# taz.de -- Tauchen als totale Entspannung: „Adrenalin ist unser größter Fe… | |
> Bei der Deutschen Meisterschaft im Apnoetauchen messen sich | |
> Sportler:innen im Luftanhalten. Zwei Berliner:innen erzählen. | |
Bild: Ein Kalmar? Nein, ein Taucher | |
Freitagabend in einem öffentlichen Hallenbad in Berlin-Wedding. Vor den | |
Drehkreuzen am Eingang versammelt sich eine kleine Menschengruppe mit | |
großem Gepäck. In Rollkoffern und sperrigen Umhängetaschen versteckt sich | |
das Equipment vom Apnoe-Wettkampfteam des Tauchsport-Clubs Berlin (TCB). | |
Apnoe- oder Freitauchen bezeichnet das Tauchen mit einem Atemzug, ohne | |
Geräte oder Atemgasflasche. Bekannt gemacht durch Filme wie „Im Rausch der | |
Tiefe“ gilt der Sport vielen als extrem und seine Anhänger:innen | |
mitunter als lebensmüde. Doch die Popularität des Sports nimmt auch in | |
Deutschland zu. Tauchverbände verzeichnen Rekordzahlen bei Mitgliedern und | |
Wettbewerbsanmeldungen. Das hat wohl nicht zuletzt mit der Ästhetik des | |
Freitauchens zu tun. Elegante Unterwasseraufnahmen schwereloser Körper im | |
endlosen Blau faszinieren seit jeher Menschen auf der ganzen Welt. | |
Aufwendige Filmproduktionen werden mittlerweile durch ästhetische | |
Amateurvideos auf Social Media ergänzt. Immersive GoPro-Videos bringen | |
Tauchgänge im Hochformat auf Handybildschirme und machen den Reiz der Tiefe | |
so noch greifbarer. | |
Im Schwimmbad an der Seestraße steht die Tiefe jedoch nicht im Mittelpunkt. | |
Leander Modersohn (44) und Verena Fleißner (49) bereiten sich heute auf die | |
deutschen Poolmeisterschaften im Apnoetauchen vor, die Ende April vom | |
AIDA-Tauchverband in Leipzig ausgetragen werden. Beim Streckentauchen auf | |
der 50-Meter-Bahn messen sich die Athlet:innen mit der Monoflosse, die | |
an eine Delfinflosse erinnert, mit zwei langen Flossen sowie ohne Fußwerk. | |
Außerdem steht die sogenannte Statik-Disziplin auf dem Programm, das | |
Luftanhalten auf Zeit. | |
Fleißner startet heute mit ihrer Lieblingsdisziplin, der Monoflosse. Sie | |
hat sechs sogenannte sub-max Tauchgänge geplant: lange Tauchgänge, die | |
unter ihrer persönlichen Bestleistung von 200 Metern liegen. Dabei ist der | |
Schlüssel die Gelassenheit. | |
## Herzfrequenz senken | |
Knapp drei Minuten gleitet sie über den Beckenboden ohne Luft zu holen – | |
eine Zeit, die die meisten Menschen auch im Ruhezustand nicht aushalten, | |
ohne zu atmen. Verena Fleißner senkt deshalb vor jedem Tauchgang gezielt | |
ihre Herzfrequenz, um größtmögliche Entspannung zu erreichen und Sauerstoff | |
zu sparen: „Extremsport impliziert irgendwie immer was mit Adrenalin. Das | |
ist unser größter Feind.“ | |
Die Athlet:innen des TCB erkunden regelmäßig ihre physischen und | |
psychischen Limits. Das Ziel: den natürlichen Atemreflex auszuhalten. Aber | |
woran erkennt man kritische Grenzen, wenn der Drang, Luft zu holen, | |
ignoriert wird? Viele erleben während des Luftanhaltens Kontraktionen, der | |
Körper verkrampft sich ruckartig. Das müsse man zulassen, erklärt Leander | |
Modersohn und gibt Beispiele für entscheidende Warnsignale: „Wenn du | |
Lichtblitze siehst oder eine Art Tunnelblick bekommst, dann weißt du, das | |
reicht jetzt.“ | |
Im schlimmsten Fall verlieren Taucher:innen durch den Sauerstoffmangel | |
unter Wasser das Bewusstsein. Bei so einem Blackout sind sie nicht mehr in | |
der Lage, allein aufzutauchen. „Du denkst, alles ist gut und plötzlich bist | |
du auf einer Blumenwiese und die Sonne scheint. Du entgleitest. Ich nenne | |
das ‚Lalaland‘“, beschreibt Modersohn, „aber wenn du alleine im ‚Lala… | |
unter Wasser bist, dann bist du tot.“ Deshalb lautet die Regel Nummer eins: | |
Niemals alleine tauchen! | |
## Blackouts | |
Trotz aller Vorsicht gehören Blackouts beim Apnoetauchen mit dazu. Ein | |
risikoreicher Extremsport für Menschen, die gerne mit dem Feuer spielen? | |
„Quatsch“, sagt Fleißner, „es ist im Prinzip lächerlich sicher, wenn man | |
sich an ein paar wenige, wichtige Regeln hält.“ Modersohn stimmt zu: „Wenn | |
man schnorchelt oder sich überhaupt im Element Wasser bewegt, hat man | |
eigentlich erstmal dieselben Gefahren. Nämlich, dass du Wasser | |
verschluckst, in einen Strudel kommst oder rausgesogen wirst. Eigentlich | |
ist Apnoetauchen die sicherere Variante vom Schnorcheln, weil wir mehr | |
darüber wissen, was wir tun.“ | |
Dass das Trainieren vom Luftanhalten auf ungeplante Extremsituationen bei | |
