# taz.de -- Boom der Kinderprogramme in Museen: Die Performance zum Mitmachen b… | |
> Kinder sind die neueste Zielgruppe von Kunstinstitutionen, Angebote für | |
> sie in Museen boomen. Klappt das auch? Beobachtungen aus Hannover und | |
> Berlin. | |
Bild: Kommen so auch Kunst und Kinder zusammen? Lygia Clarks „Cabeça Coletiv… | |
Wer bist du? Name: Toni. Alter: sieben, fast acht. Mit wem bist du heute | |
hier? Mama, Leo und Jonathan. Gibt es ein Material, das du gerne fühlst? | |
Hast du heute eher gute oder schlechte Laune? „Laaaangweilig! Langweilig!“ | |
Toni wirft das knallgelbe Kinderprogrammheft, aus dem sie gerade diese | |
ChatGPT-Fragen vorgelesen bekommen hat, auf den Boden. Das Heft bleibt | |
aufgeschlagen vor einem abstrakten Gemälde liegen: Welche Gefühle wecken | |
die Farben des Bildes in dir? Toni rennt weg. | |
Wir sind in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, besuchen die Retrospektive | |
der brasilianischen Künstlerin Lygia Clark (1920–1988). Ich will wissen, | |
wie das so läuft mit Kindern und dem Kunstmuseum. Toni ist mein Guide. | |
Warum ich mir diese Frage stelle? Weil Kinderangebote in Museen boomen, | |
Kinder die neueste Zielgruppe von Kunstinstitutionen sind. Seit wenigen | |
Tagen etwa bespielt auch das Haus der Kunst in München seine monumentale | |
NS-Architektur mit einer Schau allein zum Thema Kindheit. | |
Hinter dem Kinder-Trend muss ein größerer Wunsch stecken: Museen sollen | |
inklusiver, diverser und nachhaltiger werden. Große Häuser, wie das Museum | |
Ludwig in Köln oder die Berlinische Galerie, haben unlängst eigene Stellen | |
dafür eingerichtet. Das International Council of Museums (ICOM) definiert | |
Inklusion seit 2022 als eines der [1][Kernziele von Museumsarbeit]. Sogar | |
die Messe Art Basel will ihre kommerziellen Megashows zu „einem | |
integrativen Erlebnis“ für Kinder machen. Aber kommen Kinder dadurch | |
wirklich zur Kunst? Und wie steht es um den Inklusionswunsch der Museen, | |
wenn die Kulturpolitik kein Geld mehr gibt? | |
## Das kunstpädagogische Gewissen | |
Zurück in der Neuen Nationalgalerie: Lygia Clarks konkrete Malereien und | |
taktile, geometrische Plastiken hat Toni zielstrebig links liegen gelassen. | |
Sie sitzt jetzt im Activity-Room am Ende der Ausstellung. Hier soll | |
gebastelt, an Masken gerochen und so das partizipativ-performative Element | |
in Clarks Kunst mit „allen Sinnen“ erfahren werden. Allerdings nach | |
Anleitung. Ob auf Wandbannern oder im gelben Kinderheftchen, das | |
kunstpädagogische Gewissen appelliert: „Hier bist du gefragt! Dies ist ein | |
Kunstwerk zum Mitmachen.“ | |
Toni will aber kein Möbiusband basteln, wie vorgegeben. Sie schnippelt wild | |
an den ausgelegten Papierrollen herum, klebt Streifen zusammen, bis sie ein | |
gut zehn Meter langes Papierband ergeben, mit dem Toni | |
Ausstellungsbesucher, die Podeste mit Clarks Plastiken und ein paar | |
schamvoll staunende Kinder umrundet. Andere Eltern machen begeistert Fotos | |
davon, ein junger Mann kopiert Tonis Einfall. Der Aufseher lächelt müde und | |
weist darauf hin, dass die offizielle Mitmachperformance erst um 12 Uhr | |
