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# taz.de -- Montagsinterview mit der Sportlerin Anna von Boetticher: "Als wäre…
> Anna von Boetticher ist deutsche Meisterin in mehreren Disziplin des
> Apnoe-Tauchens - Tauchen ohne Sauerstoffflaschen. Schon bald wird sie
> wieder im Ausland sein und ganz tief unten.
Bild: Anna von Boetticher in ihrer zweiten Haut
taz: Frau von Boetticher, gibt es etwas, wovor Sie Angst haben?
Anna von Boetticher: Ja. Ich hasse es zum Beispiel, von irgendwo
runterspringen zu müssen. Schon ein Dreimeterbrett ist mir zu viel.
Aber 100 Meter unter der Wasseroberfläche ohne Sauerstoffflasche haben Sie
keine Angst?
Nein, das ist kein Problem.
Wie kommt das?
Ich habe wohl ein Tauch-Gen. Wir hatten zu Hause einen Pool, schon als Kind
bin ich ständig getaucht. Mit sieben, acht Jahren hatte ich im Bücherregal
ein Buch gefunden, in dem beschrieben wurde, wie man richtig taucht - auch
ohne Geräte, also nur mit Flossen. Das habe ich dann geübt. Und schon da
habe ich es geschafft, so weit zu kommen, dass ich Kontraktionen hatte -
dass also mein Zwerchfell sich von selbst bewegt hat und praktisch atmen
wollte.
Das war nicht so ganz ungefährlich, oder?
Na ja, nicht so ganz. Es war natürlich eine Grenze, von der ich zu dem
Zeitpunkt noch nicht wusste, was danach passiert. Aber ich habe mich schon
damals wohlgefühlt unter Wasser.
Haben Sie damals gemerkt, dass Tauchen Ihnen leichter fällt als anderen?
Ja, in einer Situation schon. Wir waren im Urlaub, segeln in Griechenland.
Mein kleiner Bruder hat abgewaschen und mit dem Abwaschwasser sämtliches
Besteck über Bord geworfen. Da waren wir vielleicht in 15 Metern
Wassertiefe vor Anker. Und ich war die Einzige, die runterschwimmen konnte,
um es hochzuholen.
Sie haben trotzdem erst einmal mit Gerätetauchen angefangen.
Genau, mit 17 habe ich meinen ersten Tauchkurs gemacht. Es waren uralte
Geräte, nicht die Ausrüstung, die man heute hat. Es war dunkel, es war kalt
und ich fand es toll.
Das Ganze ist ein ziemlich teures Hobby. Wie finanziert man das als
Jugendliche?
Ich habe immer gearbeitet und bin ziemlich schnell selbst Tauchlehrerin
geworden. Wenn man freiberuflich arbeitet, kann man einfach mal fünf Monate
nach Ägypten gehen, da arbeiten und nebenher selber tauchen.
Wie sind Sie dann zum Apnoe-Tauchen gekommen?
Ich habe irgendwann festgestellt: Das Tauchen ist keine Herausforderung
mehr für mich. Es war immer noch wunderschön, aber es war nicht mehr so,
dass ich mich vor einem Tauchgang konzentrieren musste und eine Spannung da
war. Daher habe ich mit dem technischen Tauchen angefangen, also mit
Geräten sehr sehr tief zu tauchen. Das ist, glaube ich, das Gefährlichste,
was ich je gemacht habe.
Warum?
Weil man beim Auftauchen Dekompressionszeiten einhalten muss. Das heißt,
man muss ganz langsam wieder auftauchen, sonst kann es zum Beispiel zu
Lähmungserscheinungen kommen oder auch zum Tod. Wenn es also unter Wasser
ein Problem gibt, muss man das unten lösen.
Und deshalb haben Sie mit Apnoe angefangen?
Genau. Ich wollte einfach wissen, wie viel Luft ich habe, wenn in der Tiefe
etwas schiefgeht. Eigentlich sollte es nur ein Wochenend-Workshop sein, in
England, auf einer Marinebasis. Die hatten einen Tauchturm von 28 Metern
Tiefe. Nach zwei Stunden üben war ich auf dem Boden und dachte, okay, wo
gehts hier weiter? Das ist jetzt vier Jahre her. Seitdem bin fast gar nicht
mehr mit Geräten getaucht.
Obwohl Sie beim Tauchen erfolgreich waren, haben Sie es nicht zum Beruf
gemacht.
Ich wollte das nie hauptberuflich machen. Da geht man doch ein vor
Langeweile und Routine, das beansprucht mich geistig nicht genug. Tauchen
ist für mich eine Leidenschaft, die ich mir durch den Berufsalltag nicht
verderben will. Viele Tauchlehrer, die ich kenne, wechseln irgendwann ins
Management von der Tauchbasis und gehen dann nie wieder tauchen. Das wäre
nichts für mich.
