| # taz.de -- Tagebuch aus der Ukraine: Es ist Krieg, machen wir was draus | |
| > Unter den russischen Bombardements leidet die Stadt Charkiw besonders. | |
| > Doch gerade hier tobt wieder das pralle Leben. Aus Trotz und für die | |
| > Freiheit. | |
| Bild: Auch das ist Charkiw: Eine Frau spaziert an einem Straßencafé vorbei, J… | |
| Der Zug nähert sich langsam dem Bahnhof. Mein Handy vibriert: „Achtung, | |
| Luftalarm. Begeben Sie sich sofort in den nächsten Schutzraum.“ Ich komme | |
| in [1][Charkiw] an. Die Stadt, die einst brodelte, in der ich studentische | |
| Partys feierte, sie ist nun erfüllt von den Geräuschen von Generatoren, | |
| Sirenen und Explosionen, die die Wohnviertel erschüttern und beschädigen. | |
| Bis zur Front sind es nur zwanzig Kilometer. | |
| Trotz der Zerstörung und trotz der Gefahr kehren die Einwohner:innen | |
| von Charkiw zurück. Vor der vollständigen [2][Invasion der Ukraine] durch | |
| [3][Russland] lebten hier knapp anderthalb Millionen Menschen. In den | |
| ersten Monaten nach den Angriffen blieben nur etwa 400.000 zurück. Trotz | |
| der täglichen Attacken leben heute wieder etwa 1,3 Millionen Menschen in | |
| der Stadt. | |
| Am Bahnhof holt mich meine Freundin Ada ab. „Willst du sehen, wie es jetzt | |
| in Charkiw ist?“, fragt sie. Vor drei Jahren, als sie erst 23 war, hat sie | |
| ihr Studium in Oxford abgebrochen, ist in die Ukraine gezogen und hat die | |
| Wohltätigkeitsorganisation [4][KHARPP] gegründet, die dabei hilft, Häuser | |
| wieder aufzubauen, die durch russische Angriffe zerstört wurden. | |
| Wir steigen in ihren riesigen Geländewagen. Mein Blick bleibt an Details | |
| hängen: ein kurzer Rock, Samtstiefeletten mit massiven Absätzen, lange und | |
| auffällige Fingernägel – sie sieht aus, als modele sie für ein | |
| Hochglanzmagazin und nicht wie jemand, der einen schmutzigen Geländewagen | |
| fährt. Ich stelle mir vor, wie sie in diesem Outfit über die zerbrochenen | |
| Straßen an der Front rast und selbstbewusst die Straßensperren passiert. | |
| ## Schöne Fingernägel zeigen auf das Schöne im Leben | |
| Ada bemerkt meinen Blick. „Ich habe einmal mit einer Frau ehrenamtlich | |
| gearbeitet. Sie hatte immer eine makellose Maniküre. Ich machte ihr ein | |
| Kompliment, und sie antwortete: ‚Meine Nägel sind immer in Ordnung – das | |
| erinnert mich daran, dass es im Leben nicht nur Krieg gibt‘“, sagt Ada und | |
| lächelt. | |
| Mit der Zeit kann ich das nicht nur sehen, wenn ich auf Ada schaue: dieser | |
| schöne, hartnäckige Lebenswille. Wie ein Funke in der Dunkelheit brennt er | |
| in den Herzen vieler Einwohner:innen von Charkiw. Besonders dann | |
| leuchtet er, wenn fast kein Licht mehr da ist. | |
| Sogar die Stadt selbst scheint gelernt zu haben, die Dunkelheit aufzunehmen | |
| und in etwas Lebendiges zu verwandeln. Wir fahren an einem Restaurant | |
| vorbei, wo die Mittagstische inmitten der Trümmer stehen. Die Wände, die | |
| Spuren von Granatsplittern zeigen, sind mit sanftem Licht beleuchtet. | |
| Kellner huschen ruhig zwischen den Tischen hin und her. Die Gäste trinken | |
| Cocktails und unterhalten sich. Wie in jeder anderen Stadt, wie an jedem | |
| anderen Abend. | |
| In Charkiw gibt es etwa 1.600 Restaurants und Cafés, und ständig kommen | |
| neue hinzu – allein im vergangenen Jahr waren es 60. Am Abend gehen wir in | |
| eines davon. Es regnet leicht, die Luft ist von Alarmgeräuschen erfüllt, | |
| die Straßen sind leer und in Dämmerung gehüllt. Aber sobald wir die Tür | |
| öffnen, werden wir von Wärme empfangen. Und von ukrainischen | |
| [5][Fusion-Häppchen]. | |
| Keine Sekunde steht diese Stadt still. Es gibt Konzerte, Theaterpremieren, | |
| Ausstellungen. Kein Wunder, dass sich der Club, der der Front am nächsten | |
| ist, gerade in Charkiw befindet. Es ist das Zentrum für neue Kultur. Im | |
| Jahr 2023 hat die Charkiwer Band „Some People“ diesen Treffpunkt für | |
| Studierende, Soldat:innen, Künstler:innen eröffnet. Es ist ein Ort, an | |
| dem sie sich alle Menschen wieder lebendig fühlen können. | |
| In dieser Stadt geht es definitiv nicht ums Überleben. Charkiw steht für | |