anfange. | |
Das Verhalten der Erwachsenen verrät, was die eigentliche Wirkung des | |
Mitmachprogramms ist: gezwungen spielerische Infantilisierung. Eltern | |
erkennen das Kind in sich, nicht das Kind sich selbst in der Kunst. | |
Ausschließlich Erwachsene probieren sich an Clarks faltbaren | |
Metallplastiken aus, von den Kindern bleiben sie so unbemerkt wie ein | |
Bücherregal im Disneyland. Zu sehr checken Toni und die anderen Kinder, | |
dass ihr Kinderspielbereich klar abgesteckt ist. Sie sollen zwar mitmachen, | |
aber nicht so, wie sie das selbst spontan wollen. Das Vermittlungsprogramm | |
vermittelt starr – entfremdet von Kunst und Kindern. | |
Ist das die Inklusion, die die Museumsmacher wollen? Nach einem Blick ins | |
Impressum des Begleithefts frage ich mich vielmehr, was die Neue | |
Nationalgalerie, eines der wichtigsten Kunstmuseen des Landes, überhaupt | |
mit ihrem Kinderprogramm will? Konzipiert und entwickelt hat es eine | |
Praktikantin, die dort gerade ihr Freiwilligenjahr macht. Einen Vorwurf | |
kann man chronisch unterbezahlten Praktikantinnen nicht machen – der | |
verantwortlichen Stiftung Preußischer Kulturbesitz aber schon: Sind euch | |
Kinder nicht mehr wert? | |
## Kritische Museumstheorie und Interessensverbände | |
Spätestens mit Ex-Kulturstaatsministerin Claudia Roth hatte sich ja | |
politisch durchgesetzt, was kritische Museumstheorien und | |
Interessenverbände wie die ICOM schon lange gefordert hatten: Museen | |
sollten gesellschaftliche Teilhabe fördern, ihre eigenen Machtstrukturen | |
hinterfragen, Inklusionsapparate sein. | |
Vonseiten der Kulturpolitik gab es basale Gründe für diesen | |
Inklusionswunsch. Die Coronapandemie hatte den Museen ihre Besucher | |
geklaut. Und überhaupt, wer würde in Zukunft noch ins Museum gehen? Die | |
Kinder! Also führte Claudia Roth den Kulturpass ein und versuchte so ihre | |
neue Zielgruppe ins Museum zu steuern – seit letzter Woche aber ist der | |
Kulturpass Geschichte. In Berlin sah das anders aus. Dort hatte der Senat | |
bereits 2012 den Kinder-Kultur-Monat ins Leben gerufen, 2021 | |
komplementierte dann der kostenlose Museumssonntag das Angebot. Und jetzt? | |
Kürzungen! Vom neuen [2][BKM-Chef Wolfram Weimer] hört man das salbende | |
Wort „Inklusion“ nur noch selten. Und selbst wenn die Museen weiter | |
inklusiv sein wollen, fehlt jetzt das Geld dafür. Eingestampft wurde in | |
Berlin erst der Museumssonntag, dann die Grundfinanzierung des | |
Kinder-Kultur-Monats. Der freien Kinder- und Jugendarbeit wurden 2,3 | |
Millionen gestrichen. Auf Bundesebene verloren der Soziokulturfonds 2,4 und | |
das Familienministerium gleich 900 Millionen. Das heißt, auch für die | |
Freiwilligen, die in der Neuen Nationalgalerie das Kinderprogramm | |
gestalten, gibt es weniger Geld. Was also sollen die Kinderprogramme in | |
Kunstmuseen eigentlich sein? Feigenblätter mit Farbklecksen? | |
Verschlimmbessernde Kompensation? Oder die Spießer-Illusion, durch | |
Kunsterziehung Demokratie zu retten? | |
Im Kunstverein Hannover versuchte es der britische Aktionskünstler Jeremy | |
Deller kürzlich mit einem anderen Ansatz. Dafür kuratierte er die Show | |
