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# taz.de -- Feminismus auf Social Media: „Ich sehe mich als Ehrenamts-Influen…
> Alina Kuhl erreicht mit feministischer Aufklärung Hunderttausende. Ein
> Gespräch über zugänglichen Feminismus und darüber, wie sie ihre Arbeit
> finanziert.
Bild: Will Feminismus für Einsteiger:innen machen: Alina Kuhl
taz: Frau Kuhl, Sie haben seit Kurzem 100.000 Follower:innen auf
Instagram. Was denken Sie, warum ist das Interesse an feministischen
Inhalten auf Social Media so groß?
Alina Kuhl: Ich glaube, feministischer Content auf Social Media ist so
erfolgreich, weil so viele von patriarchaler Gewalt betroffen sind. Es sind
viel mehr Menschen betroffen, als wir denken. Social Media ist zudem ein
gutes Format, weil es Leuten, die noch gar keinen Bezug zu dem Thema haben,
eine erste Anlaufstelle bietet. Man setzt sich nicht gleich hin und liest
ein Buch oder schaut eine Doku zu dem Thema. Meine Videos sind meist eine
Minute oder sogar kürzer, sie bieten einen ersten Einblick. Das führt dazu,
dass mir mittlerweile sogar viele Männer folgen. Letztens schrieb mir ein
Vater, dass er drei Söhne hat und jetzt ganz viel dazu lernt. Das berührt
mich sehr.
taz: Mit Ihrer Veranstaltungsreihe [1][The Monday Talks] schaffen Sie einen
Raum für feministische Debatten mit unterschiedlichen Perspektiven. Wie
unterscheidet sich dieser Raum von Ihrer Arbeit auf Social Media?
Kuhl: The Monday Talks habe ich im November 2022 gestartet, weil ich
Feminismus für alle zugänglich machen wollte. Ich war vorher auf vielen
feministischen Veranstaltungen, aber da waren immer dieselben Leute, die eh
schon ganz viel über das Thema wussten. Manchmal hatte man Angst, was
Falsches zu sagen, ein bestimmtes Buch noch nicht gelesen zu haben. Meine
Veranstaltungsreihe soll Feminismus für Einsteiger:innen sein. Man kann
alle Fragen stellen. Alle Geschlechter sind willkommen. Zusätzlich habe ich
jetzt einen Podcast gestartet: Denn eine analoge Veranstaltung ist ja nicht
für alle zugänglich – etwa für Menschen, denen volle, enge Räume zu viel
sind oder die Sorgeverantwortung tragen.
taz: Sie waren vorher in verschiedenen Institutionen tätig. Wie haben diese
Erfahrungen Sie geprägt?
Kuhl: Ich habe einen Master in Sozialpsychologie gemacht und dann
angefangen, ehrenamtlich an einem Hilfetelefon für häusliche Gewalt zu
arbeiten. Seitdem bin ich dem Thema verfallen. Danach war ich in
verschiedenen politischen Bereichen aktiv und habe mich weiter ehrenamtlich
engagiert. Außerdem habe ich bei der Women’s Aid Federation in England als
Datenanalystin gearbeitet. Da haben wir uns Fragebögen für gewaltbetroffene
Frauen überlegt und uns das große Ganze angeschaut. Im [2][Frauenhaus]
steht einem dann aber eine Frau mit zwei Kindern und ohne Schuhe gegenüber.
Alles, was sie besitzen, sind die Klamotten am Körper. Da ist dann die
Datenbasis erst mal egal. Mit meiner Veranstaltungsreihe und Social Media
kommt jetzt alles zusammen, Praxis und Theorie.
taz: Welche politischen oder gesellschaftlichen Maßnahmen halten Sie
aktuell für besonders dringend, um strukturelle Gewalt gegen Frauen und
queere Menschen zu bekämpfen?
Kuhl: Es gibt schon viele politische Maßnahmen: Mord ist illegal,
Vergewaltigungen ebenfalls. Wie reagieren wir allerdings darauf, wenn
Frauen sagen, sie wurden vergewaltigt? Lohnt sich eine Anzeige? An den
Vorurteilen und Stigmata müssen wir ansetzen. Die meisten [3][Femizide]
passieren in der Regel, wenn Frauen versuchen, häuslicher Gewalt zu
entfliehen. Darum ist es in diesen Momenten besonders wichtig, Frauen zu
schützen, weil gewalttätige Männer oft das Narrativ „Wenn ich dich nicht
haben kann, kann dich keiner haben“ verfolgen.
taz: Was hat Sie radikalisiert?
Kuhl: Mich haben [4][Gespräche mit Freundinnen] über
Diskriminierungserfahrungen sehr geprägt. Wie frustrierend das System
dahinter ist, habe ich gemerkt, als ich bei einem Hilfetelefon für
gewaltbetroffene Frauen gearbeitet habe. Vorher dachte ich, jede Person in
unserer Gesellschaft findet Gewalt gegen Frauen schlimm. Das ist aber
leider nicht so. Viele Frauen erhalten keine Hilfe, Täter erfahren keine
Konsequenzen.
taz: Über welche feministischen Themen sprechen wir zu wenig?
Kuhl: Über trans* Frauen wird zwar schon viel gesprochen, aber mit einem
ganz falschen Fokus. Und ich finde jeden Feminismus, der Gruppen –
insbesondere Frauen, denn [5][trans* Frauen] sind Frauen – ausschließt,
sehr schwierig. Das ist kein Feminismus meiner Meinung nach. Und auch die
Frage, ob zum Beispiel non-binäre Personen eigentlich feministisch sein
können, finde ich albern. Alle Gruppen, die vom Patriarchat unterdrückt
sind, kämpfen denselben Kampf, und manche kämpfen auch noch an anderen
Fronten. Ich als weiße cis-Frau ohne Behinderung erlebe relativ wenig
strukturelle Diskriminierung und kann mich sehr einfach öffentlich äußern.
