# taz.de -- Bundestagsdebatte zu Antisemitismus: Irgendwie immer das Opfer | |
> Eine Bundestagsdebatte über das Attentat in Halle gerät zur Abrechnung | |
> mit der AfD. Die setzt auf widerwärtige Vorwärtsverteidigung. | |
Bild: Hält sich selbst für ein Opfer – Alexander Gauland hat sich weder ent… | |
BERLIN taz | Horst Seehofers redet schon ein paar Minuten über das, [1][was | |
er nach dem rechtsextremen Terroranschlag in Halle tun will.] Dann spricht | |
er den AfD-Fraktionschef auf die antisemitische Tweets eines seiner | |
Abgeordneten an. „Ich fordere Sie einfach auf: Distanzieren Sie sich von | |
solchen Äußerungen.“ | |
Gauland starrt im Plenarsaal in der ersten Reihe der [2][AfD-Fraktion] vor | |
sich hin. Mit keinem Wort wird er sich an diesem Donnerstagvormittag | |
entschuldigen. Stattdessen wird er seine Partei in einem widerwärtigen | |
Umkehrschluss als Opfer darstellen, wieder einmal. | |
Doch von vorn: Der Bundestag gedachte der Opfer des Anschlags in Halle. Ein | |
Rechtsextremer hatte in der vergangenen Woche eine Passantin und einen Mann | |
in einem Döner-Imbiss erschossen. Außerdem hatte er versucht, sich Zutritt | |
zu einer voll besetzten Synagoge zu verschaffen – ohne Erfolg. Wenn es die | |
Tür nicht gegeben hätte, betont Seehofer, „hätten wir ein Blutbad erlebt�… | |
Der Vormittag im Parlament wird zu einem Schulterschluss der Demokraten | |
gegen die Rechtspopulisten. | |
Vielleicht habe der Täter allein gehandelt, sagt SPD-Fraktionschef Rolf | |
Mützenich. „Aber er wird getragen von einem System der Hetze, des | |
Chauvinismus und des Rechtsextremismus. Und die AfD ist Teil dieses | |
Systems.“ Mitten in ihren Reihen säßen Abgeordnete, die „widerliche | |
Kommentare“ über die Opfer verbreitet hätten. Auch Grünen-Fraktionschef | |
Anton Hofreiter kritisiert, dass sich die AfD nicht von Äußerungen ihres | |
Abgeordneten Stephan Brandner distanziert. „Das zeigt das wahre Gesicht der | |
AfD, und das zeigt, dass Sie eben keine demokratische Partei sind.“ Und | |
FDP-Fraktionschef Christian Lindner sagt, ebenfalls an Gauland gerichtet: | |
„Hier gilt: Wer schweigt, stimmt zu.“ | |
## Höhnische Zwischenrufe aus der AfD | |
Brandner hatte nach dem Anschlag auf Twitter einen Post eines Nutzers | |
geteilt, der Solidarität mit Juden verhöhnte. Jener hatte geschrieben, dass | |
die Opfer von Halle eine „Deutsche“ und ein „Bio-Deutscher“ gewesen sei… | |
„Warum lungern Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum?“ | |
Außerdem hatte Brandner den Publizisten und ehemaligen Vizepräsidenten des | |
Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, als „deutschen | |
Michel“ verunglimpft. Brandner ist der Vorsitzende des Rechtsausschusses im | |
Bundestag. | |
In der AfD-Fraktion: verschränkte Arme, böse Mienen, höhnische | |
Zwischenrufe. Gauland setzt, als er vorne steht, zu einer bemerkenswerten | |
Vorwärtsverteidigung an. Er verweist auf den Anschlag vom Berliner | |
Breitscheidplatz und auf den Mord an Susanna F. 2018, für den ein | |
Asylbewerber verurteilt wurde. Für die „allgemeine Radikalisierung“, sagt | |
Gauland, seien jene zuständig, die ab 2015 Flüchtlinge ins Land gelassen | |
hätten. Seine Partei sei in den vergangenen Tagen mit „beispielloser Hetze“ | |
überzogen worden. | |
Kein Wort verliert er über rechtsextreme Gewalt in Deutschland, kein Wort | |
über rechten Terror. Auch eine Distanzierung von Brandners antisemitischen | |
Tweets lehnt er ab. „So lange ein Mitglied der Bundesregierung sagen kann, | |
die AfD sei der politische Arm des Rechtsterrorismus, entschuldige ich mich | |
hier für nichts.“ Brandner immerhin wird sich entschuldigen, über drei | |