[3][„Eine Ausstellung für Kinder (und andere Leute)“]. Im Interview mit dem | |
Kunstmagazin Monopol sagt er dazu: „Ich denke, dass Kinder von Natur aus | |
ein gutes Kunst-Publikum sind.“ Kinder seien besonders von Konzeptkunst | |
fasziniert, so Deller, „weil es darin um Chaos und Fehlverhalten geht.“ | |
Nicht pädagogische Vermittlung bräuchten Kinder im Museum, sondern | |
Freiraum, um ihren eigenen Zugang zu finden. Deller suchte nach der | |
konventionsbrechenden Kraft, die Kinder und Kunst verbinden kann. | |
## Jeremy Dellers Schnitzeljagd in Hannover | |
Durch den Kunstverein Hannover führt mich Uma, sie ist acht Jahre alt. Auch | |
dieser Museumsrundgang wirkt erst mal wie Mitmachschule. Jeremy Deller | |
hatte sich eine Art Schnitzeljagd überlegt. Verschiedene Aufgaben | |
navigieren durch die Ausstellung: In David Shrigleys Installation | |
beispielsweise soll Uma Selbstporträts zeichnen, in Roman Ondaks | |
Performance „Measuring the Universe“ wird an einer Wand ihre Körpergröße | |
notiert, und Temitayo Ogunbiyis Kratzbaumplastiken muss sie kletternd | |
erklimmen. | |
Anfangs fremdelt Uma mit den heilighohen Museumshallen. Mit jeder Aufgabe | |
wird sie aber lockerer, interagiert mit den Kunstwerken, beurteilt sie | |
kritisch. Geht [4][Jeremy Dellers Idee] auf? Ja, die Kinder können sich | |
nämlich selbst in die Kunstwerke einschreiben. Ihre Mitmachspuren werden zu | |
Artefakten. Ohne die Striche an der Wand, die Umas Körpergröße und die | |
anderer Kinder markiert, wäre zum Beispiel das von Roman Ondak vermessene | |
„Universe“ nur eines der Erwachsenen. Das Kunstwerk wäre unvollständig, | |
ohne visuelle Spannung. Gleichzeitig machen solche Artefakte in der | |
Ausstellungsarchitektur das Museum auch zu Umas Ort, zum Ort für Kinder. | |
Und was sagt die Kritikerin? „Die Ausstellung hier ist schöner als andere, | |
weil sie echt für Kinder ist.“ Nachdem der Activity-Parcours sie müde | |
gemacht hat, lässt Uma sich auf einen Sitzsack fallen, wie hypnotisiert | |
verschwindet sie in der Videokunst von Fischli & Weiss oder [5][Francis | |
Alÿs]. | |
Auch in Berlin stellt sich dieser Effekt ein – ganz ohne Appell. Wir haben | |
das Kinderprogramm zu Lygia Clark gerade verlassen, da stürmt Toni in die | |
Sammlungsschau. Sie hat etwas entdeckt. Vor Pipilotti Rists legendärem | |
Video „Ever Is Over All“, in dem die Künstlerin euphorisch die Autoscheiben | |
parkender Autos zerschlägt, lässt nun Toni sich auf einen Sitzsack fallen. | |
Ihr Urteil? „Ich würde das Auto ja ganz zerhauen, aber erst mal will ich zu | |
Hause alles anmalen.“ Was Kinder und Kunst wirklich verbindet? Der Wunsch | |
nach Freiräumen – trotz oder gerade wegen einer marodierenden | |
Kulturpolitik. | |
30 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Museen-stehen-aus-vielen-Gruenden-unter-Druck-Ein-Zustandsbericht/!6099900 | |
[2] /Claudia-Roth-zieht-Bilanz/!6085169 | |
[3] /Jeremy-Deller-Ausstellung-in-Hannover/!6088238 | |
[4] /55-Biennale-von-Venedig/!5066292 | |
[5] /Videokunst-von-Francis-Als-in-Koeln/!6078266 | |
## AUTOREN | |
Jonathan Guggenberger | |
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