verunglimpfen | |
| des Gegners“ gehören „in Maßen einfach zum Stadionerlebnis“ dazu. | |
| Wie Kevin S. zu Rechtsextremen in seiner Gruppe stand, ist unklar. Der | |
| Freund, der vor dem Kiez-Döner jeden Abend um ihn trauert sagt: „Kevin ist | |
| immer weggegangen, wenn es Stress gab. Er konnte keiner Fliege was zuleide | |
| tun.“ | |
| ## Trauer als Schnittmenge | |
| Dieser Text will keinen Nazi aus ihm machen, er will aber die Frage | |
| stellen: Wie trauert das zumindest teilweise rechte Ultramilieu um einen | |
| Freund, der von einem Rechtsextremen ermordet wurde? Und wie trauern die | |
| anderen um ihn, die Antifa oder Linke vom Bündnis „Halle gegen Rechts“, das | |
| zusammen mit dem Inhaber des Kiez-Döners eine Gedenkdemo für die Opfer des | |
| Attentats organisiert hat? | |
| Izzet Cagac, der Inhaber des Kiez-Döners, postet auf Facebook Gebete für | |
| die Opfer, es gehe ihm nicht um rechts oder links, schreibt er. | |
| „❤Rechts❤Links/Zeigt der Welt das es Liebe gibt“. Seine Freundin Myriam | |
| Skalska, die gerade Presseanfragen für ihn beantwortet, fasst es so | |
| zusammen: „Wir würden auch einem Nazi hinterherrennen, wenn er sein | |
| Rückgeld vergisst. Es kommt auf die inneren Werte an, auf ein gutes Herz. | |
| Jeder soll seine Meinung haben, Hauptsache, er läuft nicht mit einer Waffe | |
| rum.“ | |
| Beim Fußballspiel des HFC in Thalheim will keiner von den Ultras mit der | |
| Presse sprechen, auch nicht der junge Mann mit dem „Saalefront“-Shirt. | |
| Sobald einer doch anfängt zu erzählen, kommt ein anderer und verbietet ihm | |
| den Mund. Ein Mensch ist gestorben, das solle man verstehen. Okay. „Geh, | |
| quatsch doch die Mülltonne voll.“ | |
| Einer fragt doch: „Was wollen Sie denn?“ Schmächtig, mit schwarzem | |
| Fischerhut, angetrunken, aber freundlich. „Sie sind da wegen dem, was | |
| passiert ist, oder?“ Ja. „Na, wir hatten alle unseren Sinneswandel, und das | |
| war’s.“ Welchen Sinneswandel? | |
| „Wasn fürn Sinneswandel?“, fragt auch einer, der, sehr betrunken und | |
| aggressiv, gerade vorbeigeht, den Mann mit dem Fischerhut anrempelt, sodass | |
| dessen Bier auf seiner Hose landet. | |
| „Komm, wir gehen“, sagt ein Dritter, der Freund von dem mit dem Fischerhut. | |
| Der antwortet: „Jetzt muss ich mir erst mal ein neues Bier holen wegen dem | |
| Fascho!“ | |
| Immer wieder kommt am Spielfeldrand die Sprache auf den Attentäter. Der | |
| soll gar kein Deutscher gewesen sein, sondern einer aus Kasachstan, | |
| höchstens ein Russlanddeutscher. Oder ein Iraner, Islamist. Das sind | |
| mitgehörte Gesprächsfetzen. Würde stimmen, was sie sagen, bliebe ihre Welt | |
| in Ordnung. Alle hier scheinen sämtliche Videos, die es von der Tat gibt, | |
| zu kennen. Auch den Livestream des Täters. | |
| Die Demo | |
| Am nächsten Tag, einem Sonntag, findet im Zentrum von Halle eine | |
| Gedenkdemonstration statt. Die Antifa ist da, viele Student*innen mit | |
| „Halle ist bunt“-Schildern, Familien mit Kindern. Abseits steht ein kleines | |
| Grüppchen von jungen Männern, sie tragen ein Schild, auf dem steht: „Ruhe | |
| in Fried. Kevin HFC“. | |
| Sie trinken Bier. Einer der Freunde von Kevin S. trägt eine | |
