| # taz.de -- Jugendforscher über polnische Identität: „Die Frage, wer zu Pol… | |
| > Politikwissenschaftler Félix Krawatzek über Polens Jugend zwischen | |
| > Identitätssuche, Enttäuschung und dem Rechtsruck bei jungen Wähler*innen. | |
| Bild: Junge Supporter der rechtsextrem geltenden Partei Konfederacja im Mai 202… | |
| taz: Herr Krawatzek, Sie forschen zu dem Identitätsverständnis von | |
| [1][jungen Menschen in Polen]. Für viele sei es eine Herausforderung, sich | |
| selbst in der polnischen Gesellschaft zu verorten. Warum kämpft die Jugend | |
| damit? | |
| Félix Krawatzek: In den letzten zwei Jahrzehnten hat Polen einen | |
| tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel durchgemacht. Die Rolle von | |
| traditionellen Institutionen ist infrage gestellt – Kirche, Familie, | |
| Geschlechterbeziehungen – und gleichzeitig bleiben diese Normen aber | |
| relevant. Dieser schnelle Wandel hat dazu beigetragen, dass Beziehungen zur | |
| Elterngeneration schwieriger geworden sind, aber auch, eine Antwort auf die | |
| Frage zu finden, welchen Platz man in Polen hat. Neben dem | |
| gesellschaftlichen [2][Generationskonflikt] kommt dann noch die für junge | |
| Menschen besonders schwierige Wirtschaftslage. | |
| taz: Auch ganz aktuell steht die polnische Jugend im Fokus. In Polen wird | |
| momentan ein neuer Präsident gewählt. In die Stichwahl hat er es zwar nicht | |
| geschafft, aber ein Drittel der 18- bis 29-Jährigen hat in der ersten Runde | |
| für den Kandidaten der rechtsextremen „Konfederacja“ gestimmt. In keiner | |
| anderen Altersgruppe erhielt der Vorsitzende Sławomir Mentzen so eine große | |
| Zustimmung. Überrascht Sie das? | |
| Krawatzek: Unsere Forschung der vergangenen Jahre zeigt, dass unter jungen | |
| Menschen in Polen eine große Spaltung existiert. Es gibt sowohl eine | |
| Unterstützung für extrem rechts als auch extrem links. Das sieht man ja | |
| auch an den vergleichsweise hohen Zustimmungswerten für den Kandidaten | |
| [3][der linken Partei Razem]. Dass sich das an der Wahlurne ausdrückt, ist | |
| nicht überraschend, aber erschreckt trotzdem. | |
| taz: Mentzen war besonders präsent auf Social Media im Wahlkampf. Auf | |
| TikTok folgen ihm 1,6 Millionen Menschen. Ein Grund für seinen Erfolg? | |
| Krawatzek: Mentzen gibt sich dort weniger als Politiker und mehr als | |
| Influencer. Er lässt sich filmen, während er Selfies mit jungen Leuten in | |
| der Innenstadt macht, zeigt sich zugänglich, umarmt sie. Dazu kommt, dass | |
| seine spitzen Forderungen gut auf Social Media funktionieren. Man kann sein | |
| Wahlprogramm auf einen Slogan mit den fünf Thesen der „Konfederacja“ | |
| herunterbrechen: „Wir wollen keine Homosexuellen, Juden, die EU, Steuern | |
| und Abtreibung“. Er nutzt die Sprache der User, und das kommt gut an. Wenn | |
| man sich dagegen anschaut, wie die Kandidaten der PiS und der | |
| Bürgerplattform sich auf Social Media inszenieren. Die sind durch und durch | |
| Politiker. Das holt die Jugend nicht ab, besonders in einer Zeit, wo sich | |
| viele nur über soziale Medien informieren. Darüber hinaus ist das Vertrauen | |
| in die traditionellen Medien in Polen in den vielen Jahren unter PiS aus | |
| gutem Grund enorm gesunken. | |
| taz: Wie verankert ist rechtsextremes Gedankengut in den Köpfen der | |
| Konfederacja-Wähler*innen? | |
