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# taz.de -- Russische Luftangriffe auf die Ukraine: Mit dem Heulen der Sirene f…
> Die russischen Luftangriffe auf die Ukraine haben wieder zugenommen.
> Menschen aus der Hafenstadt Odessa berichten von Strategien gegen die
> Angst.
Bild: Ein ausgebranntes Zimmer in einem durch einen russischen Drohnenangriff z…
Odessa taz | Luftalarm! Der beginnt in der Hafenstadt [1][Odessa] – wie
überall in der Ukraine – gewöhnlich mit dem Heulen der Sirene. Nach drei
Jahren Krieg klingt sie tagsüber schon fast alltäglich und beunruhigt
niemanden mehr wirklich. Die Menschen machen einfach weiter mit dem, was
sie tun: arbeiten, spazieren gehen, so tun, als ob nichts sei. Nachts holt
einen der Luftalarm hingegen aus dem Schlaf, zuerst in den Vororten, dann,
fünf bis zehn Sekunden später, heult sie auch neben deinem Haus. Der Ton
ist so nervend, dass man am liebsten zurückheulen würde. Und per
Lautsprecher wird verkündet: „In Odessa wurde Luftalarm ausgelöst. Begeben
Sie sich so schnell wie möglich in den Schutzraum!“
Zur Realität gehört, dass längst nicht mehr alle in den Schutzraum gehen.
Trotz der Gefahr, Opfer eines nächtlichen Angriffs zu werden. „Aber das ist
doch gefährlich!“, werden Sie jetzt einwenden. Ja, das ist gefährlich. Aber
in mehr als drei Kriegsjahren haben die Ukrainer ihren eigenen
Lebensrhythmus, ihre eigene Logik entwickelt, die man Menschen, in deren
Land kein Krieg herrscht, häufig nicht so leicht erklären kann.
So kann es an einem Tag [2][sechs, sieben Mal Luftalarm geben], jeweils
zwischen zehn Minuten und zehn Stunden. Das weiß man nie vorher. Aber wenn
man quasi jede Nacht ein paar Stunden im Schutzraum verbringt, dann sagt
der Organismus höchstwahrscheinlich nach einer Woche: „Sollen sie doch
bombardieren, ich will schlafen.“ Weil es auch einfach notwendig ist, zu
arbeiten, zu essen, den Haushalt zu machen und eben zu schlafen.
## Luftraumüberwachung per Social Media
Das bestätigen auch die Odessiten selber. Die 52-jährige Halyna zum
Beispiel: „Ich gehe nur extrem selten in den Schutzraum, auch, weil der
einfach relativ weit weg ist. Die Raketen und Drohnen sind so schnell, da
macht das gar keinen Sinn mehr.“
Und auch der Grafikdesigner Denys meint: „Bevor ich in den Keller gehe,
schaue ich immer zuerst auf Social Media. Dort gibt es spezielle Kanäle zur
Luftraumüberwachung. Wenn es eine direkte Bedrohung gibt, wenn es so laut
wird, wie es beim letzten Angriff war … Aber dann sitzt man im Keller und
spürt, dass man selbst dort nicht sicher ist. Wir haben keinen richtigen
Schutzraum, nur einen einfachen Keller in einem Haus aus Muschelkalk.“
Die Sirene klingt immer gleich, aber die Luftangriffe sind unterschiedlich.
Was und woher etwas geflogen kommt, kann man aus einem der zahlreichen
Telegram-Kanäle erfahren. Normalerweise steht da dann „feindliche
Aufklärungsdrohne in unsere Richtung“, „MiG-31K im Luftraum“, „drohende
Gefahr durch den Einsatz von Angriffsdrohnen“, „Abschuss von
Kaliber-Raketen“ oder „Gefahr durch ballistische Raketen“.
Und in jüngster Zeit ist noch der Begriff „reaktive UAVs“, also „unbeman…
Luftfahrzeuge“ dazugekommen: Die Russen haben eine neue Drohnenart in
Betrieb genommen. Wenn man weiß, welche Art von Angriff angekündigt ist,
entscheidet man für sich: Will man in den Keller, in eine Tiefgarage, im
Flur der eigenen Wohnung Schutz suchen (gemäß der „2-Wände-Regel“) oder
einfach im warmen Bett liegen bleiben?
