| # taz.de -- Razzia in Frauenhaus: Lebensgefahr durch Behördenfehler | |
| > Die Polizei dringt in ein Berliner Frauenhaus ein – wegen einer Lappalie. | |
| > Die Behörden riskieren, dass ein Gewalttäter die Adresse des Orts | |
| > erfährt. | |
| Bild: Frauenhäuser: Aus guten Gründen verschlossen – auch für die Polizei | |
| Berlin taz | Es war ein beispielloser Auftritt der Polizei, der Angst und | |
| Schrecken hinterlassen hat: In den frühen Morgenstunden des 30. April | |
| rückten Beamt*innen des Landeskriminalamts (LKA) bei einem Berliner | |
| [1][Frauenhaus] an. | |
| „Die Frauen, die bei uns leben, sind hochgefährdet und oft schwerst | |
| traumatisiert“, sagt die Leiterin der Einrichtung, Ariane Metz, einige Tage | |
| später am Telefon. Zum Schutz der Gewaltbetroffenen müssen die Adressen von | |
| Frauenhäusern streng geheim gehalten werden. Das gilt auch für die Polizei. | |
| Eine Liste der Zentralstelle für Prävention des LKA weist | |
| „anfrageberechtigte“ Beamtinnen aus. „Nur denjenigen, die darauf stehen, | |
| erteilen wir Auskunft über unsere Bewohnerinnen“, sagt Metz. Bislang habe | |
| die Praxis gut funktioniert. | |
| Doch bei dieser Razzia war alles anders. Nach taz-Recherchen lief sie wie | |
| folgt ab: Morgens 7 Uhr verlässt eine Bewohnerin mit ihrem Kind den | |
| Innenhof durch das Tor. Von der Straße kommen ihr sechs Personen entgegen. | |
| Sie sagt: „Mir war sofort klar: Das ist Polizei.“ Sie seien auf aggressive | |
| Art an ihr vorbei auf den Hof gedrängt. | |
| Kurz darauf hört eine studentische Hilfskraft, die im Frauenhaus | |
| Nachtdienst leistet, dass sich jemand an der Tür zu schaffen macht, nachdem | |
| sie diese beim Klingeln nicht sofort geöffnet hatte. Als sie an die Tür | |
| kommt, stehen da drei Beamtinnen, die unter ihren Pullovern schussichere | |
| Westen tragen. Sie wollen wissen, ob eine bestimmte Person dort wohnt. | |
| Die Nachtbereitschaft lässt sich den Durchsuchungsbeschluss zeigen. Dieser | |
| liegt auch der taz vor. Darin steht der Grund für den Einsatz: Einer | |
| Bewohnerin des Frauenhauses wird Betrug vorgeworfen. Es geht um 2.500 Euro. | |
| Ausgestellt hat den Beschluss das Amtsgericht Dessau-Roßlau, wo der Betrug | |
| stattgefunden haben soll. | |
| Nachdem die Mitarbeiterin das Dokument eingesehen hat, verständigt sie die | |
| Leiterin der Einrichtung. Bis diese eintrifft, bittet die studentische | |
| Beschäftigte die Beamt*innen, zu warten. Sie erklärt, dass sie weder | |
| Auskunft erteilen dürfe noch könne – da sie aus Schutzgründen gar keinen | |
| Zugang zu den Akten der Bewohner*innen hat. | |
| ## Die Polizisten waren nicht „anfrageberechtigt“ | |
| Die Mitarbeiterin überprüft, ob die sechs Beamt*innen auf der Liste der | |
| Anfrageberechtigten stehen. „Stehen sie nicht“, sagt Metz der taz im | |
| Nachhinein. Doch die Beamten hätten „mit Druck und Drohungen“ versucht, | |
| sich Zutritt zu verschaffen. Sie hätten „immer wieder ihren Fuß in die Tür | |
| gestellt“ und Dinge gesagt wie, „Wir können auch zu anderen Mitteln | |
| greifen“, erzählt Metz. | |
| Die Polizei beantwortet die Fragen der taz unter Verweis auf laufende | |
| Ermittlungen und Polizeitaktik nicht, bestätigt aber, dass der Einsatz | |
| stattgefunden hat und behauptet: „Die Durchsuchungsmaßnahmen wurden | |
| ausschließlich von weiblichen Polizeibeamtinnen in ziviler Kleidung | |
| durchgeführt.“ Das entspricht nicht der Darstellung der | |
| Frauenhaus-Mitarbeiterinnen: „Es standen darüber hinaus drei männliche | |
| Uniformierte in unserem Innenhof“, sagt Metz, die sich alle sechs | |
| Dienstnummern notiert hat. Sämtliche Bewohnerinnen hätten den Einsatz also | |