| Krawatzek: Besonders junge Männer identifizieren sich mit den | |
| nationalistischen Forderungen der Partei. Ihnen wird erzählt, dass sie die | |
| wahren Männer mit einer Funktion für Familie, Gesellschaft und ihr Land | |
| sind. Dieses patriotische Männerbild ist überall in Europa in den | |
| vergangenen Jahren ins Wanken geraten und führte zu Unsicherheiten. Das | |
| Erstarken der Konfederacja gibt ihnen wieder mehr Selbstvertrauen. Es gibt | |
| aber auch noch andere Verlagerungen, auf dem Land wird eher rechts gewählt | |
| als in den urbanen Regionen. Die regierenden Parteien machen den Menschen | |
| dort zu wenig Angebote für ein anderes Polen, was sie nicht mehr | |
| benachteiligt. Aber ich möchte betonen, dass viele Mentzen auch aus | |
| Verdruss über die alten Parteien gewählt haben. | |
| taz: Weil sie unzufrieden sind mit der aktuellen liberalkonservativen | |
| Regierung? | |
| Krawatzek: Sowohl die Bürgerplattform, die größte der regierenden | |
| Koalitionsparteien, als auch die vorige rechtskonservative PiS-Regierung | |
| hat die Jugend als Objekt und nicht als Akteur betrachtet. Für die Jüngeren | |
| sind es Alte-Leute-Parteien. Die Jugend sorgt sich um die steigenden Miet- | |
| und Lebensmittelpreise bei beinah gleichbleibenden Löhnen. Viele junge | |
| Pol*innen wollen ausziehen, aber können es sich nicht leisten. | |
| Stattdessen leiden sie unter der Bildungsreform an Schulen, die die PiS | |
| durchsetzte, auch an den Unis fehlt Geld. Auch der Klimawandel fand im | |
| Wahlkampf keinerlei Beachtung, ist aber für junge Menschen relevant. Beide | |
| etablierten Parteien haben sich nicht für die Jugend eingesetzt und sie | |
| hoffen, in den extremen Rändern mehr mitsprechen zu dürfen. | |
| taz: Die strikte Migrationspolitik, die auch der liberalkonservative | |
| Kandidat Trzaskowski verfolgte, waren eines der großen Themen im Wahlkampf. | |
| Besorgt das auch die jungen Pol*innen? | |
| Krawatzek: Ja, definitiv. Wir haben 2022 eine Umfrage in Polen gemacht – | |
| die Frage: Sollten Geflüchtete an der polnisch-belarussischen Grenze Asyl | |
| beantragen dürfen? 70 Prozent der jungen Leute sagten Nein. Die Frage, wer | |
| zu Polen gehört, entzweit die Jugend. Besonders Geflüchtete aus | |
| muslimischen Ländern werden stark abgelehnt. Ein weiteres großes Thema ist | |
| die Bedrohung durch Russland. Anders als in Ungarn gibt es in Polen keine | |
| prorussischen Tendenzen bei den Rechten. Sicherheit bedeutet hier Schutz | |
| der territorialen Integrität, nationale Identität und Abgrenzung. Das geht | |
| auch Hand in Hand mit Bildungsinhalten und einem Geschichtsbild, das Polen | |
| als Bollwerk darstellt – gegen Invasoren, gegen das Fremde. Das wird im | |
| Bildungssystem, der Museumslandschaft und durch die Politik, vor allem | |
| durch die PiS, stark transportiert. | |
| taz: Warum ist das so? | |
| Krawatzek: Das hat historische Wurzeln. In Folge des Zweiten Weltkriegs | |
| wurde Polen ethnisch sehr homogen, unter anderem durch die Vernichtung der | |
| jüdischen Bevölkerung im Holocaust und der Flucht der deutschen | |
| Bevölkerung. Das Ideal von Homogenität prägt das nationale | |
| Selbstverständnis und wird im Geschichtsunterricht als wertvoll und | |
| schützenswert vermittelt. Dadurch trägt es zur Ablehnung des „Fremden“ be… | |
| Auch die demografische Entwicklung spielt eine Rolle. Viele junge Menschen | |
