| # taz.de -- Polizeiforscherin über Diskriminierung: „Natürlich gibt es Rass… | |
| > Astrid Jacobsen von der Polizeiakademie Niedersachsen erklärt, warum | |
| > Polizist*innen rassistisch handeln können, ohne solche Einstellungen | |
| > zu haben. | |
| Bild: Kontrollen können rassistisch diskriminieren, ohne dass der oder die Pol… | |
| taz: Frau Jacobsen, Sie sind seit über 20 Jahren Polizeiforscherin. Gibt es | |
| Rassismus in der Polizei? | |
| Astrid Jacobsen: Ja, natürlich gibt es rassistische Diskriminierung in der | |
| Polizei. Zu dem Schluss komme ich aber nicht, weil ich 20 Jahre | |
| Polizeiforscherin bin, sondern weil die Diskriminierungs- und | |
| Rassismusforschung zeigt, dass rassistische Kategorien in unserer | |
| Gesellschaftsordnung eine Rolle spielen. Das gilt für alle | |
| gesellschaftlichen Teilbereiche, auch für die Polizei. | |
| taz: [1][Nach der Erschießung von Lorenz A.] ist in der Diskussion um | |
| Rassismus in der Polizei trotzdem von „Vorverurteilungen“ die Rede. Warum | |
| fällt es der Polizei so schwer anzuerkennen, dass auch sie rassistisch | |
| handelt? | |
| Jacobsen: Es ist zum einen das Missverständnis, dass Rassismuskritik | |
| bedeutet, Polizeibeamt*innen werde vorgeworfen, überzeugte | |
| Rassist*innen zu sein. Das schafft in der Polizei Empörung und wird als | |
| Angriff auf die professionelle Integrität verstanden. Die Polizei gerät zum | |
| anderen in der Rassismuskritik stark in den Fokus. Wir haben andere | |
| rechtsstaatliche Instanzen – Staatsanwaltschaften, Gerichte, die bislang | |
| kaum thematisiert werden. Außerdem beanspruchen Teile der Polizei leider | |
| immer noch die Deutungshoheit für polizeiliche Angelegenheiten, was per se | |
| jede Kritik von außen als inkompetent diskreditiert. | |
| taz: Polizist*innen müssen also keine rassistische Einstellung haben, | |
| um rassistisch zu handeln? | |
| Jacobsen: Nein. Diskriminierung kann da entstehen, wo Menschen handeln, | |
| ganz unabhängig von der Überzeugung der Handelnden. | |
| taz: Sie haben im vergangenen Jahr eine Studie zu Diskriminierung durch die | |
| Polizei veröffentlicht. Was genau war Ihre Motivation? | |
| Jacobsen: Wir waren unzufrieden mit dem Fokus auf Einstellungen von | |
| Polizeibeamt*innen in der Debatte und überzeugt, dass es | |
| wissenschaftliche Befunde zu den Diskriminierungsrisiken braucht, die durch | |
| polizeiliche Arbeitsprozesse selbst entstehen. So kann die Polizei | |
| Ansatzpunkte für diskriminierungssensible Polizeiarbeit gewinnen. | |
| taz: Warum gibt es so eine Studie erst jetzt und nicht schon vor 20 Jahren? | |
| Jacobsen: Black Lives Matter hat das Thema [2][auf die öffentliche und | |
| politische Agenda gebracht und als gesellschaftlich relevant markiert]. Das | |
| ist der Verdienst dieser Bewegung. Vor 20 Jahren wurde Diskriminierung fast | |
| ausschließlich unter Betroffenen diskutiert. Wir brauchten für unsere | |
| Studie die Unterstützung der Polizeiakademie Niedersachsen, der Polizei | |
| Niedersachsen und des Innenministeriums. Und die hatten wir erst 2020. | |
| taz: Wie sind Sie dabei vorgegangen? | |
| Jacobsen: Wir haben polizeiliche Praxis im Zeitraum eines Jahres begleitet | |
| und die Arbeitsprozesse beschrieben. Anschließend haben wir diese | |
| Arbeitsprozesse auf Diskriminierungsrisiken untersucht. | |
| taz: Was war das Ergebnis? | |
| Jacobsen: Wir haben 12 typische Risikokonstellationen für Diskriminierung | |
| identifiziert. Dabei haben wir aber auch zahlreiche Arbeitsprozesse | |
| beschrieben, die typischerweise nicht diskriminierungsanfällig sind. | |
| taz: Können Sie eine typische Risikokonstellation genauer beschreiben? | |
| Jacobsen: Die Polizei muss Gefahren einschätzen und Verdacht generieren. | |
| Dafür nutzt sie Kategorien zu Anlässen oder Personen. Dabei gibt es | |
| bestimmte Gefahrentrigger, [3][etwa „Bedrohungslage“ oder „Messer“], die | |
| Zeit- und Handlungsdruck erzeugen. Es gibt auch personenbezogene Kategorien | |
| wie die ethnische Zugehörigkeit, die ebenfalls als Gefahrentrigger | |
| fungieren können. Wenn das geschieht, ohne dass es konkrete, anlassbezogene | |
| Informationen gibt, dass diese Kategorie relevant für den Einsatz ist, | |