Stattdessen haben Sie etwas studiert, das mit Tauchen so gar nichts zu tun
hat: Theaterwissenschaft und Komparatistik. Und sind jetzt Mitinhaberin
eines Buchladens in Kreuzberg.
Na ja, es ist nicht so, dass es dazwischen nichts gäbe. Ich habe noch in
London bei Christies ein Jahr Kunstgeschichte studiert, dann dort in einer
Galerie gearbeitet. Den Buchladen gibt es erst seit fünf Jahren.
Einen Buchladen führen und Tauchen wirkt trotzdem wie ein Gegensatz.
Ist es aber gar nicht. Die Ruhe, die man haben muss, passt zu beidem. Und
die Pausen vom Tauchen nutze ich auch gerne, um zu lesen. Die Leute denken
immer, Freitauchen ist Adrenalin, aber das stimmt nicht. Adrenalin ist
unser Feind, denn es führt dazu, dass die Reserven ganz schnell
aufgebraucht sind.
Lesen ist ein gutes Training?
Genau.
Sechs Minuten und zwölf Sekunden war Ihr längster Atemzug, deutscher
Rekord. Das klingt nicht nach Ruhe oder Spaß, sondern nach Quälerei.
Nein, Spaß ist das wirklich nicht. Auch wenn ich mit dieser Zeit den
deutschen Rekord halte, ist es nicht die Disziplin, die ich mag. Aber ich
muss das Luftanhalten natürlich trainieren, um in die Tiefe gehen zu
können.
Stellt sich der Körper mit der Zeit auf die Tiefe ein?
Auf alle Fälle. Alle Säugetiere, also auch wir Menschen, haben noch ein
Überbleibsel aus Urzeiten, den sogenannten Tauchreflex. Er bewirkt, dass in
dem Moment, in dem das Gesicht Kontakt mit Wasser hat, der Körper eine Art
Sauerstoff-Sparprogramm abfährt. Das ermöglicht, länger unter Wasser zu
bleiben. Zum Beispiel wird das Gehirn immer noch mit Sauerstoff versorgt,
Arme und Beine aber irgendwann nicht mehr. Der Köper schützt mich also.
Dieser Tauchreflex wird mit Training stärker. Wer beim ersten Training nach
24 Sekunden den Atemreiz hatte, hat ihn nach ein paar Mal trainieren
vielleicht nach zwei Minuten fünfzehn. Und sich mal eben zwei Minuten die
Welt zehn Meter unter der Wasseroberfläche anschauen zu können, einfach so,
das ist schon ein einmaliges Erlebnis.
Kann man das überhaupt so bewusst wahrnehmen, wenn man sich die ganze Zeit
auf seinen Körper konzentrieren muss?
Ja, klar. Ich nehme aber insgesamt Sachen sehr bewusst wahr. Ich kann immer
ziemlich genau sagen, warum mir ein Buch oder ein Film gefällt oder eben,
was mir an einem Tauchgang oder einer Unterwasserlandschaft so gut gefallen
hat.
Und was ist es, das Ihnen 100 Meter unter der Wasseroberfläche gefällt?
Für mich gibt es zwei Seiten beim Tauchen: Die eine ist etwas anzuschauen,
wie ein Riff, Wracks, Fische, was auch immer. Das wird nie langweilig. Die
zweite Seite ist das pure physische Erlebnis, mich in diesem Element
aufhalten zu können, ein Teil des Ozeans zu sein, diese Orte erleben zu
können. Und das ohne das ganze Technik-Gerödel, nur ich mit einer Lunge
voll Luft. Auch in hundert Metern Tiefe habe ich die Umwelt intensiv
wahrgenommen: das tiefe, dunkle Blau des Wassers und auf dem Weg nach oben
eine Wasserscheide in ungefähr 60 Metern Tiefe, die aussah, als wäre da ein
endloser Horizont, über den ich hinausschwimme. Wunderschön.
Haben Sie selbst schon kritische Situationen erlebt?
Beim Gerätetauchen sicher. Es gibt immer Momente, in denen etwas nicht so
funktioniert, wie es soll. Auch beim Apnoe-Tauchen gab es Momente, wo ich
dachte, das ist jetzt nicht so toll.
Zum Beispiel?
Bei einem Trainingstauchgang hatte ich in 92 Meter Tiefe einen Krampf in
beiden Beinen. Da habe ich mich am Seil hochgezogen. Wichtig ist dann, die
Ruhe zu bewahren und nicht in Panik auszubrechen. Sonst verbrennt man seine
Energie schnell.
Wie ist man denn abgesichert, wenn man runtergeht?
Man taucht immer mit Seil, an dem ist man mit einer Art Karabiner
befestigt. Am Ende des Seils ist eine Scheibe, an der man nicht vorbeikann.