## Gefahr droht auch im eigenen Bett
Es gibt auch Menschen, die einen Angriff einfach verschlafen. So wie der
Manager Aleksandr: „Einmal habe ich geträumt, dass über mir eine große
Biene herumschwirrte und melodisch summte. Erst morgens habe ich kapiert,
dass es nachts einen Drohnenangriff gegeben hatte. Aber ich war so müde,
ich bin einfach nicht wirklich wach geworden.“
Tatsächlich kann einen natürlich auch im Bett eine Rakete, eine Drohne oder
die Flugabwehr treffen. Ein plötzlicher Knall – eine Explosion! Das
Geräusch der Drohnen ähnelt dem eines Moped. Wenn es so klingt, als ob sie
direkt über dem Haus fliegen, ist es Zeit, in den Flur zu gehen. Wieder
eine Explosion, noch näher! Die Fensterscheiben klirren.
Shahed-Drohnen kommen selten einzeln. Manchmal fliegen bis zu zwölf Stück
innerhalb einer halben Stunde. Und das bei uns, im vergleichsweise ruhigen
Odessa. In Cherson und Saporischschja kommen zum Beispiel noch Gleitbomben
und Artillerie dazu. Und die sind bedeutend lauter.
## Nächtliche Aktivitäten bei Luftalarm
Im Flur hat man bereits in weiser Voraussicht eine Isomatte oder eine Liege
platziert. Man kann sich hinlegen, Angst haben, mit der Katze kuscheln, die
Explosionen zählen und raten, wo die Raketen dieses Mal einschlagen. Man
kann auch versuchen, sich auszumalen, in welchem Zustand man später unter
den Trümmern gefunden wird. Oder Kontakt zu Freunden aufnehmen und sie
fragen, wie es ihnen gerade geht. Sich zum Kühlschrank vorwagen, um sich
dort etwas Leckeres zu essen zu holen. Oder eine angebrochene Flasche
Rotwein, um ein Gläschen auf die Luftabwehr zu trinken.
Odessiten berichten auch noch von anderen nächtlichen Aktivitäten während
des Luftalarms. Der Grafikdesigner Denys erzählt: „Im Keller mache ich
eigentlich nichts Besonderes: herumsitzen, Angst haben, meine Tochter im
Arm halten. Lesen, was wohin fliegt. Und warten, dass alles vorbeigeht.“
Und die 43-jährige Anwältin Walerija sagt: „Ich gehe manchmal mit dem Hund
in den Hof und denke an die Arbeit. Manchmal mache ich sogar Sport: ich
gehe in die Hocke, weil mein Adrenalinspiegel steigt.“
## Panikattacken und Depressionen als Folge der Angriffe
Luftalarm bleibt nicht folgenlos. Selbst wenn es keine Angriffe gibt, gibt
es psychischen Druck: Panikattacken, chronische Müdigkeit, Depressionen,
Schlaflosigkeit – harmlose Dinge, die uns hier treffen, weit entfernt von
der Frontlinie, wie Grafikdesigner Denys bestätigt: „Ja, die Angst hat
zugenommen, die Panikattacken sind zurück seit letztem Monat. Darum bemühe
ich mich, alltägliche Dinge zu tun, gewöhnliche, ungefährliche. Ich
arbeite, meide möglichst die Nachrichten. Ich habe mir ein leichtes
Antidepressivum besorgt, es hilft ein bisschen. Manchmal trinke ich Alkohol
– sehr viel mehr als früher.“
Über Alkohol zur Angstbewältigung gibt es aber auch ganz andere Meinungen,
wie die HR-Spezialistin Halyna erklärt: „Alkohol darf man nicht trinken,
denn wenn man durch einen Raketenangriff verletzt und dann gerettet wird,
darf kein Alkohol im Blut sein: das verträgt sich nicht mit einigen
Medikamenten. Ich lenke mich mit Theaterbesuchen ab, gehe in Ausstellungen
und mache auch gerne Ausflüge in die Umgebung von Odessa. Ich suche neue
Eindrücke.“
Nach solchen Angriffen muss man die Kraft finden, sich hinzulegen und zu
schlafen, ganz gleich, was man am nächsten Morgen über Opfer und
Zerstörungen erfährt. Denn am nächsten Morgen beginnt auch ein neuer Tag.
Vielleicht kommt die Sonne heraus, es gibt gutes Wetter. Man kann ans Meer
gehen, frische Luft atmen, sich nach der schlaflosen Nacht mit einem Kaffee
aufmuntern, sich die zivilen Schiffe am Horizont ansehen und sich davon
überzeugen, dass alles Gute noch vor uns liegt.“
Aus dem Russischen [3][Gaby Coldewey]
5 Jun 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Artem Perfilov
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Odessa
Luftangriffe
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Panik
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Kolumne Krieg und Frieden
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