# taz.de -- Jeremy Deller-Ausstellung in Hannover: Kunst möchte bestaunt sein | |
> Mit Jeremy Dellers „Ausstellung für Kinder (und andere Leute)“ lädt | |
> Hannovers Kunstverein sein Publikum ein, sich auf spontane Rezeption zu | |
> besinnen. | |
Bild: Antworten von Erwachsenen sind oft unbeständiger als die Fragen, mit den… | |
Den weltweit [1][gefeierten britischen Künstler Jeremy Deller] hat der | |
Kunstverein Hannover eingeladen, eine Ausstellung für Kinder zu entwickeln | |
– und für andere Leute. Das ist nur konsequent. Denn für Deller, Jahrgang | |
1966, sind Kinder die idealen Adressat:innen moderner und | |
zeitgenössischer Kunst, selbst in ihrer verkopften Variante, der | |
Konzeptkunst. Dort geht es oft um Ausnahmesituationen, nicht selten | |
widernatürliche bis schmerzhafte oder skurrile, humorvolle. Kinder sind | |
intuitiv fasziniert, so der Turner-Preisträger von 2004. | |
Er stellt sich mit dieser Auffassung in eine Tradition der Moderne. So wird | |
Pablo Picasso das Bonmot zugeschrieben, er habe schon als kleiner Junge wie | |
Raffael gezeichnet, aber ein Leben dafür gebraucht, wie ein Kind malen zu | |
können. Kubistische Kompositionen entsprechen ja wirklich in mancher | |
Hinsicht der Art, wie Kinder, ganz ohne kunsttheoretischen Überbau, | |
multiperspektivisch und ohne naturalistisches Kolorit Bilder malen. | |
Deller selbst produziert, ganz anders als Picasso, nicht im klassischen | |
Sinn Kunst. Er arbeitet partizipativ mit Menschen. So transformierte Deller | |
das britische Nationalheiligtum Stonehenge in eine riesige, im Sturm | |
eroberte Hüpfburg. Erst auf einem Kunstfestival im schottischen Glasgow, | |
tourte sie 2012 zu den Olympischen Sommerspielen durch England: | |
„Sacrilege“, so ihr bezeichnender Titel. | |
## Hintergründiger Humor | |
Kunstvereinsdirektor Christoph Platz-Gallus kannte Deller aus seiner Zeit | |
beim Steirischen Herbst, dem Avantgardefestival in Graz. Hier hatte der | |
Brite 2019 einen Film über Proteste rund um den Brexit gezeigt, „Putin’s | |
Happy“. Denn auch das ist Deller: ein Künstler voller hintergründigem | |
gesellschaftlichem und politischem Analyse- und Humorpotenzial. Es gibt | |
noch einen zweiten Bezugspunkt, die Expo 2000 in Hannover. Damals ließ | |
Deller einen bunten Clown durch die Weltausstellung ziehen, machte ihn | |
staunen über den kaum in Zweifel gezogenen Optimismus technizistischer | |
Weltverbesserung. „Has the World Changed or Have I Changed?“, lautet | |
unverändert die Frage in Dellers nun neu zusammengestelltem, 25 Jahre altem | |
Filmmaterial. | |
Als Langzeitdokumentarist weltweiter Kinderspiele ist der Belgier Francis | |
Alÿs in der jetzigen Ausstellung in Hannover mit von der Partie. 1959 | |
geboren, ausgebildeter Architekt und seit einem humanitären Projekt nach | |
einem Erdbeben 1985 in Mexiko-Stadt ansässig, zeigt er aus seiner Sammlung | |
„Children’s Game“ die Nummer 20 von 2018: „Leapfrog“, das Bockspringen | |
irakischer Kinder, wild übereinander, in karger Landschaft. Alÿs, der | |
selbst Vater zweier kleiner Kinder ist, interessiert, mit welch elementarem | |
und universellem Verständnis überall gespielt wird. | |
Seine Videos sind frei im Netz verfügbar und werden derzeit umfassend | |
präsentiert in der Kölner Ausstellung „Kids Take Over“. Es scheint: Je | |
materiell ärmer ein Land, desto reicher blüht die Fantasie seiner Kinder im | |
Spiel mit Steinen, Reifen, Stöcken und zwei Filmrollen. Als weiteres Video | |
ist der Klassiker „Der Lauf der Dinge“ vom Duo Peter Fischli und David | |
Weiss zu sehen. Ihre 1987 im Studio inszenierte 30-minütige Kettenreaktion | |
mechanischer, chemischer und pyrotechnischer Ereignisse ist ein | |
selbstzerstörerisches Gleichnis: Alles beginnt harmlos, um dann außer | |
Kontrolle zu geraten. Dieser Slapstick erschließt sich ebenso unmittelbar | |
wie die Geschichte mit der Maus: Ryan Gander lässt sie aus ihrem Loch an | |
der Fußleiste heraus versuchen, eine eloquente Rede mit der Stimme seiner | |
neunjährigen Tochter zu halten. | |
## Animiert zum Klettern | |
Natürlich sollen Kinder (und andere Leute) in der Ausstellung aktiv werden. | |
Dazu gibt es etwa die organisch gebogenen Rohre, greiffreundlich mit | |
Jutebändern umwickelt, von Temitayo Ogunbiyi, einer in Lagos tätigen | |
Künstlerin. Sie wirken wie gezeichnete, in den Raum gestellte Linien, | |
animieren zum Klettern, Schaukeln oder Sich-fallen-Lassen auf Gummimatten | |
am Boden. Ein Zeichenatelier hat [2][David Shrigley] im Oberlichtsaal | |
eingerichtet. Spontane Zeichnungen werden im Raum aufgehängt und auf | |
Instagram geteilt. Für seine Comics und Grafiken favorisiert er einen | |
naiven, bunten Stil – nur zur Ermutigung. | |
Die Wände eines anderen, leeren Raums lässt der slowakische Künstler | |
[3][Roman Ondak] während der Ausstellungsdauer mit Markierungen füllen: | |
Körpergröße und Name der Person und Datum ihres Besuchs. So, wie Eltern das | |
Wachstum ihrer Kinder dokumentieren – oder ein spielerisches | |
Gesellschaftsporträt der Hannoveraner Besucher:innen? Auch Kinderfragen | |
sind willkommen. Ryan Gander hat schon mal 2.000 auf schwarze Kugeln | |
gedruckt, die frei im Raum kullern. Kinder werden sie nach und nach | |
einsprechen. Denn wie war das noch: Kriegen Wolken nun Sonnenbrand? | |
9 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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