# taz.de -- Apnoe-Taucher über Grenzerfahrungen: „Mach es nicht!“ | |
> Tom Sietas taucht als Apnoe-Taucher ohne Sauerstoffflasche. Auch zehn | |
> Jahre nach Ende seiner Karriere sind seine Rekorde ungeschlagen. | |
Bild: Beherrscht das Tauchen in einem Atemzug: Tom Sietas | |
taz: Herr Sietas, wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Sohn oder Ihre Tochter | |
auf Sie zukäme und sagte: „Papa, ich will auch Apnoe-Taucher*in werden“? | |
Tom Sietas: Das ist eine gemeine Frage, aber ich habe mir auch schon | |
gestellt und mich dann darauf ausgeruht, dass ich ja noch ein paar Jahre | |
Zeit für die Antwort habe. | |
Antworten Sie doch jetzt mal. | |
Wenn ich ehrlich bin, würde ich sagen: Mach es nicht! | |
Wieso? | |
Dieser Sport kann auch gefährlich werden. Besonders wenn man sich nur auf | |
die Jagd nach Rekorden konzentriert und dabei die Warnsignale seines | |
Körpers ignoriert. | |
Auch Sie haben in Ihrer aktiven Karriere immer wieder neue Rekorde | |
aufgestellt, waren mehrfacher Weltmeister, halten nach über zehn Jahren | |
immer noch den Deutschen Rekord in verschiedenen Disziplinen. Wieso macht | |
man das: immer wieder an seine Grenzen gehen? | |
Mhh, das ist wohl ein menschlicher Trieb. Wer Ehrgeiz hat, versucht halt | |
mehr. Und ich war ehrgeizig. | |
2004 wurden Sie Weltmeister mit der Nationalmannschaft. Sie erreichten in | |
der Disziplin Tieftauchen mit Flossen damals eine Tiefe von 70 Metern. Der | |
Weltrekord liegt mittleiweile bei 130 Metern. Der tiefste Tauchgang eines | |
Menschen mithilfe eines Schlittens bei 214 Metern. Ist das nicht alles ein | |
bisschen krank? | |
Ich finde, ja. Ich habe das einmal versucht und ich bin nicht weiter | |
getaucht, als zu einer Tiefe, wo ich hätte selber wieder hochkommen können. | |
Das waren 122 Meter. Apnoe-Tauchen ist immer mit Risiken verbunden und wenn | |
sich Leute dessen bewusst sind, dann sollen sie das gerne tun. Ich frage | |
mich allerdings, was mache ich mit der Verantwortung, die ich habe, denn | |
dieser Sport landet ja auch in den Medien. Ich weiß, dass schon jede Menge | |
Unfälle passiert sind und ich verleite unter Umständen Leute das | |
nachzumachen. Diesen Aspekt finde ich problematisch. | |
Hat Ihr Verantwortungsbewusstsein auch mit Ihrer Rolle als Vater zu tun? | |
Das auf jeden Fall. Ich kann nicht mehr die großen Risiken eingehen, da es | |
nicht nur um mein Leben geht, sondern auch um das meiner Kinder. Und ich | |
habe auch eine andere Vorbildfunktion als früher, ich bin mir dessen | |
jedenfalls mehr bewusst. Das was ich mache, macht mir mein Sohn nach. Es | |
funktioniert nicht, wenn ich sage, der Papa macht das jetzt, aber du bitte | |
nicht. | |
Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee mit dem Apnoe-Tauchen? | |
Im Jahr 2000 war ich auf Jamaika und bin dort auch das erste Mal mit | |
Geräten getaucht. Dann dachte ich: Das muss doch auch ohne Gerät gehen. Ich | |
bin nur mit dem Schnorchel los und habe das erste Mal auf 20 Meter Tiefe im | |
Meer gesessen, ein Rochen schwamm um mich herum und ich habe mich zugehörig | |
gefühlt zu der Unterwasserwelt. | |
Das klingt erst mal irgendwie romantisch… | |
Naja, Apnoe-Tauchen hat verschiedene Facetten: da ist einmal das | |
Freitauchen, dieses Naturerlebnis, warum ich überhaupt damit angefangen | |
