| # taz.de -- Klimakrise und Tauchsport: Das letzte Mal in der Tiefe | |
| > Mit der Erderwärmung auf zwei Grad über dem bisherigen Durchschnitt | |
| > werden fast alle Korallenriffe sterben. Was heißt das für touristisches | |
| > Tauchen? | |
| Bild: Ein letztes Aufblühen am Korallenriff | |
| Korallenriffe leuchten wie Fantasiegebilde. In Knallrosa, Gelb, Lila oder | |
| tiefem Rubinrot ruhen sie in der leichten Strömung des Meeres. Ein Anblick, | |
| so schön, dass er Tauchende aus der ganzen Welt anzieht. [1][Doch die | |
| Korallenriffe sterben und das in einem dramatischen Tempo.] | |
| Sabine Schmidt beobachtet diese Entwicklung seit Jahren. Die zertifizierte | |
| Tauchlehrerin und Forschungstaucherin aus Leipzig erinnert sich, wie sie | |
| während eines Auslandsjahres in Mexiko zum ersten Mal feststellte, wie | |
| zerstört die Korallenriffe eigentlich sind. „Der normale Taucher denkt: Ach | |
| toll, da sind ja Korallenblöcke und Fische. Ich war darauf geschult, zu | |
| sehen, dass 95 Prozent des Riffs tot waren.“ | |
| ## Tauchende treiben Zerstörung voran | |
| Denn die Lage der Riffe ist durch die Erderhitzung dramatisch. Laut | |
| Max-Planck-Gesellschaft werden bei den bald erreichten 1,5 Grad | |
| Erderhitzung 70 bis 90 Prozent aller Korallenriffe sterben, bei zwei Grad | |
| nahezu alle. Touristischer Tauchsport könnte damit, ähnlich wie der | |
| Skisport, zumindest in Teilen vor dem Ende stehen. | |
| Und die Krux: Tauchende treiben die Zerstörung mit voran. Der wichtigste | |
| Faktor dabei: Emissionen. Sehr gern wird in dieser Branche geflogen, zu den | |
| berühmten Spots ans Rote Meer, nach Mexiko oder Südostasien. Korallen sehen | |
| und auf dem Weg ihren Niedergang anheizen? Oft kein Widerspruch. Ein | |
| weiterer Faktor ist der Urlaub selbst, der mit Hotelkomplexen, Abwässern, | |
| Plastikmüll oder dem Fischkonsum im Restaurant selten nachhaltig ist. Und | |
| drittens gibt es einen direkten Einfluss: Indem Tauchende Korallen | |
| abbrechen, Sedimente aufwirbeln, Fische beeinflussen oder mit Sonnencreme | |
| das Meer verschmutzen. In Studien sind stark geschädigte Riffe mit höheren | |
| Besuchszahlen assoziiert. Öko-Tauchen, geht das? | |
| ## Nachhaltiges Tauchen | |
| Sabine Schmidt ist davon überzeugt. 2021 hat sie in Leipzig die Tauchschule | |
| „Just Leave Bubbles“ gegründet, eine zertifizierte Öko-Tauchschule. Diese | |
| erfüllt die recht anspruchsvollen Kriterien der Nachhaltigkeitsinitiative | |
| Green Fins und war nach eigenen Angaben eine der ersten deutschen | |
| Tauchschulen, die von der weltgrößten Tauchausbildungsorganisation Padi als | |
| Eco Center zertifiziert wurde. | |
| Verpflichtend lernt man einfache Maßnahmen zum Schutz der Meere: Zum | |
| Beispiel, dass man den Froschbeinschlag statt des Hoch-runter-Schlages | |
| anwendet, um Korallen nicht zu treffen. Oder auf Sonnencreme zu verzichten | |
| und auf die richtige Bleimenge und Tarierung zu achten, also die Art, das | |
| Gleichgewicht im Wasser zu halten, um wenig Grund aufzuwirbeln. Ein Teil | |
| der Einnahmen geht laut Schmidt an Umweltorganisationen. Außerdem | |
| organisiert „Just Leave Bubbles“ viele Clean-up-Events, wo Müll aus dem | |
| Wasser geholt wird und Aufklärung betrieben. Schmidt beteiligt sich auch an | |
| einem Umwelttag für Kinder und Kurse zu Meerestieren. Oft gingen solche | |
| lokalen Initiativen von engagierten Tauchbasen selbst aus, sagt sie. | |
| Ist das ein Zeichen dafür, dass sich gerade etwas ändert in der Branche? | |
| „Man merkt gerade bei der jüngeren Generation unter 35 Jahren, dass die ein | |