| mitbekommen. „Die waren völlig aufgelöst.“ | |
| Der Anblick von Polizei, die viele Bewohner*innen zuletzt im Rahmen | |
| ihrer Gewalterfahrungen gesehen haben, könne schlimme Erinnerungen | |
| hervorrufen, erklärt die Sozialwissenschaftlerin. Und Bewohnerinnen, die | |
| gerade in Sorgerechtsstreits mit den Gewalttätern sind, fürchteten beim | |
| Anblick von Uniformierten, dass ihnen nun ihre Kinder weggenommen würden. | |
| Die Frauenhaus-Leiterin betont, dass sie mit der Polizei kooperiert habe. | |
| Nachdem sie um 8 Uhr eingetroffen sei, habe sie die „110“ angerufen, um zu | |
| überprüfen, ob der Einsatz bekannt und offiziell ist. Dann bestätigte sie | |
| den Einsatzkräften, dass die gesuchte Frau in ihrem Haus wohnt. Doch die | |
| sei in dem Moment nicht da gewesen. Ihr Zimmer habe Metz daraufhin für die | |
| Durchsuchung aufgeschlossen. | |
| Metz findet es seltsam, dass der Beschluss von Januar jetzt plötzlich mit | |
| einer derartigen Vehemenz umgesetzt wurde. „Das war nicht nötig. Es ging um | |
| eine Lappalie. Es war keine Gefahr in Verzug.“ Sie empfindet das Vorgehen | |
| als unverhältnismäßig und kritisiert den Einsatz scharf. „Selbst wenn es | |
| sich um eine schwere Straftat gehandelt hätte, wäre das nicht in Ordnung | |
| gewesen“, sagt sie – insbesondere mit Blick auf die unbeteiligten | |
| Bewohnerinnen. | |
| Nach der Durchsuchung habe Metz die Beschuldigte informiert, die sich kurz | |
| darauf freiwillig bei der Polizei gemeldet habe. Dort musste sie über Nacht | |
| bleiben und ihr Handy sei einbehalten worden. Das Frauenhaus hat inzwischen | |
| eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Polizei Berlin eingereicht. | |
| „Dieser Einsatz war ein Novum“, so Metz. Weder ihr noch anderen Fachleuten | |
| aus dem Bereich, mit denen die taz gesprochen hat, fallen vergleichbare | |
| Fälle ein. | |
| Laut Strafprozessordnung genügt für Durchsuchungen ein Verdacht, damit die | |
| Polizei sich einen richterlichen Beschluss holen und damit in die Wohnungen | |
| von Menschen eindringen kann. Allerdings müssen die Gerichte die Anfragen | |
| auf Verhältnismäßigkeit prüfen. Viele Strafrechtler kritisieren, dass dies | |
| häufig unterbliebe. Ob das auch in diesem Fall so war, ist nicht | |
| nachprüfbar. Das zuständige Gericht hat die Fragen der taz nicht | |
| beantwortet. | |
| ## Behörde gibt Aufenthaltsort der Gewaltbetroffenen preis | |
| Um ein Haar hätte die beschuldigte Bewohnerin, die von Rassismus betroffen | |
| ist, durch dieses Vorgehen der Behörden sogar ihr Zuhause im Frauenhaus | |
| verloren. „Das ist der zweite Skandal“, so Metz. Denn auf dem | |
| Durchsuchungsbeschluss stehen zwei Anschriften: die alte Adresse der Frau | |
| in einem anderen Bundesland, an der der mutmaßliche Gewalttäter lebt, vor | |
| dem sie geflohen ist, sowie ihre neue Adresse, also die des Frauenhauses in | |
| Berlin. Es besteht „konkrete Gefahr“, dass der Gewaltbereite die Adresse | |
| des Frauenhauses aufsucht, kritisiert Metz in der Beschwerde. | |
| Denn: Beinahe wäre der Beschluss an die frühere Adresse der Frau gelangt. | |
| Erst im letzten Moment und mit viel Aufwand hat die Leiterin des | |
| Frauenhauses erreicht, dass es dort nicht zu einer Durchsuchung kam, bei | |
| der die Polizei in der Regel den Beschluss vorzeigt oder aushändigt. „Hätte | |
| der mutmaßliche Gewalttäter den Wohnort der Frau erfahren, wäre sie in | |
| Lebensgefahr gewesen“, sagt Metz. | |
| * Der Name der Leiterin wurde geändert, um keine Rückschlüsse auf die | |
| Adresse des Frauenhauses zu ermöglichen. | |
| 11 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lotte Laloire | |
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