habe. Das andere ist der Sport. Eine Angelegenheit, die mit dieser | |
Schönheit gar nichts mehr zu tun hat. Ich bin dann ja auch im Pool gelandet | |
letzten Endes. Das ist eigentlich schade. | |
Wieso haben Sie sich denn auf die Pooldisziplin konzentriert? | |
Ich habe zunächst mit allen Disziplinen angefangen. Dann habe ich gemerkt, | |
dass ich schon sehr nah dran war am Weltrekord im Zeittauchen, so dass ich | |
mich erst mal auf diese Disziplin konzentriert habe. Und auch die beiden | |
anderen Pooldisziplinen, Streckentauchen mit und ohne Flossen, haben gut | |
geklappt. Ich habe relativ schnell den Weltrekord gebrochen. Und dann ist | |
da noch das Standortproblem. | |
Was meinen Sie damit? | |
Ich bin ja hier in Deutschland und fürs Tieftauchen muss ich immer irgendwo | |
hinfliegen. Es gibt hier zwar einen See, den Kreidesee in Hemmoor bei | |
Stade, aber der ist 56 Meter tief und da ist dann auch Schicht. Aus | |
sportlicher Sicht war es vernünftiger die Hallendisziplinen zu verfolgen. | |
Aber ich bin trotzdem im Urlaub noch ganz gern Freitauchen gewesen. | |
Im Jahr 2008 haben Sie im Zeittauchen den damaligen Weltrekord aufgestellt. | |
Sie haben 10 Minuten und zwölf Sekunden die Luft angehalten. Was passiert | |
mit dem Körper, wenn man über zehn Minuten die Luft anhält? | |
Wenn ich die Luft anhalte, geht die innere Atmung weiter. Viele denken ja, | |
wenn man die Luft anhält, hat man noch drei Minuten bis die ersten | |
Hirnschäden auftreten. Ich atme aber so viel Luft ein und habe auch in den | |
Geweben zusätzlichen Sauerstoff, dass es eben noch eine Weile dauert, bis | |
die Atemnot überhaupt erst einsetzt. | |
Wie lange? | |
Ich verspüre erst nach vier Minuten den Drang zu Atmen. Bei einigen fängt | |
das sogar erst nach fünf Minuten an. Der Kohlendioxidgehalt steigt, das | |
löst den Atemreiz aus, woraufhin das Zwerchfell sich immer wieder | |
zusammenzieht. Wenn dieser Reflex häufiger wird, macht sich ein brennendes | |
Gefühl breit, der Körper spannt sich an. Das versucht man zu unterdrücken, | |
so dass man nicht zu sehr verkrampft. Ich versuche dabei an was Schönes zu | |
denken. Manchmal klappt’s. Und kurz vor Schluss wird es dann irgendwann | |
eng, dann muss man sich stark darauf konzentrieren, dass man die ersten | |
Anzeichen von Sauerstoffmangel wahrnimmt. | |
Und woran merkt man das? | |
Das ist ein diffuser Prozess. Es gibt kein bestimmtes Signal, sondern | |
mehrere. Als erstes leidet die Wahrnehmung, der Blick kann sich verengen. | |
Wenn das passiert, ist man eigentlich schon einen Schritt zu weit gegangen. | |
Dann kann es sein, dass du beim Auftauchen noch mehr in eine | |
Mangelsituation kommst. Dadurch kann ein sogenannter Loss of motor control | |
auftreten, man bekommt Bewegungsschwierigkeiten, ein Zucken etwa. Das will | |
man vermeiden, weil man für so etwas in Wettkämpfen disqualifiziert wird. | |
Klingt unangenehm. | |
Ist es auch, aber erst wenn man bewusstlos wird, fängt es an gefährlich zu | |
werden, dann beginnt die Sauerstoffnot, die Schäden im Gehirn verursachen | |
kann. Deswegen versuche ich, es nicht soweit kommen zu lassen, sondern | |
achte darauf, ob ich noch scharf denken kann. Gerade als Anfänger habe ich | |
die Grenze auch mal überschritten. Gottseidank immer nur wenig, da ich | |
immer schon vorsichtig war. | |
Was war passiert? | |