| sind nach der EU-Osterweiterung ausgewandert. In manchen Regionen fehlt der | |
| Nachwuchs, und das verstärkt die Angst, „unsere Gruppe“ schützen zu müss… | |
| taz: Und trotzdem gab es zu Beginn des Ukraine-Krieges eine große | |
| Solidarität unter den jungen Leuten. Hat sich das verändert? | |
| Krawatzek: Die anfängliche Hilfsbereitschaft – vor allem getragen von | |
| jungen Leuten – war groß. Aber schon 2022 gab es kritische Stimmen. „Die | |
| müssen arbeiten“, „Das Sozialsystem hält das nicht aus“, „Ich bekomme | |
| keinen Platz mehr beim Kinderarzt“. In unseren Umfragen zeigte sich, dass | |
| viele bereit waren, Geflüchtete aufzunehmen, wollten aber keine | |
| langfristige Integration. Die Mehrheit sprach sich dafür aus, dass | |
| Ukrainer*innen entweder zurückkehren oder in andere EU-Länder verteilt | |
| werden sollten. | |
| taz: Gibt es Unterschiede zwischen jungen Frauen und Männern? | |
| Krawatzek: Ja. Frauen waren 2022 bereits kritischer gegenüber der Aufnahme | |
| ukrainischer Geflüchteter – oft wegen direkter Alltagsbelastung etwa beim | |
| Kinderarzt, im Kindergarten, im Sozialsystem. Männer wiederum waren | |
| besonders kritisch gegenüber Geflüchteten an der belarussischen Grenze. Bei | |
| arabischen Flüchtlingen kommt bei jungen Männern stärker die nationale | |
| Identitätsfrage ins Spiel, bei ukrainischen eher soziale | |
| Gerechtigkeitsthemen, die Frauen stärker beschäftigen. | |
| taz: Und bei der Wahl 2023 – da spielte doch die Mobilisierung junger | |
| Frauen eine große Rolle? | |
| Krawatzek: Genau. Die landesweiten Frauenproteste nach der Verschärfung des | |
| Abtreibungsgesetzes waren massiv. In unserer Umfrage sagten 20 Prozent der | |
| 18- bis 34-Jährigen, sie hätten teilgenommen – ein sehr hoher Wert. Weitere | |
| 40 Prozent unterstützten die Proteste. Das führte 2023 zur Mobilisierung | |
| bei der Parlamentswahl, vor allem gegen PiS. Doch seitdem hat sich wenig | |
| getan. Die neue Regierung konnte wegen der Blockade durch den Präsidenten | |
| kaum Änderungen beim Abtreibungsgesetz durchsetzen. Die Enttäuschung ist | |
| spürbar. Viele junge Frauen wenden sich nun eher linken Kräften zu, statt | |
| der Bürgerplattform treu zu bleiben. | |
| taz: Am kommenden Sonntag findet die Stichwahl zwischen dem PiS-nahen | |
| rechtskonservativen Karol Nawrocki und dem liberalkonservativen Kandidaten, | |
| der von der Bürgerplattform unterstützt wird, Rafał Trzaskowski, statt. Bei | |
| der Jugend haben beide schlecht abgeschnitten. Was glauben Sie, wen werden | |
| junge Pol*innen nun wählen? | |
| Krawatzek: Die Lage ist sehr volatil, besonders bei den Jüngeren, die zum | |
| ersten oder zweiten Mal wählen. Es kommt auch darauf an, wie sich Mentzen | |
| in den Tagen vor der Wahl verhält und ob er sich noch für einen der | |
| verbliebenen Kandidaten ausspricht. Ich kann mir aber eher vorstellen, dass | |
| viele Nawrocki wählen, da er mehr ideologische Gemeinsamkeiten mit Mentzen | |
| aufweist. Das würde bedeuten, dass weiterhin ein PiS-naher Präsident die | |
| Reformen der Regierung mit seinem Vetorecht verhindern kann. Was das für | |
| die Regierung und die nächste Wahl 2029 heißen wird, kann man sich denken. | |
| Progressive Kräfte werden es dann weiterhin schwer haben. | |
| 31 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anastasia Zejneli | |
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