Ich kriege viel weniger Hass ab als mehrfach diskriminierte Personen.
Rassismus und Behinderung sind für den Gewaltbereich große Themen. Je mehr
Frauen von struktureller Diskriminierung betroffen sind, desto höher ist
die Gefahr, dass sie Gewalt erleben und desto weniger Ressourcen und
Hilfsangebote gibt es. Die Betroffenen werden häufig weniger ernst
genommen.
taz: Und wie können wir das Patriarchat überwinden?
Kuhl: Generell ist die Frage, wie wir selbst zum Patriarchat beitragen,
sehr wichtig. Da kann ich mich auch nicht frei machen. Jede:r hat schon
mal Sachen gesagt, die das Patriarchat befeuern, nur um anderen zu
gefallen. Keine:r verhält sich perfekt, und das ist auch in Ordnung. Wir
alle lernen dazu. Und dann ist der Umgang mit Tätern etwas, daran müssen
wir arbeiten. Täter sind ja auch nicht nur Täter, sondern meistens Personen
im eigenen Umfeld. Sie sind keine Monster, sondern ganz normale Menschen.
Sogar manchen, die sehr laut sind zum Thema Feminismus, fällt es schwer,
sich gegen eine Person aus ihrem Umfeld zu richten, die beschuldigt wird,
übergriffig gewesen zu sein.
taz: Was sagen Sie Menschen, die behaupten, dass Frauen schon längst
gleichberechtigt seien?
Kuhl: Die Behauptung finde ich albern. Es gibt kein Land auf der Welt, in
dem es Geschlechtergleichstellung gibt. Frauen haben nicht die gleichen
Zugänge, weniger Ressourcen, leisten mehr Care-Arbeit, erhalten weniger
Bezahlung. Sie erleben mehr Gewalt, fast täglich wird eine Frau von ihrem
Partner oder Ex-Partner umgebracht. [6][Die Behauptung, das sei nicht so,
basiert auf Gefühlen, nicht auf Fakten].
taz: Viele werfen Social-Media-Aktivist:innen vor, vor allem performativ zu
sein. Wie schaffen Sie es, Ihre Follower:innen zu motivieren, auch im
echten Leben aktiv zu werden?
Kuhl: Ich sehe mich auch als Ehrenamts-Influencerin. Auf meinem Account
geht es viel darum, wie man ein Ehrenamt finden kann. Ich habe schon einige
Menschen an den Verein, in dem ich früher aktiv war, vermittelt. Ich teile
auch viele Petitionen. Zum Beispiel sollten in Köln allen
Frauenberatungsstellen Gelder gestrichen werden. Es gab dann eine Petition,
die sehr erfolgreich war, die auch ich geteilt habe.
taz: Sie arbeiten auf Social Media auch mit Unternehmen wie The Female
Company oder Taxfix zusammen. Gerade im feministischen Kontext ist das
nicht unumstritten: Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Inhalte durch solche
Kooperationen nicht verwässert oder instrumentalisiert werden?
Kuhl: Ich finde es anmaßend, wenn erwartet wird, man würde die ganze
feministische Aufklärungsarbeit umsonst kriegen. Der Account auf Social
Media, die Organisation der Monday Talks, der Podcast, das könnten alles
eigene Vollzeitjobs sein. Und ich habe bis vor ein paar Monaten Vollzeit
gearbeitet, jetzt arbeite ich noch 80 Prozent. Meine ganze Arbeit muss
bezahlt werden. Ich habe die Veranstaltungsreihe sehr lange kostenlos
angeboten und den Raum teilweise aus eigener Tasche bezahlt. Ich habe also
gearbeitet, um meinen Aktivismus zu finanzieren. Und mittlerweile, finde
ich, kann ich auch dafür bezahlt werden – und auf Social Media funktioniert
das eben mit Werbung. Die tut keinem weh, man kann wegklicken, wenn es
einen nicht interessiert. Ich bewerbe auch nur Produkte, die ich selbst
oder meine Freund:innen schon lange nutzen. Ich verstehe aber auch, dass
es Aktivist:innen gibt, die keine Werbung machen möchten.
taz: Was gibt Ihnen Hoffnung im feministischen Kampf?
Kuhl: Mir gibt Social Media unglaublich viel Kraft. Ich habe ganz viele
neue Freundschaften dadurch geschlossen, man kann sich da gegenseitig
supporten. Weibliche Solidarität ist wichtig, weil in feministischen
Kreisen eigentlich jeder Person geglaubt wird, wenn sie von
Gewalterfahrungen berichtet. Alle vom Patriarchat unterdrückten Menschen
kämpfen da auf einer Seite. Und auch alle cis-Männer, die sich dagegen
einsetzen wollen, sind bei mir immer herzlich willkommen!
20 May 2025
## LINKS
[1] https://rausgegangen.de/events/the-monday-talks-berlin-0/
[2] /Razzia-wegen-Lappalie/!6084304
[3] /Schutz-bei-Partnerschaftsgewalt/!6074473
[4] /Maren-Kroymann-und-Mithu-Sanyal/!6081487
[5] /Queere-Familien/!6081512
[6] /Gewalt-gegen-Frauen/!6084992
## AUTOREN
Leyla Roos
## TAGS
Feminismus
Social Media
Aktivismus
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Gewalt gegen Frauen
Schwerpunkt Femizide
Vietnam
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