Ich erinnere mich an zwei, drei Situationen, wo ich an die Wasseroberfläche | |
gekommen bin, ein leichtes Zucken verspürt habe und einmal ist mir auch | |
schwarz vor Augen geworden. Das ist irgendwie beängstigend, das will man | |
nicht erleben und versucht es zu vermeiden. | |
Sie unterrichten als Lehrer an einer Berufsschule. Ist ihr Sport da ein | |
Thema? | |
Als Lehrer muss ich immer wieder neu überlegen, ob ich davon erzähle oder | |
nicht. In der Schule fühle ich mich damit gar nicht so wohl, weil ich dort | |
eine ganz andere Rolle einnehme. Da bin ich kein Sportler. Ich will von den | |
Schülern nicht als eine Art Youtubestar wahrgenommen werden. | |
Die finden das aber sicher cool, was Sie machen. | |
Ja, schon. Aber den Starbegriff den mag ich sowieso überhaupt nicht. Ich | |
finde das so überbewertend. Ich habe vielleicht gute Leistungen im Sport | |
gebracht, aber deswegen bin ich ja nicht mehr wert. | |
Der Lehrerberuf ist ja im Vergleich zum Weltklasse-Apnoe-Taucher eher etwas | |
Bodenständiges… | |
Ja, das stimmt wohl. Aber ich hatte das schon als Kind irgendwie diesen | |
Impuls anderen etwas erklären zu wollen. Ich habe das trotz mehrerer Umwege | |
immer im Hinterkopf gehabt. | |
Umwege? | |
Ich habe erst eine Ausbildung als Industriemechaniker gemacht, komplett | |
orientierungslos…ich war ein absoluter Hallodri, habe die Schule | |
abgebrochen und bin erst mal gereist. Aber irgendwann kam mir dieses | |
Lehrerding wieder in den Kopf und dann habe ich die Hochschulreife | |
nachgeholt und studiert. | |
Sie haben vor rund zehn Jahren ihre aktive Sportkarriere beendet. Verfolgen | |
Sie noch, was in der Szene geschieht? | |
Weil ich den Wunsch verspürte ins Meer zu kommen, hab ich vor kurzem | |
Facebook aktiviert, und dann habe ich gesehen, was da los ist. Mir war | |
nicht bewusst, wie viele Leute mittlerweile Apnoetauchen betreiben. Gefühlt | |
jeder zweite Taucher hat eine professionelle Website. Und die Freitaucher | |
haben heute immer Kameras dabei und dann werden gleich die Fotos und Videos | |
gepostet. Das haben wir früher gar nicht gemacht. Ich habe kaum Fotos, es | |
gab einmal jemanden, der bei einem Wettbewerb gefilmt hat, und so habe ich | |
jetzt zwei Minuten meiner aktiven Karriere auf Video. Das war’s. | |
Mittlerweile sind fast alle Weltrekorde, die Sie aufgestellt haben, | |
überboten. Juckt es Sie nicht? | |
Ein bisschen schon. Ich habe das versucht auszuhalten jahrelang und jetzt | |
reizt mich das tatsächlich nochmal, auch wenn ich wenig Zeit zum Trainieren | |
habe. Falls ich noch einmal die Gelegenheit bekomme stelle ich vielleicht | |
nochmal einen Poolrekord auf. | |
4 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Juliane Preiß | |
## TAGS | |
Tauchen | |
Schwerpunkt Sport trotz Corona | |
Luft | |
Apnoe-Tauchen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Einmal Luft anhalten: Atemstillstand im Kreidesee | |
160 Apnoetaucher treffen sich im niedersächsischen Hemmoor. Dabei zeigt | |
sich eine gewisse Distanz zwischen den blubbernden Gerätetauchern und den | |
stillen Apnoeisten. | |
Montagsinterview mit der Sportlerin Anna von Boetticher: "Als wäre da ein endl… | |
Anna von Boetticher ist deutsche Meisterin in mehreren Disziplin des | |
Apnoe-Tauchens - Tauchen ohne Sauerstoffflaschen. Schon bald wird sie | |
wieder im Ausland sein und ganz tief unten. |