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# taz.de -- Pulitzer-Preisträger Chacon in Hannover: Auch Feuerwaffen können …
> Im Kunstverein Hannover zeigt der Komponist Raven Chacon, dass wirklich
> ein Lied in allen Dingen schläft. Und er macht es auch hörbar.
Bild: In „Report“ erzeugen die Schallfarben der Knarren eine Harmonie und s…
Diese Sound-Performance hätte man gern einmal live erlebt: „Report“ ist das
spektakulärste Werk in [1][Raven Chacons] erster Einzelausstellung im
deutschsprachigen Raum. Ausgerichtet hat sie der Kunstverein Hannover
[2][unter dem Titel „Conductus“]. Aber schon allein weil die Waffengesetze
in Deutschland nicht so lax sind wie in den USA, kann die Performance darin
nur als Videodokumentation gezeigt werden: Die ließ Chacon bei einer
Wiederaufführung im Jahr 2015 in einer weiten, nicht benannten Landschaft
aufzeichnen.
Die Partitur verfasst hatte der US-amerikanische Komponist und
multidisziplinäre Künstler schon 2001. Die Besetzung: acht Personen,
ausgestattet mit Handfeuerwaffen diverser Kaliber, darunter sind wohl auch
historische Gewehre, Revolver, Pistolen oder Schrotflinten.
Im exakten Duktus eines Konzertes werden von den hoch konzentrierten
Akteur:innen die unterschiedlichen Waffen abgefeuert. Ihre jeweils
eigenkennigen Schallfarben verdichten sich zu harmonischen, sequenziellen
Rhythmen, einem zwischenzeitlichen „Finale Furioso“ und klingen dann doch
fast in der Stille aus. Nur noch der Wind bewegt, wie schon zu Beginn, die
Notationsblätter der Schütz:innen, die auf konventionellen Notenständern
ruhen.
Chacon ist natürlich kein Waffennarr. Aber auch kein Philister, der mit
seiner Kunst gegen die aggressiven Auswüchse des Waffenbesitzes in den USA
agitieren möchte. In einem Interview aus dem Jahr 2022 benannte er seine
Überlegungen zu diesem Stück: „Es war nie ein Kommentar zu Waffen,
jedenfalls nicht im Sinne von pro und kontra“, [3][erklärte er dem
online-Magazin] „New Music USA“.
## Metaphern für Urphänomene des Daseins
Stattdessen gehe es darum, „dass man sich fragt: Jagen diese Menschen?
Schießen diese Musiker:innen auf ein Tier? Schießen sie, weil jemand
ihnen das Land nehmen will?“ Es sind also Urphänomene menschlichen Daseins,
für die Chacon diese Klangmetapher erfand.
Die Hannoversche Ausstellung versteht sich als Beitrag zum Ende 2024
ausgerufenen Jubiläumsjahr anlässlich des Unesco-Titels „City of Music“.
Der ziert die niedersächsische Landeshauptstadt seit 2014. Aber ist das
Musik, was Raven Chacon konzipiert und aufführt?
Zumindest ist klar: Es ist keine Musik im Sinne eines traditionellen,
westlich europäischen Verständnisses und seiner Notationsliteratur. Denn
Raven Chacon, 1977 in Fort Defiance, Arizona, Navajo Nation, geboren,
erhielt zwar zahlreiche Musikpreise, so im Jahr 2022 als erster Native
American den Pulitzer Prize of Music für seine Komposition „Voiceless
Mass“. Ihn interessieren aber alle Klänge: Stimmen, Schreie, Bewegungen,
kurz: Schallemissionen jeglicher Art.
Auditive Phänomene sind für ihn existenzielle Bestandteile eines Lebens als
Musik. Davon sind Töne konventioneller Musikinstrumente also nur ein
kleiner Teil. Besonders fasziniert Chacon der Wind und seine unzähligen
akustischen Facetten. Schon früh fing er deshalb an, diese in seinen „Field
Recordings“ aufzuzeichnen, neben weiteren Geräuschen der Natur.
Aber das, was während der ruhigsten Tages- und Nachtzeiten die magische
Stille eines landschaftlichen Ortes ausmacht, verstärkt Chacon bis zum
ohrenbetäubenden Getöse – so, als wenn man tief in die innerste
Geräuschquelle dieser dann gar nicht mehr leisen Stille eindringen könnte.
Drei Bespiele aus den Landschaftsweiten New Mexikos lassen sich in Hannover
akustisch wie auch als Panoramabild erkunden. Denn auch das gehört zu
Chacons Kunst: Immer geht es um die Einheit von Auditivem und Visuellem.
Und das schon seit seiner Ausbildung am legendären California Institute of
the Arts, CalArts. Hier studierte er sowohl experimentelle Musik als auch
bildende Kunst. Aber seine Arbeiten speisen sich natürlich auch aus ganz
anderen Wurzeln und vor allem aus seinem kritischen und forschenden
Bewusstsein.
Als Angehöriger der Nation der Navajo weiß er um die historische Dimension
der Vertreibung aus dem eigenen Land, der Vernichtung physischer Existenz,
traditioneller Lebensweise und alter Kultur. Eine frei interpretierbare,
zwölfteilige Partitur widmete Chacon deshalb ab 2017 der Autorin,
[4][Musikerin und Aktivistin Zitkála-Šá], die 1913 die erste indigene Oper
Amerikas schuf.
Geschrieben für ein weibliches Ensemble, fungieren nun westliche Noten,
tribale geometrische Zeichen und Zahlengrafiken als Porträts
zeitgenössischer indigener Künstlerinnen, so Chacon. Er kennt zudem die
Vorherrschaft mitunter dubioser eurozentristisch weißer Forschung, so des
französisch-amerikanischen Ornithologen, [5][Vogeljägers und Malers John
James Audubon].
Dieser hatte im frühen 19. Jahrhundert Vogelarten porträtiert, die
[6][einst im Osten Nordamerikas heimisch waren]. Aber wohl so [7][manche
waren eher fiktiver Natur]. Chacon erfand nun Musikinstrumente aus
Rohrstücken, Tonpfeifen oder einem Blasebalg, die das Gezwitscher all
dieser Vögel simulieren – und versetzt mit seiner 40-minütigen
Sound-Installation einen großen, leeren Ausstellungssaal des Kunstvereins
in einen ganz friedlichen und exotischen Vogelpark.
2 Aug 2025
## LINKS
[1] /US-Komponist-Raven-Chacon-im-Gespraech/!5504808
[2] https://www.kunstverein-hannover.de/de/ausstellungen/6527-raven-chacon
[3] https://newmusicusa.org/nmbx/raven-chacon-fluidity-of-sound/
[4] https://www.womenshistory.org/education-resources/biographies/zitkala-sa
[5] /Symboltier-des-Artensterbens/!5034253
[6] /Symboltier-des-Artensterbens/!5034253
[7] https://bou.org.uk/blog-halley-audubon/
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
Ausstellung
Musik
Performance
Hannover
Ausstellung
Theater
Körper in der Kunst
Bildende Kunst
Krieg
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