# taz.de -- Kiez-Döner in Halle wiedereröffnet: „Die beste Form der Solidar… | |
> 40 Tage nach dem rechtsextremen Anschlag in Halle haben die Brüder Tekin | |
> ihr Dönerrestaurant wiedereröffnet. Das Gedenken an die Opfer bleibt. | |
Bild: Izzet Cagac (l) und Rifat Tekin vor der Wand, an der der Opfer des Anschl… | |
HALLE taz | Zum ersten Mal seit 40 Tagen schneidet Ismet Tekin dünne | |
Scheiben Fleisch von einem Spieß. Es ist halb zehn, kalt, obwohl die | |
Glastür des Ladens geschlossen ist. Tekin ist still, nur das metallische | |
Ratschen des Messerschärfens ist zu hören. Im Imbiss stehen keine Tische | |
und Stühle, stattdessen ein langes Büffet, auf dem in großen | |
Metallbehältern Salat, Rotkraut und Zwiebeln gehäuft sind. Pappteller | |
stehen bereit, um gefüllt zu werden. Auf einem Bambustablett dampft Chai | |
aus Plastikbechern. | |
40 Tage, so lang ist es her, dass [1][Kevin S.] an Tekins Arbeitsplatz | |
erschossen wurde: dem Kiez-Döner in der hallensischen | |
Ludwig-Wucherer-Straße. In vielen muslimischen Glaubensgemeinschaften wird | |
eine 40-tägige Trauerzeit begangen, die rituell mit einem großen Essen | |
abgeschlossen wird. Deshalb steht Tekin an diesem Samstag seit 7 Uhr in der | |
Küche. Nun warten der Döner-Verkäufer und seine Kollegen auf Gäste. | |
Die Trauer ist noch sichtbar. Kevin S. war Fan des Halleschen FC. An der | |
Wand, an der er von den Kugeln des Attentäters getroffen wurde, hängt nun | |
eine Fußballtapete. Darauf sind Fotos, Fanschals und Trikot seines Vereins. | |
Mittendrin eine goldene Gedenktafel: „Wo liebe wächst, gedeiht Leben – wo | |
Hass aufkommt, droht Untergang“. Darüber die Namen von Kevin und Jana, dem | |
zweiten Todesopfer des [2][rassistischen und antisemitischen Anschlags vom | |
9. Oktober 2019]. | |
In den vergangenen Wochen hatten Trauernde zahlreiche Grablichter vor dem | |
Geschäft angezündet. Nun füllen diese Dutzende Kartons, die auf, unter und | |
neben einem Tisch vor der Wand stehen. Man wird weiter gedenken, sagt der | |
Ladenbesitzer Izzet Cagac. Die Kerzen möchte der Vater von Kevin S. haben. | |
## Besuch von Haseloff | |
Am Ende der Dönertheke hängt ein Regal mit Zigaretten und Tabak, an der | |
Wand darüber eine neue Videokamera. Sie ist auf den Eingang gerichtet, | |
durch den um halb elf Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff | |
kommt. Inzwischen sind einige Menschen da, die sich schweigend umschauen. | |
Haseloff bricht mit der Zurückhaltung, bedient sich als erstes am Büffet. | |
„Esst, das ist die beste Form der Solidarität hier“, sagt er in den Raum. | |
Haseloffs Besuch scheint nicht den anwesenden Journalist*innen zu gelten, | |
sondern dem Team vom Kiez-Döner: Besitzer Izzet Cagac, den Brüdern Ismet | |
und Rifat Tekin und Cagacs Partnerin Myriam Skalska. Es ist nicht das erste | |
Mal, dass sie sich begegnen. Nach dem Attentat, das die Tekin Brüder | |
miterleben mussten, kam Haseloff mehrfach zu Besuch. | |
Izzet Cagac reicht dem Ministerpräsidenten ein Gästebuch. Haseloff wünscht | |
einen guten Neustart. „Wir stehen alle zusammen“, schreibt er hinein. Als | |
Haseloff den Kiez-Döner verlässt, scheint draußen zum ersten Mal an diesem | |
Tag die Sonne durchs kalte Grau. Dann gehen auch die Kamerateams. Dafür | |
kommen Anwohner*innen und Fans des Halleschen FC herein. | |
## Lächeln hinter dem Einschussloch | |
Nach dem Anschlag hatten sich Izzet Cagac und die Rifat-Brüder gesorgt, | |
dass niemand mehr in ihrem Dönerladen essen würde – einem Tatort. Doch | |
jetzt bildet sich eine Schlange aus Nachbar*innen, Fans des Fußballclubs | |
und Kindern vor dem Büffet. Jungs in Kapuzenpullovern stapeln Rotkraut, | |
Weißkraut und Fleisch auf Papptellern. Sie dürfen so viel nehmen, wie sie | |
wollen. | |
Ein glatzköpfiger Mann in schwarzem Anorak steht steif vor der Gedenkwand. | |
Er bleibt mehrere Minuten stehen, sein Blick ist starr. Um ihn herum | |
tauschen sich zwei Frauen darüber aus, was vor 40 Tagen passierte. Andere | |
Gäste quatschen über Alltägliches, manche lachen. Vor dem Laden essen | |
Familien an Klapptischen und auf dem Fensterbrett. „So viel Döner konntest | |
Du noch nie essen, was?“ sagt eine. An der Scheibe, die sie vom | |
Ladeninneren trennt, ist ein Einschussloch von Klebeband gerahmt. Auf der | |
anderen Seite steht Rifat Tekin hinter der Theke und lächelt. | |
Eine Briefträgerin kommt. Sie schaut durch die Tür, reicht Ismet Tekin | |
einen Briefumschlag über die Theke. Etwas Normalität. Tekin reicht Cagac | |
den Umschlag. Die Familienministerin Franziska Giffey hat ihnen von Hand | |
geschrieben. Auf dem Deckel der Karte steht „Alles Gute“ über einem Bild | |
mit bunten Regenschirmen. Am Montag wird der Kiez-Döner wieder den normalen | |
Betrieb aufnehmen, erzählt Inhaber Izzet Cagac. | |
Ismet und sein Bruder Rifat Tekin werden den Kiez-Döner von Cagac | |
übernehmen. „Dann ist alles vorbei“ sagt Cagac. Ismet Tekin weiß nicht, ob | |
er damit abschließen kann. Die vergangenen Wochen waren hart. „Ich war zu | |
Hause, traurig. Und zehn Tage in Österreich mit meiner Frau“, erzählt | |
Tekin. Erholsam sei auch das nicht gewesen. Er neigt seinen Kopf und | |
blinzelt langsam über seine tiefen Augenringe hinweg. | |
Dieser Samstag ist im Kiez-Döner in Halle noch kein normaler Tag. Da sind | |
die vielen Kamerateams, der Ministerpräsident und gegen Mittag kommt | |
Terrence Boyd, Spieler des Halleschen FC mit seiner Frau und den beiden | |
Kindern. Es ist nicht abzusehen, wann wieder Normalität einkehren wird. | |
Klar ist aber: Ismet Tekin möchte ab Montag wieder im Kiez-Döner arbeiten. | |
„Ich versuche es“. | |
16 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Pia Stendera | |
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