Stunden später, in einer persönlichen Erklärung. | |
Gauland, 78 Jahre alt, klingt jedenfalls wie ein trotziges Kind. Und man | |
wollte fast lachen, wenn es nicht so fürchterlich wäre. Flüchtlinge sind | |
also schuld, wenn ein deutscher Rechtsextremist beschließt, ein Massaker an | |
Juden anzurichten? Gauland nutzt hier eine ähnliche Argumentationsfigur wie | |
Springer-Chef Mathias Döpfner. Der hatte kürzlich das Attentat zum Anlass | |
genommen, um in einem Leitartikel über die „rechtsstaatlich sehr | |
zweifelhafte Flüchtlingspolitik“ und „kriminelle Einwanderer“ zu klagen. | |
## Schäuble findet würdige Worte | |
Doch die Debatte arbeitet sich zum Glück nicht nur an der AfD ab. | |
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) bittet die Abgeordneten zu | |
Beginn der Sitzung, sich von ihren Sitzen zu erheben, um der Opfer zu | |
gedenken. Danach findet er würdige Worte, weist auf alltäglichen | |
Antisemitismus hin, auf die Angst vieler Juden, ihren Glauben öffentlich zu | |
zeigen. Jeder müsse einen Beitrag leisten, „dass jeder in diesem Land, egal | |
welcher Religion, welcher Herkunft oder welchen Geschlechts, die | |
grundlegende Sicherheit erfährt, frei und selbstbestimmt zu leben“. | |
Seehofer kündigte Maßnahmen gegen rechtsextreme Gewalt an. Das | |
Bundeskriminalamt und der Verfassungsschutz bräuchten mehr Mittel und | |
Personal, um Rechtsextremismus zu bekämpfen. Er will zusammen mit | |
Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) die Anbieter von | |
Internetplattformen verpflichten, strafrechtliche relevante Inhalte zu | |
melden. Und jüdische Einrichtungen müssten durch Polizei und bauliche | |
Vorrichtungen besser geschützt werden. | |
17 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Reaktionen-auf-Anschlag-in-Halle/!5630199 | |
[2] /Schwerpunkt-AfD/!t5495296/ | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
## TAGS | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Antisemitismus | |
Bundestag | |
Halle | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Halle | |
Terroranschlag | |
Geht's noch? | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Halle | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Halle | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Berlin nach dem Attentat in Halle: Große Verantwortung | |
Das Attentat in Halle verunsichert die Berliner jüdischen Glaubens. | |
Jüdische Einrichtungen unter stärkerer Bewachung als zuvor. Eine | |
Bestandsaufnahme. | |
Trauer um die Opfer von Halle: Kevin und seine Freunde | |
In Halle wurde Kevin S. erschossen, der zur eher rechten „Saalefront“ | |
gehörte. Seine Kumpels schließen sich dem antirassistischen Trauerzug an. | |
Rechtsextreme Netzwerke: Augen auf | |
Ein Verfassungsschützer taucht im Zusammenhang mit zwei rechtsextremen | |
Morden auf. Das ist keine Bagatelle und muss genau untersucht werden. | |
Bundestagsdebatte nach der Tat von Halle: Warum erst jetzt? | |
Innenminister Seehofer verspricht mehr Schutz von jüdischen Einrichtungen | |
und erschwert Waffenkäufe. Das ist gut, kommt aber zu spät. | |
Behörden und Rechtsextremismus: Doppelt blinder Fleck | |
Nach dem Anschlag von Halle ermittelten Journalisten schneller als die | |
Behörden. Sind die hilflos oder ignorant, wenn es um rechten Terror geht? | |
AfD-Mitbegründer zurück an der Uni: Professor Lucke lahmgelegt | |
Studierende der Universität Hamburg verhinderten am Mittwoch, dass | |
AfD-Mitbegründer Bernd Lucke seine erste Vorlesung halten konnte. | |
Ermittlungen nach dem Halle-Anschlag: Vorwurf Volksverhetzung | |
Zwei Männer haben Dokumente des Halle-Attentäters verdächtig schnell | |
verbreitet. Waren ihnen die Anschlagspläne bekannt? |