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# taz.de -- Die Helsinki-Biennale: Die Insel ist die Protagonistin
> In der Helsinki-Biennale verbünden sich Kunst und Landschaft. Sie
> überrascht mit positiven Entwürfen für Gesellschaft und Gestaltung.
Bild: Seltsamer Duft aus Baumstämmen: Raimo Saarinens Kunstinstallation „Inv…
Glänzend gelbe Butterblumen quetschen sich an absurd fragilen Stielen durch
Maiglöckchen und Wilde Möhre. An einem Abhang wellt sich Bast von schmalen
Birkenstämmen, ergießt sich in ein sumpfiges Meer aus Schachtelhalmen in
dunkelstem, sattem Grün. Über ihnen schwebt das Versprechen von
Dinosauriern und Meteoriten, von Eiszeiten, tektonischen
Plattenverschiebungen und jahrmillionenalter Evolution, während über dem
eigenen Kopf am freigemähten Wegesrand dicht an dicht Schnüre voll
nussartiger Samenschalen hängen.
Zwischen Ästen hängen lange Taue. Wer an ihnen rüttelt, übertönt die
pausenlos schreienden Vogelstimmen für einen kurzen Moment mit einer
bebenden Rassel-Installation, deren Klänge wie trockener Regen direkt ins
Gehirn rieseln. „Sonic Seeds“ heißt die Arbeit der mexikanischen Künstler…
Tania Candiani, die versucht, sich gegen die fette finnische Natur zu
behaupten. Ein fast vergebliches Unterfangen, zu sehr drückt sich die in
jeden Nervenkanal.
Die Biodiversität der Insel Vallisaari gilt als artenreichste der
finnischen Scherengärten, deren mehr als 40.000 Inseln vor der Küste
Helsinkis wie Walfischrücken aus dem Wasser aufragen. Besucht man im Juni
die auf ihr soeben eröffnete [1][Helsinki-Biennale] – Vallisaari ist nur
eine 20-minütige Bootsfahrt vom Zentrum der finnischen Hauptstadt entfernt
–, fällt es nicht schwer, dies zu glauben.
## Schützen, Reparieren, Koexistieren
„Shelter – Below and Beyond, Becoming and Belonging“ lautet der Titel der
noch jungen Kunstausstellung. Ihre diesjährige, dritte Ausgabe setzt sich
örtlich passend mit dem Verbessern und Verstehen ökologischer Beziehungen
auseinander, mit Schützen und Reparieren, mit Koexistieren und
nichtmenschlichen Akteuren, Gemeinschaften und Geschichten.
Wenige Meter weiter ein intensiver Duft. Es ist nicht der noch blühende
Flieder, auch nicht das zertretene Geranium, er ist fast sexuell, nicht
zuordenbar, keinesfalls synthetisch. An drei verschiedenen Orten der Insel
hat der Künstler Raimo Saarinen seine „Invasive Scents“ in hohlen
Baumstümpfen versteckt, irritierend nebeln sich so auf den Wegen die Düfte
fremder, invasiver, doch hier noch nicht verbreiteter Pflanzen in die Nasen
der Besuchenden.
[2][„Foreigners everywhere“ hieß die Ausgabe] der letzten
Venedig-Kunstbiennale, deren Kurator Adriano Pedrosa zum Unmut vieler den
Schwerpunkt auf Kunst indigener Gemeinschaften und [3][des „globalen
Südens“ legte]. Auch auf der Helsinki-Biennale wird das Ausstellen der
bisher ungezeigten, ungehörten Positionen, das sich in den letzten Jahren
auf den internationalen Kunstereignissen als Tendenz abzeichnete, durch die
beiden Kuratorinnen Bianca de la Torre und Kati Kivinen fortgeführt. Sie
seien alle tief von Theorien des Ökofeminismus geprägt, erklärt de la
Torre, die schon 2021 die ecuadorianische Cuenca-Biennale kuratierte.
Doch während sich in den letzten Jahren von der Venedig-Biennale bis zur
documenta in Kassel nicht nur ein politischer Aktivismus, sondern auch Wut,
Gewalt und Feindseligkeiten ihre Wege in die Kunstschauen bahnten, ist
davon in Helsinki wenig zu spüren. Zwar träfen sich auch hier „der globale
Süden mit dem indigenen Norden“, doch sind die ausgestellten Arbeiten fast
durchweg positiv in ihrer Weltsicht. Und auch etablierte all-time classics
wie Ólafur Elíasson und Yayoi Kusama sind vertreten.
Die Kunst auf dieser Helsinki-Biennale fokussiert aufs Verstehen und
Interagieren – und die Schönheit der Natur. Teils durch ihre fast kitschige
Imitation, wie bei den Glasobjekten des Künstlerinnenduos LOCUS, teils
durch wirklich gelungene Partnerschaft, wie beim Duo nabbteeri. Deren
parasitäre Pflanzeninstallation „a suitable host“ bietet an einem alten
Gebäude der Insel Schutz für nicht-menschliche Bewohner und erfüllt auch
formal-ästhetisch alles, was man sich von Kunst nur wünschen kann: Sie ist
irritierend, lustig, schön.