Zusätzlich sagt man vor dem Tauchgang seine Tiefe an und das Seil wird
genau auf diese Tiefe hinuntergelassen. Ich kann also weder in die Tiefe
noch in die Weite verlorengehen. Und bei den letzten 30 Metern beim
Auftauchen begleitet einen ein anderer Taucher. Die letzten 30 Meter sind
die kritischsten, weil dann die Luft am knappsten wird.
Was könnte schlimmstenfalls passieren?
Eine Ohnmacht. Dann müsste mich der zweite Taucher hochbringen oder, falls
ich noch zu tief bin, man wird am Seil hochgezogen. Sobald man an der Luft
ist, wacht man auch wieder auf.
Wenn jetzt jemand völlig Untrainiertes das ausprobieren wollte - was sollte
er machen?
Einfach mal die Luft anhalten. Auf dem Sofa, auf keinen Fall in der
Badewanne! Dabei sind schon Leute ertrunken. Aber zu erleben, was es heißt,
nicht zu atmen und dabei völlig entspannt zu sein, das kann jeder. Und es
kann auch jeder erleben, dass irgendwann ein Atemreiz kommt, aber die Luft
dann noch lange, lange nicht verbraucht ist. Der Trick ist, dass man eine
Serie von Tauchgängen machen muss. Dann startet der Körper den Tauchreflex.
Also beim Probieren nicht einmal die Luft anhalten, sondern vielleicht vier
Mal. Dann wird es länger gehen.
Ihr Sport ist Ihr Hobby, gleichzeitig ist es Leistungssport. Doch es gibt
weder Sponsoren noch Preisgelder. Warum nicht?
Es ist eine sehr kleine Disziplin. Außerdem kann man nicht zuschauen. Man
sieht jemanden tief Luft holen und ein paar Minuten später wieder
auftauchen. Na toll. Und das Image des Sports ist nicht so gut, viele
halten ihn für zu gefährlich.
Es gab auch tödliche Unfälle.
Das war aber immer in einer anderen Disziplin. "No limits" heißt die, und
da tauchen die Menschen mit Hilfsmitteln wieder nach oben und nicht aus
eigener Kraft. Die Taucher testen einfach mal die absolute Grenze des
Menschenmöglichen aus. Das wäre, wie ohne Sauerstoff, Seile oder Hilfe auf
den Mount Everest zu klettern. Und bei No limits haben wir wieder ein
ähnliches Problem wie beim Tauchen mit Geräten: Wenn die Technik versagt,
wird es gefährlich.
Ist das ein Nachteil, dass es keine Sponsoren gibt?
Klar. Aber es ist auch ein Vorteil. Dadurch, dass es nichts zu gewinnen
gibt, sind wir Apnoe-Taucher wie eine Familie. Ein Beispiel von der WM in
Dänemark: Ich hatte den letzten Platz in der Qualifikation fürs Finale
gemacht und war dann als Zeitansagerin und mentale Unterstützung für meine
direkte Konkurrentin Elisabeth Kristoffersen aus Norwegen im Einsatz. Und
ich habe sie an meiner Zeit vorbeigecoacht, ins Finale hinein und mich
raus. Das ist völlig normal bei uns. In dem Moment, wo es Geld zu gewinnen
gäbe, wäre das natürlich sofort vorbei.
Sie haben es in nur wenigen Jahren an die deutsche Spitze geschafft, halten
Rekorde in sechs Disziplinen - gutes Training oder braucht man dazu mehr?
Das Bild von Apnoe-Tauchern ist oft so das von Übermenschen, mit riesigen
Lungen, die den ganzen Tag nur Yoga machen und Körner essen. Das ist
Quatsch. Meine Lunge etwa ist ein Viertel kleiner, als es eigentlich für
meine Größe normal wäre.
Und wie gleichen Sie das aus?
Ein wichtiger Teil beim Apnoe-Tauchen ist der Kopf. Das macht sicher zwei
Drittel aus. Dass man die Ruhe hat, das Selbstvertrauen, aber nicht
übermütig wird. Respekt ja, Angst nein. Ich habe keine Lust, mein Leben
aufs Spiel zu setzen, und achte daher sehr genau auf meine Grenzen.
Ist das Training oder gehört das zum Tauch-Gen?
Ich denke, es gehört zu einem Teil zum Tauch-Gen. Aber ein bisschen kann
man auch daran trainieren. Ein Vorteil für mich ist, dass ich durch das
technische Tauchen den Lebensraum da unten schon kenne, ich war schon in
130 Metern Tiefe. Wenn ich jetzt ohne Geräte tauche, weiß ich, was mich
erwartet.
130 Meter, glauben Sie, das schaffen Sie auch ohne Geräte?
Das wäre natürlich phänomenal. Ich weiß zwar nicht, wo meine Grenze ist,
ich weiß aber, dass ich sie noch nicht erreicht habe.
20 Feb 2011
## AUTOREN
Svenja Bergt
Julia Baier
## TAGS
Apnoe-Tauchen
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