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# taz.de -- Belarussische Geflüchtete in Lettland: Was will der fremde Arzt vo…
> Unsere Autorin stammt aus Belarus und lebt in Lettland. Angst hat sie,
> wenn sie sich in medizinische Behandlung begibt. Denn Verständnis ist
> selten.
Bild: Der Kontrollpunkt Silene an der lettisch-belarussischen Grenze ist geschl…
Vor viereinhalb Jahren kam ich für zwei Wochen aus [1][Belarus] nach
[2][Lettland], konnte aber nicht mehr nach Hause zurückkehren. Wie viele
andere Flüchtlinge bin ich nicht bei bester Gesundheit. Ich habe viel mit
der örtlichen medizinischen Versorgung zu tun. Oft ist sie besser
ausgestattet und fortschrittlicher als die belarusische, aber dennoch fühle
ich mich dort sehr verletzlich.
Kürzlich habe ich einen Termin bei einem Traumatologen vereinbart, in
dessen Profil angegeben ist, dass er auch Ukrainisch spricht. Als
Belarussin habe ich immer ein wenig Angst, zu ukrainischen Ärzt:innen zu
gehen. Ich mache mir Sorgen, dass sie mich nicht ausreichend behandeln,
weil auch aus Belarus [3][Raketen auf die Ukraine] abgefeuert wurden.
Natürlich bin ich neidisch. Ich wünsche mir, dass auch unsere geflüchteten
Mediziner sofort arbeiten dürfen, so wie es den Ukrainer:innen erlaubt
wurde. Dann wäre ich viel entspannter, aber bisher ist jeder Arztbesuch
eine Lotterie, bei der man als Gewinn eine Eintrittskarte in die Praxis
bekommt, wenn man sich widerspruchsfrei solche Sachen anhört:
„Meinungsfreiheit gibt es nirgendwo, dafür sind bei euch in Balarus die
Straßen sauber.“
Das war meine erste medizinische Erfahrung in Lettland, nachdem es mich
aufgenommen hatte. 2021 lebte ich noch in einem Flüchtlingslager und bat
eine Krankenschwester, mir einen Termin beim Frauenarzt zu vereinbaren. Bei
meiner ersten Festnahme in Belarus hatte ich mich nämlich unterkühlt, denn
die Milizbeamten ließen nachts das Fenster in meiner Zelle weit offen. Als
ich dann den Arzt konsultierte, bereitete die Schwester die Untersuchung
vor, während ich schon auf dem gynäkologischen Stuhl saß. Dort hielt sie
mir einen kleinen Vortrag über die politische Lage in Lettland: Demokratie
gebe es ja nirgendwo, und in Lettland sei es überhaupt nicht besser als in
Belarus.
## Belehrung bei der Behandlung
Einige Ärzt:innen in Lettland glauben über die Ereignisse in Belarus
Bescheid zu wissen und möchten ihre Eindrücke gerne während der
Sprechstunde mitteilen. Einmal sprach ein Psychiater zehn Minuten lang über
die Ursachen menschlicher Aggression und wie es wohl dazu gekommen ist,
dass die Sicherheitskräfte in Belarus Menschen so brutal zusammenschlagen.
Ein HNO-Arzt erzählte sehr emotional, er habe im Fernsehen
Live-Übertragungen von unseren Aktionen in [4][Minsk] gesehen – und er habe
großes Mitgefühl dafür, dass die Behörden die Proteste unterdrückt hätten.
Kann man Politik beim Arztbesuch vermeiden? Wahrscheinlich schon, wenn die
Patient:innen nichts mit Politik zu tun hat. Aber was tun, wenn ich in
der Sprechstunde gefragt werde, ob ich unter starkem Stress stehe, nicht
zuletzt, weil meine Aktivist:innen-Initiative vergangene Woche als
extremistische Vereinigung eingestuft wurde? Und auch, weil weiterhin
Nachrichten über politische Gefangene aus Belarus kommen, denen wir
entnehmen, dass derzeit noch mehr als 1.100 politische Gefangene hinter
Gittern sitzen? Und dass einige kurz nach ihrer Freilassung starben?
Oder aber dies: Wenn die Ärzt:innen nachfragen, unter welchen Umständen
die Symptome bei mir zum ersten Mal aufgetreten sind, und die richtige
Antwort lauten muss: „Im Gefängnis.“
Möge der Arzt der Diktatur fernbleiben und Barmherzigkeit zeigen.
[5][Nasta Zakharevich] ist belarusische Journaoistin und lebt im Exil in
Lettland. Sie war Teilnehmerin eine [6][Osteuropa-Workshops der taz Panter
Stiftung].
Aus dem Russischen von [7][Tigran Petrosyan]
6 Jun 2025
## LINKS
[1] /Belarus/!t5697369
[2] /Lettland/!t5019544
[3] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[4] /Minsk/!t5012730
[5] /programm/2024/tazlab2024/de/speakers/2124.html
[6] /taz-Panter-Stiftung/!v=e4eb8635-98d1-4a5d-b035-a82efb835967/
[7] /Tigran-Petrosyan/!a22524/
## AUTOREN
Nasta Zakharevich
## TAGS
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Gesundheit
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