| ganz anderes Bewusstsein und Engagement hat.“ Hersteller produzieren | |
| vermehrt recyceltes Equipment, große Tauchorganisationen haben jetzt | |
| Umweltsiegel. Allerdings seien die geforderten Maßnahmen teils sehr gering, | |
| so Schmidt. „Dadurch wird es der breiten Masse zugänglicher, aber für | |
| Kunden schwerer zu sehen, wie nachhaltig eine Basis mit Siegel wirklich | |
| ist.“ | |
| ## Tauchen lockt reiche Touris | |
| Außerdem gebe es unter Tauchschulen viel Greenwashing. Schmidt sähe daher | |
| gern Abstufungen bei den Siegeln. Zudem könne es helfen, Tauchschulen | |
| stärkere staatliche oder verbandliche Verpflichtungen aufzuerlegen. | |
| Letztlich spiele das Thema Nachhaltigkeit bei vielen Tauchtourist:innen | |
| keine große Rolle. „Da gehen die Diskussionen eher darum: Wo warst du | |
| schon? Was hast du schon Tolles gesehen?“ Und seit der Pandemie höre sie | |
| oft das Argument, man wolle sich nicht noch mehr verbieten lassen. | |
| Rund eine halbe Million Aktive zählt der Tauchsport-Industrieverband (TIV) | |
| in Deutschland. Der Sport ist auch finanziell enorm einflussreich; in | |
| Mexiko etwa generiert Tauchsport mit bis zu 700 Millionen US-Dollar | |
| jährlich so viel wie die mexikanische Fischfangindustrie. Vor allem in den | |
| letzten 30 Jahren ist das Tauchen von der Nische zum Massenphänomen | |
| geworden. Zugleich ist der schädliche Einfluss des Tauchens verhältnismäßig | |
| gering und leicht regulierbar. Eine Überblicksstudie von 2024 stellte etwa | |
| fest, dass ein ökologisches Briefing Kontakte mit dem Riff um bis zu 80 | |
| Prozent reduzieren konnte. Gerade in der Praxis vor Ort lässt sich also mit | |
| Bildung viel tun. Zunehmend wichtig werden auch Besuchsobergrenzen und | |
| eingeteilte Zonen, um Besuchsströme besser zu verteilen. | |
| Konsequent praktizieren das etwa Thailand oder die Galapagosinseln, wo | |
| Meeresschutzgebiete trotz finanzieller Einbußen regelmäßig über Monate | |
| geschlossen bleiben oder strikte Obergrenzen angewandt werden. Tauchende | |
| können die Pflege der Riffe sogar unterstützen, so wie etwa in Malaysia, wo | |
| Freiwillige den Gesundheitszustand von Riffen dokumentierten. Den Behörden | |
| fehlte dafür Personal und Geld. | |
| ## Knackpunkt Fliegen | |
| [2][Trotzdem birgt das Tauchen, ähnlich wie der Angel- oder der | |
| Wintersport, einen Selbstwiderspruch.] Man sieht sich als Schützer:innen | |
| der Natur, schließlich bewundert und pflegt man sie mit Clean-up-Aktionen | |
| sogar, trägt aber zugleich direkt zu deren Schädigung bei. Das größte | |
| Problem ist das Fliegen. Das Tauchen im Roten Meer oder vor der | |
| mexikanischen Küste sei nun mal nicht mit einem deutschen See zu | |
| vergleichen, so Sabine Schmidt: „Klar kann man sagen, man taucht nur noch | |
| in Deutschland. Aber ich kann jeden Taucher verstehen, der sagt: Ich möchte | |
| mal Haie, Mantas oder Walhaie sehen.“ Sie selbst versuche, Emissionen zu | |
| kompensieren und Fernreisen möglichst auf ein oder zwei Monate auszudehnen, | |
| statt für zwei Wochen auf die Philippinen zu fliegen. Viele können sich | |
| Letzteres wegen der Lohnarbeit allerdings nicht erlauben. | |
| [3][„Die Flugreisen müssen teurer werden“, fordert daher Philipp | |
| Kanstinger.] Er ist Meeresbiologe beim WWF und selbst Taucher. „Der | |
| CO₂-Schaden muss endlich eingepreist werden. Man sollte sich als Taucher | |
| auch klar bewusst sein, dass man sich eine Flugreise nur alle paar Jahre | |
| mal erlauben kann. Sonst wird so viel CO₂ freigesetzt, dass die Korallen | |