Schnorcheln, Schwimmen und Co vorbereiten kann, klingt plausibel, doch wenn | |
Athlet:innen bei einem Wettbewerb bis ans Äußerste gehen, sind gewisse | |
Risiken nicht zu vermeiden. Teilnehmende werden deshalb während ihrer | |
Tauchgänge von „Safety“-Taucher:innen begleitet. Diese sind jederzeit | |
bereit, im Fall eines Unfalls einzugreifen, erste Hilfe zu leisten und | |
weitere medizinische Maßnahmen einzuleiten. Während Vorfälle wie Blackouts | |
oder der temporäre Verlust motorischer Fähigkeiten aufgrund von | |
Sauerstoffmangel immer wieder vorkommen, ist es bei Pool-Wettbewerben im | |
Apnoetauchen noch nie zu Todesfällen gekommen. | |
Das Team vom TCB kennt sich gut, die Stimmung ist familiär, alle wissen, | |
worauf sie achten müssen und was Anzeichen für Probleme sein können. Für | |
Modersohn macht das die Apnoe-Community besonders: „Hier gibt es Momente, | |
in denen man wirklich ein tiefes Vertrauen füreinander haben muss.“ | |
Zu Beginn des Jahres hat er einen neuen persönlichen Rekord erreicht: 9:13 | |
Minuten statisches Luftanhalten, damit gehört er nicht nur in Deutschland | |
zur Elite: „Statik ist für mich wie Meditation.“ Fleißner war bei dem | |
Rekord von Anfang bis Ende an seiner Seite. | |
Doch was treibt Menschen dazu, regelmäßig ihre grundlegendsten Bedürfnisse | |
zu bekämpfen? „Die Dreidimensionalität im Wasser“, nennt es Modersohn. | |
„Schwerelosigkeit“, sagt Fleißner. Der Ursprung ihrer Leidenschaft geht | |
weit zurück: „Ich bin als Kleinkind mal fast ertrunken und ich glaube, das | |
hat damit zu tun. So kann ich mir jedes Mal wieder beweisen: Du kannst die | |
Luft anhalten und du kommst wieder lebendig oben an.“ Die ehemalige | |
Tänzerin hat 2018 in Ägypten ihren ersten Kurs absolviert und wenig später | |
die Ausbildung zur Apnoe-Lehrerin gemacht. Heute verbindet sie beim | |
Unterrichten ihren Hintergrund in Psychologie und Meditation mit dem | |
Freitauchen. Und auch im Wettkampftraining greift Fleißner regelmäßig auf | |
Meditationspraktiken zurück, um sich gezielt zu beruhigen. | |
## Reglos im Wasser | |
Wettkämpfe im Apnoetauchen sind für das Publikum eine wohl etwas | |
unkonventionelle Sporterfahrung. Gerade in der Disziplin des Zeittauchens | |
ist Geduld von den Zuschauenden gefordert, wenn die Athlet:innen | |
minutenlang reglos im Wasser liegen. Klingt langweilig? Mitnichten. Erst | |
wenn man einmal von Anfang bis Ende mit dabei ist, wird wirklich greifbar, | |
was es bedeutet, für fünf, sechs oder sieben Minuten nicht zu atmen. Wenn | |
dann nur noch wenige Sekunden bis zu einem Rekord oder einer neuen | |
Bestleistung fehlen, kann das Publikum den Nervenkitzel genießen, den die | |
Sportler:innen unter allen Umständen vermeiden. | |
Nach den Deutschen Meisterschaften geht es für Fleißner und Modersohn zu | |
den Weltmeisterschaften nach Japan. Dafür setzt sich Fleißner jedoch kein | |
konkretes Ziel: „Mir irgendeine Zahl vorzunehmen, das ist aus meiner | |
Erfahrung ein absoluter Garant zum Scheitern.“ Modersohn geht es ähnlich, | |
und doch haben beide Hoffnungen – unter anderem irgendwann die 250 Meter | |
beim Streckentauchen zu erreichen. Dafür trainieren sie drei- bis viermal | |
die Woche im Becken und an den meisten Tagen zusätzlich mit Atemübungen. | |
Für Leistungen auf diesem Niveau ist jedes noch so kleine Detail wichtig. | |
100 Gramm Gewicht weniger oder ein zu schweres Essen am Vortag können | |
reichen, um den letzten Meter zur Beckenwand möglich oder unerreichbar zu | |
machen. | |
Apnoetauchen ist dabei sehr individuell. Von Vorbereitung über Form bis zur | |
Ausrüstung, es gibt nie die eine richtige Antwort. In derartigen | |
Extremsituationen sind die Grenzen jedes Körpers einzigartig und in Teilen | |
vielleicht auch unergründlich. Athlet:innen probieren deshalb immerzu | |
neue Methoden, um etwa Kontraktionen hinauszuzögern oder das Lungenvolumen | |
maximal auszunutzen. Die kleine Tauchcommunity steht im stetigen Austausch. | |
So individuell und abgeschieden der Tauchgang, so gemeinschaftlich ist der | |
Prozess darum herum. Ein neuer Rekord beruht deshalb immer auch auf dem | |
Wissensaustausch, der Zusammenarbeit und nicht zuletzt der gegenseitigen | |
Absicherung der Apnoe-Community. So wird das Ausschöpfen menschlichen | |
Potenzials zum Team-Effort. | |
18 Apr 2025 | |
## AUTOREN | |
Mira Schwedes | |
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