| handelt es sich um Diskriminierung. | |
| taz: Wie wurde die Studie in der Polizei und der Politik aufgenommen? | |
| Jacobsen: Genauso kontrovers, wie das Thema selbst. In der Polizei gibt es | |
| eine Spanne zwischen „Endlich wird darüber auf diese Art und Weise | |
| gesprochen!“ und Abwehr. In der Politik waren die Reaktionen eher | |
| verhalten. Auf Landesebene haben sich vor allem die Grünen dafür | |
| interessiert. | |
| taz: Was wird jetzt mit den Erkenntnissen der Studie gemacht? | |
| Jacobsen: Das niedersächsische Innenministerium hat eine | |
| Landesarbeitsgruppe eingerichtet, die Maßnahmen erarbeitet hat, die die von | |
| uns analysierten Diskriminierungsrisiken verringern sollen. Derzeit wird | |
| der Abschlussbericht vorgelegt. | |
| taz: Welche Maßnahmen würden Sie sich wünschen? | |
| Jacobsen: Konkrete Maßnahmen lassen sich nur gemeinsam mit der Polizei | |
| erarbeiten. Aber ich wünsche mir Rahmenbedingungen zu dem Thema. Ich | |
| wünsche mir, dass die Debatte gleichermaßen die Expertise der Betroffenen, | |
| wie die Expertise der Polizei ernst nimmt. Ich wünsche mir, dass | |
| sichergestellt wird, dass die Antidiskriminierungsarbeit in der Polizei | |
| eine dauerhafte Aufgabe wird und auch die Forschung weiterläuft. Und ich | |
| wünsche mir eine unabhängige Beschwerdestelle mit Ermittlungskompetenz. | |
| 6 May 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Toedlicher-Polizeieinsatz-in-Oldenburg/!6083773 | |
| [2] /Demonstration-fuer-Lorenz-A/!6084885 | |
| [3] /Todesschuesse-auf-Lorenz-A-in-Oldenburg/!6080733 | |
| ## AUTOREN | |
| Aljoscha Hoepfner | |
| ## TAGS | |
| Rassistische Polizeikontrollen | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Polizei | |
| Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
| Diskriminierung | |
| Wissenschaft | |
| Social-Auswahl | |
| Oldenburg | |
| Oldenburg | |
| Oldenburg | |
| Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Oldenburg | |
| Polizeigewalt | |
| Tag der Arbeit / 1. Mai | |
| Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Nach tödlichen Schüssen auf Lorenz A.: Ermittlungsbedarf gedeckt | |
| Die Staatsanwaltschaft will die Ermittlungen im Fall des von einem | |
| Polizisten erschossenen Lorenz A. abschließen. Dabei fehlt noch ein | |
| Gutachten. | |
| Tag gegen Polizeigewalt in Oldenburg: Vertrauen ist schlecht, Kontrolle wäre b… | |
| Nach dem Tod von Lorenz A. fordern Zivilgesellschaft und Polizeiforschung | |
| eine unabhängige Polizei-Ermittlungsstelle. Die Politik vertraut lieber. | |
| Geburtstag von getötetem Lorenz A.: Schwarze Ballons und sportliches Gedenken | |
| Am Sonntag wäre Lorenz A., der an Ostern von einem Polizisten erschossen | |
| wurde, 22 Jahre alt geworden. In Oldenburg und weiteren Städten wurde an | |
| ihn gedacht. | |
| Militarisierung der Polizei: Es weht ein bayerischer Wind | |
| CSU-Innenminister Alexander Dobrindt steht für Law and Order. Das passt zu | |
| einem Trend, der Polizeibeamten immer mehr Befugnisse gibt. | |
| Trauer um Lorenz A.: Nach den Schüssen | |
| Am Ostersonntag wurde der 21-jährige Lorenz A. in Oldenburg von einem | |
| Polizisten erschossen. Eine Chronik von Trauer und Protest in der Stadt. | |
| Todesschüsse auf Lorenz A.: Polizei versucht's mit Transparenz | |
| Der Fall Lorenz A. beschäftigt nun auch den niedersächsischen Landtag. | |
| Viele neue Erkenntnisse ergaben sich bei einer Anhörung allerdings nicht. | |
| Protest nach der Erschießung von Lorenz: Wir sollen gefälligst leise sterben | |
| Nach den tödlichen Polizeischüssen auf Lorenz fordern viele Gerechtigkeit. | |
| Doch statt Aufklärung gibt es Mahnungen zur Mäßigung – dabei ist Wut | |
| eigentlich überfällig. | |
| Proteste am 1. Mai in Hamburg: Keine Wurst, aber Widerstand | |
| Bei zahlreichen Demos in Hamburg bekommt die neue Bundesregierung ihr Fett | |
| weg. Auch an den von der Polizei erschossenen Lorenz wird erinnert. | |
| Fachtagung zu Elektroschockern: Der Taser kann die Pistole nicht ersetzen | |
| Seit mehreren Jahren debattiert man in Niedersachsen immer wieder über die | |
| Einführung von Tasern. Die GdP hat rechtliche und praktische Bedenken. |