| Wahlfreiheit und Freiheit. Es ist die Stadt derer, die mitten im Krieg | |
| etwas Neues aufbauen. | |
| [6][Yulia Kalaban] ist Journalistin und lebt (wieder) in der Ukraine. Sie | |
| war Teilnehmerin eines [7][Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung]. | |
| Aus dem Russischen von [8][Tigran Petrosyan]. | |
| Finanziert wird das Projekt von der [9][taz Panter Stiftung]. | |
| 29 May 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Charkiw/!t5834691 | |
| [2] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150 | |
| [3] /Russland/!t5007547 | |
| [4] https://kharpp.com/ | |
| [5] /Fusion-im-Topf-Konfusion-im-Kopf/!645474/ | |
| [6] /Archiv/!s=&Autor=Yulia+Kalaban/ | |
| [7] /taz-Panter-Stiftung/!v=e4eb8635-98d1-4a5d-b035-a82efb835967/ | |
| [8] /Tigran-Petrosyan/!a22524/ | |
| [9] /Panter-Stiftung/Spenden/!v=95da8ffb-144e-4a3b-9701-e9efc5512444/ | |
| ## AUTOREN | |
| Yulia Kalaban | |
| ## TAGS | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| taz Panter Stiftung | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| Kolumne Krieg und Frieden | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Tagebuch aus der Ukraine: Heute Nacht schlafe ich | |
| Warum die Menschen in Kyjiw mehr den Sommer spüren als den Krieg. Eine | |
| Stadt erkämpft sich das Recht auf ein normales Leben. | |
| Tagebuch aus der Ukraine: Vorurteile, die auch der Krieg bestehen lässt | |
| Kateryna Mykhalko ist Managerin in der Rüstungsindustrie. An ihrer Arbeit | |
| gibt es keine Kritik. Aber sie ist 24 Jahre alt, und sie ist eine Frau. | |
| Tagebuch aus der Ukraine: Wenn Oma nicht mit Opa beigesetzt werden kann | |
| Viele Menschen haben Angst, in der Ferne begraben zu werden. Die Großmutter | |
| unseres Autors wurde auf einem anderen Friedhof als ihr Mann beerdigt. | |
| Tagebuch aus Russland: Der Krieg und das Insulin | |
| Im Leningradskaja Oblast ist es wie in ganz Russland: Wer auf Medikamente | |
| angewiesen ist, muss lange warten und sehr viel Rubel bezahlen. | |
| Belarussische Geflüchtete in Lettland: Was will der fremde Arzt von mir? | |
| Unsere Autorin stammt aus Belarus und lebt in Lettland. Angst hat sie, wenn | |
| sie sich in medizinische Behandlung begibt. Denn Verständnis ist selten. | |
| Russische Luftangriffe auf die Ukraine: Mit dem Heulen der Sirene fängt es an | |
| Die russischen Luftangriffe auf die Ukraine haben wieder zugenommen. | |
| Menschen aus der Hafenstadt Odessa berichten von Strategien gegen die | |
| Angst. | |
| Russland-Ukraine-Talks: Neuer Austausch von Gefangenen geplant | |
| Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine enden am Montag | |
| fast ohne Ergebnis. Menschen in Lwiw misstrauen Moskau. | |
| Krieg in der Ukraine: Wie Russland Jugendliche für den Terror gewinnt | |
| Über Telegram werden ukrainische Jugendliche rekrutiert, um Terroranschläge | |
| zu verüben. Für die jungen Täter geht der Auftrag oftmals tödlich aus. | |
| +++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Ukraine schickt Delegation nach Istanbul | |
| Die Ukraine hat für Gespräche mit Russland am Montag in Istanbul zugesagt. | |
| Laut ukrainischer Geheimdienstkreise wurde eine russische Luftwaffen-Basis | |
| angegriffen. | |
| +++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Warten und provozieren | |
| Merz sieht die Lieferung von Taurus-Systemen „im Bereich des Möglichen“. | |
| Moskau schlägt Verhandlungen vor, macht aber keine konkreten Vorschläge. | |
| Tagebuch aus Aserbaidschan: Warum sie ihn zum Schweigen bringen | |
| Im Exil in Georgien hat unsere Autorin große Angst. Sie bangt um Tofig | |
| Yagublu, einen besonders mutigen Gegner des Regimes in Baku. | |
| Tagebuch aus der Ukraine: Kurze Geschichte über eine Traktoristin zu Kriegszei… | |
| Warum unsere Autorin in Odesa nicht mehr von Akkordeonklängen geweckt | |
| wird. Und weshalb ihre Nachbarin nun für die Landwirtschaft ausgebildet | |
| wird. | |
| Tagebuch aus Estland: Bedrohliche Töne wehen über den Fluss | |
| Die Narva trennt die gleichnamige estnische Stadt vom russischen Iwangorod. | |
| Das Gefühl der Angst ist dort gewachsen, auch unter Russ:innen. |