## Wenn Spielzeug zu Müll wird
Jahrzehnte lang unbewohnt und militärisch gesperrt, ist es die Insel
Vallisaari selbst, die zur Protagonistin dieser Biennale wird. Nur die
Kunst, die sich der Insel unterordnet, kann auf ihr bestehen. Auf flachen
Steinen abseits des Weges, den man nur hier ausnahmsweise verlassen darf,
heizen sich von Sara Bjarland in Bronze gegossene, flatschige aufblasbare
Schwimmspielzeuge wie angeschwemmt in der Küstensonne auf. Jede Luft ist
aus den Spielzeugdelfinen gewichen, nur ihre Plastikgriffe strecken sich
noch neben den atemlosen Rückenflossen empor. Müll und Tod, Sehnsucht,
Kindheit und Wachstumsversprechen schweigen vorwurfsvoll dröhnend in der
Skulpturen-Serie „Stranded“, die nach der Biennale in die Sammlung der
öffentlichen Kunst Helsinkis übergehen – wo genau sie letztlich für immer
stranden werden, sei jedoch noch unklar, berichtet die Künstlerin.
Solch direkte Kritik am Menschen findet sich in wenigen Arbeiten der 37
Künstler:innen und Kollektive, die sich auf Vallisaari und an weiteren
Orten der Stadt verteilen. Im Esplanade-Park in Helsinkis Innenstadt grüßt
stumm und vorwurfsvoll ein „Unmelting Snowman“ aus schwarzem Granit von
Gediminas Urbonas, der schon seit 1995 an das Ausmaß des menschengemachten
Klimawandels erinnert und nun anlässlich der Biennale gemeinsam mit
weiteren Arbeiten auf den Platz gestellt wurde.
Läuft man auf der Insel und in der Stadt für die Kunst teils weite Strecken
ab, versammelt die [4][Hauptausstellung im Helsinki Art Museum (HAM)] viele
Werke in luftigen Räumen. „This is my body, this is my land. I am the body,
I am the land“ begrüßt einen sofort das Video „Teardrops of our
Grandmother“ von 2023 der Sámen Jenni Laiti und Carl-Johan Utsi. Deren
enigmatischen Drohnenaufnahmen von Rentierherden in Eislandschaften
entfalten eine hypnotische Wirkung. Ein paar Schritte weiter hängen die
charmant breitpinselig gemalten Naturillustrationen von Maria Thereza
Alves.
## Reisende Künstlerinnen der Geschichte
Ihre gelb-transparente Spinne scheint sachte in Richtung einer anderen
Institution zu grüßen: Parallel zur Biennale zeigt das Ateneum, Teil der
finnischen Nationalgalerie, die Ausstellung [5][„Crossing Borders –
Travelling Women Artists in the 1800s“]. Mit mehr als 270 Exponaten werden
dort Werke von Malerinnen gezeigt, die sich als Alleinreisende durch Europa
bewegten und dabei neue Blicke auf Natur, Körper und Umgebung entwickelten
– unter ihnen auch die poetischen und unwahrscheinlich feinen
Spinnenbilder Hilda Olsons, der ersten wissenschaftlichen Illustratorin
Finnlands.
Dass die Ausstellung explizit von „Women Artists“ spricht, ist kein Zufall.
Die finnische Sprache kennt keine grammatikalischen Geschlechter. Und
tatsächlich ist es eindrucksvoll, so viele Werke von Frauen zu sehen.
Vieles ist streng akademisch, wenig scheint innovativ – aber gerade deshalb
vielleicht fair, wie oft lief man schon an mittelmäßiger Malerei von
Männern vorbei.
Verlässt man die Wege der Biennale, hängt über Helsinkis Kunstsommer
[6][ein wenig Sehnsucht], ein wenig lauernder Verfall. Im Projektraum SIC
versucht Kaare Ruud die unaufhaltsamen Zersetzung des ikonischen
Monobloc-Stuhls mit Kabelbindern aufzuhalten, als würde er die globale
Menschheit reparieren, während Lasse Juuti bei Kohta dicke Holzplanken in
Leinwand wickelt, wie in malerisches Verbandszeug. Darauf handgeformte
Goldobjekte – eines davon gefertigt aus Ferrero-Rocher-Papier.
Im Bücherregal am Ausgang liegt ein schmaler Band der US-amerikanischen
Künstlerin und Dichterin Nhatt Nichols. Mit wenigen Worten und wildem
Bleistift beschreibt sie das Verschwinden der Menschheit vom Planeten, das
unaufhaltsame Zurückerobern der Natur: „We would just be so astonished at
what has replaced our plastic empire. What I mean is: this was made to be
missed. I hope this fractures your heart open. Seedlike to sprout again
just to see.“ Um wieder zu sprießen, nur um zu sehen – auch das hätte der
Untertitel der diesjährigen Biennale sein können.
9 Jun 2025
## LINKS
[1] /Finnlands-Kulturszene/!5946403
[2] /Rundgang-ueber-die-Biennale-von-Venedig/!6003127
[3] /Aktuelle-Kunst-und-Globaler-Sueden/!6007485
[4] https://www.hamhelsinki.fi/en/
[5] https://ateneum.fi/en/exhibitions/crossing-borders/
[6] /Ausstellung-ueber-Reformbewegungen/!6080666
## AUTOREN
Hilka Dirks
## TAGS
Helsinki
Biennale
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zeitgenössische Kunst
Indigene Kultur
Landschaft
Kunst
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Braunschweig
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