| keine Zukunft haben.“ Die Verantwortung müsse aber vor allem in Politik und | |
| Wirtschaft übernommen werden. Ein Problem mit dem Meeresschutz vor Ort sei, | |
| dass Tauchen als teurer Sport mit wohlhabender Klientel in vielen Ländern | |
| eine Sonderbehandlung genieße. „Länder brauchen eine gute eigene Kapazität, | |
| um Gesetze zum Meeresschutz durchzuhalten und Patrouillen zu machen. In | |
| vielen Staaten wird aber nicht genau geguckt, weil durch die Taucher Geld | |
| ins Land kommt.“ Nichtsdestotrotz weist auch Kanstinger darauf hin, dass | |
| global – verglichen etwa mit Fischerei, Überdüngung und Erhitzung – der | |
| Einfluss des Tauchsports auf das Korallensterben gering sei. Er sieht sie | |
| sogar als willkommene Multiplikatoren, die Familie und Befreundete von der | |
| Schönheit der Meere berichteten. | |
| Der Meeresbiologe erlebt zumindest unter erfahrenen Taucher:innen ein | |
| überdurchschnittliches Umweltbewusstsein. „Die meisten fühlen sich eng mit | |
| der Unterwasserwelt verbunden, viele sind auch privat in Umweltbewegungen | |
| engagiert. Eben, weil sie viel bewusster erleben, wie schlimm es gerade | |
| aussieht.“ Die letzten beiden Jahre seien durch die Massenbleiche | |
| katastrophal gewesen. „Wir haben bereits 50 Prozent aller tropischen | |
| Korallen verloren. In naher Zukunft könnten bis zu 90 Prozent absterben. “ | |
| Philipp Kanstinger stellt eine düstere Prognose: „Wir haben die 1,5 Grad | |
| letztes Jahr schon kurzzeitig überschritten. Für einen Großteil der | |
| Korallen sieht es sehr schlecht aus. Wir müssen daher alles tun, um | |
| wenigstens einen kleinen Teil zu retten.“ | |
| ## Kaltwassertauchen als Nische | |
| Was heißt all das für den Tauchsport? Schon in den letzten Jahren hat die | |
| deutsche Tauchtourismus-Branche Turbulenzen erlebt. Der | |
| Tauchsport-Industrieverband TIV nennt die Pandemie, die gestiegenen Kosten | |
| für Fernreisen und die weltweiten politischen Unruhen als Gründe. Eine | |
| große Gruppe wende sich nun zunehmend dem Kaltwassertauchen zu. | |
| Kanstinger erlebt das eher als Nische. Er glaubt, dass weiter vorwiegend im | |
| Warmwasser getaucht werden wird – zugespitzt auf die wenigen Destinationen, | |
| wo es dann noch Korallen gibt. „Im Roten Meer, wo die Korallen | |
| wahrscheinlich erst relativ spät absterben, wird der touristische Druck | |
| nochmal steigen.“ Auch gebe es einen großen Trend hin zu künstlich | |
| angelegten Korallengärten. Die seien nichts Schlechtes, aber im Vergleich | |
| zum riesigen echten Ökosystem „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Und er | |
| sieht: Gewöhnung. | |
| Der Forscher glaubt nicht daran, dass der Warmwasser-Tauchsport mit dem | |
| Ende der Korallen stirbt. Im vergangenen Jahr sei er zu einem berühmten | |
| Tauchspot in Sri Lanka gereist, das ganze Riff war tot. Er selbst, der noch | |
| alte Aufnahmen kannte, habe geheult vor Entsetzen. Aber die | |
| Tauchtourist:innen dort, denen habe es gefallen. Kanstinger nennt das | |
| Phänomen „shifting baselines“, also eine Verschiebung der Grundlinien. | |
| „Wenn man nicht weiß, wie es früher aussah, sieht es immer noch gut aus. | |
| Menschen sind sehr adaptiv und verlieren traditionelles Wissen schnell. Es | |
| weiß auch heute keiner mehr, dass die Ostsee vor hundert Jahren ein klares | |
| Meer war und nicht diese grüne Brühe. Diese Sachen verschwinden aus dem | |
| Bewusstsein.“ Und dann taucht man vielleicht gut gelaunt um die Skelette | |
| von einst. | |
| 23 Jun 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
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