| Geiz-ist-geil-Tüte, in der, ganz oben, eine Flasche Schnaps liegt. Ein | |
| anderer trägt eine Jacke, auf der hinten groß „Yakuza“ steht, ein Label, | |
| benannt nach einer japanischen Mafiagruppierung. Yakuza tragen nicht nur, | |
| aber auch viele Nazis. Auf dem Shirt eines anderen steht „Acab“, kurz für | |
| „All cops are bastards“, eine Abkürzung, die auch Autonome benutzen. | |
| Die Freunde von Kevin S. werden misstrauisch beobachtet von den Antifas, | |
| etwas verloren stehen sie am Rand. Dann spricht einer sie an: „Wer seid | |
| ihr? Was macht ihr hier?“ | |
| „Kevins Freunde, vom HFC.“ | |
| „Die HFC-Fans sind ja bekannt dafür, ziemlich rechts zu sein.“ | |
| „Manche von uns sind in der ‚Saalefront‘, aber wir sind nicht rechts. Wir | |
| haben nichts gegen Ausländer.“ | |
| Ein anderer sagt: „Ich habe schon was gegen Ausländer, wenn die hier | |
| Scheiße bauen. Aber wenn sie arbeiten, sollen sie auch bleiben dürfen.“ | |
| Der junge Mann, der die Fragen gestellt hat, geht weiter. Er sagt, er habe | |
| „nicht das Gefühl, dass die Jungs ein besonders artikuliertes politisches | |
| Bewusstsein haben“. | |
| Mit Verspätung zieht die Demo los. Langsam und schweigend. Sie wird nicht, | |
| wie geplant, an der Synagoge vorbeiführen. Die Jüdische Gemeinde hat darum | |
| gebeten. „Sie haben gesagt, dass sie Ruhe brauchen und sich erst mal auf | |
| ihre eigenen Strukturen verlassen“, sagt Valentin Hacken von „Halle gegen | |
| Rechts“. „Diese Demo hat mehr mit unseren Bedürfnissen zu tun als mit | |
| ihren.“ | |
| Hacken sagt, dass es vor der Demo viel Streit gegeben habe. Viele seien | |
| irritiert, dass HFC-Leute mit auf der Demo sind, „aber wenige finden es | |
| wirklich unangemessen“. „Halle gegen Rechts“ gehe es vor allem darum, dass | |
| die Stimmen gehört werden, um die es geht, also die der Angehörigen. „Kevin | |
| war nun mal HFC-Fan, den können wir nicht umschreiben. Aber klar, wir | |
| müssen auch gucken, dass sich niemand bedroht fühlt von den Ultras.“ Auch | |
| Izzet Cagac vom Kiez-Döner wollte, dass es um die Getöteten geht, er hat | |
| sich ein Banner mit ihren Namen gewünscht. | |
| Ganz vorn in der Demo tragen ein paar Leute ein schwarzes Tuch, auf dem | |
| „Solidarität“ steht, auch in anderen Sprachen als Deutsch. Seitlich rahmt | |
| ein weiteres Transparent die Demo, darauf zu lesen: „Kein Einzelfall – kein | |
| Einzeltäter. Antisemitismus tötet. Menschenfeinden den Kampf ansagen“. | |
| Dann machen die, die das Transparent an der Seite tragen plötzlich den Weg | |
| frei. Sie tragen das schwarze Tuch jetzt so, dass sich ein Spalt öffnet – | |
| es sieht fast aus wie eine zärtliche Geste: Die Freunde von Kevin S. | |
| schlüpfen in den Demozug, gehen jetzt in der ersten Reihe, trinken weiter, | |
| rauchen, legen die Hände aufeinander, sagen: „Für Kevin“. Einer fängt im… | |
| wieder an zu weinen. Neben ihnen geht ein junger Mann mit einer großen | |
| Israelflagge. Er lässt Kevins Freunde nicht aus dem Blick. | |
| 19 Oct 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Viktoria Morasch | |
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