| # taz.de -- Trauer um Lorenz A.: Nach den Schüssen | |
| > Am Ostersonntag wurde der 21-jährige Lorenz A. in Oldenburg von einem | |
| > Polizisten erschossen. Eine Chronik von Trauer und Protest in der Stadt. | |
| Bild: Ein Ort der Trauer: Wo Lorenz A. erschossen wurde, liegen Blumen und pers… | |
| Oldenburg taz | Mitten in der Oldenburger Fußgängerzone bedeckt ein Meer | |
| aus Kerzen und Blumen eine Seite der Achternstraße. Zwischen einem | |
| Internetshop und „Butlers“ sammeln sich immer mehr persönliche Andenken: | |
| ein Fußball, ein Buch, Fotos und Briefe. An der Fassade dahinter hängen | |
| Plakate, an der Wand steht ein kurzes Gedicht geschrieben: „Innenstadt. | |
| Voller Leben bis eins genommen. Der Mörder ein Cop. Trauer.“ | |
| Nur eine Absprache mit dem Ordnungsamt, unmittelbar nachdem die ersten | |
| Blumen lagen, verhindert, dass der provisorische Gedenkort beseitigt wird. | |
| Viele Menschen halten auf ihrem Weg kurz inne, andere sind extra gekommen, | |
| um zu trauern. Sie tun das jeden Tag, verbringen Stunden an diesem Ort. | |
| Seit nun drei Wochen. | |
| Hier hat ein Polizist [1][Lorenz A. in der Nacht auf Ostersonntag getötet.] | |
| Die taz trifft hier einen Freund von Lorenz, der seinen Namen nicht in der | |
| Zeitung sehen will. Der junge Mann im blauen Trainingsanzug sitzt auf einem | |
| von zwei Stühlen, die ein anliegendes Café den hier Verharrenden | |
| bereitstellte. „Jeden Tag sitze ich hier. Das ist das Einzige, was wir | |
| jetzt noch tun können.“ Er tue das, weil er dieser Tage eh nirgends zur | |
| Ruhe käme. Und weil er Passant*innen Fragen beantworten will. | |
| Bis Ostersonntag waren Polizeigewalt und Rassismus eher selten große Themen | |
| in Oldenburg. Die niedersächsische Universitätsstadt mit etwas weniger als | |
| 200.000 Einwohner*innen ist eher gemütlich. Dann schoss gegen 2.40 Uhr | |
| der Polizist. Der getötete 21-jährige Oldenburger war Schwarz – die | |
| Bodycams der Polizei, wie so oft in solchen Fällen, aus. | |
| ## Bundesweite Demonstrationen | |
| Der Fall erzeugte ein riesiges Medienecho. In den folgenden Wochen | |
| demonstrieren in ganz Deutschland Menschen gegen Polizeigewalt und | |
| Rassismus. Ganz neu ist das Thema natürlich nicht. Oldenburg ist jetzt Teil | |
| einer langen Liste: Oury Jalloh in Dessau, Mouhamed Dramé in Dortmund, | |
| Lamin Touray in Nienburg und nun Lorenz A., hier in Oldenburg. Alles | |
| Schwarze Männer. Alle starben unter fragwürdigen Umständen im Kontakt mit | |
| der Polizei. | |
| Am Nachmittag des Ostersonntags ist es in der Achternstraße noch still. | |
| Lorenz A. ist erst vor einigen Stunden gestorben. Laut Staatsanwaltschaft | |
| im Krankenhaus, Augenzeugen berichten von Wiederbelebungsversuchen schon | |
| vor Ort. Zuerst verbreitete sich die Information über einen Erschossenen, | |
| kurze Zeit später wie ein Lauffeuer, wer hier getötet wurde. Enge | |
| Freund*innen von Lorenz A. versammeln sich nun in der Achternstraße und | |
| legen die ersten Blumen nieder. | |
| Viele in Oldenburg kannten Lorenz. Er spielte Basketball, Fußball, machte | |
| Musik und war oft feiern. Am Gedenkort reden sie über ihn, tauschen | |
| Erinnerungen und Kindheitsfotos aus. Zwischendurch hört man Schluchzen. In | |
| die Trauer mischen sich Wut und Zweifel daran, dass der Fall unabhängig | |
| aufgearbeitet wird. | |
| Viele Oldenburger*innen, mit denen die taz in den vergangenen Wochen | |
| sprach, fragen sich, wie „unabhängig“ die nun ermittelnden Beamt*innen | |
| aus Delmenhorst sein könnten. 2021 starb dort – in Polizeigewahrsam – unter | |
| bis heute nicht geklärten Umständen Qosay Khalaf. Damals ermittelte | |
| Oldenburg, aus „Neutralitätsgründen“, wie nun umgekehrt die Delmenhorster | |
| Kolleg*innen zuständig sind. Aber die Dienstwege sind kurz, beide | |
| gehören zur Polizeidirektion Oldenburg. | |
| Noch am Ostersonntag gründet sich die Initiative „Gerechtigkeit für | |
| Lorenz“. Sie fordert lückenloser Aufklärung: „Gerade im Umgang mit | |
| tödlicher Polizeigewalt gegen marginalisierte Gruppen zeigt die Erfahrung: | |
| Zu oft wurde verschleppt, vertuscht oder verharmlost“, sagt Suraj | |
| Mailitafi, Sprecher der Initiative. Er brachte dem Fall mit einem Video auf | |
| Instagram, das schnell eine halbe Millionen Menschen sahen, die erste große | |
| Aufmerksamkeit. Yomo, der beste Freund von Lorenz A. – viele in Oldenburg | |
| kennen ihn schlicht als „Lorenz’ Bruder“ – hatte ihn um Hilfe gebeten. | |
| Bereits am Dienstag, nur zwei Tage nach Lorenz’ Tod, hatte die Initiative | |
| eine Demo angekündigt. Am selben Tag, dem ersten Werktag nach Ostern, gab | |
| die Staatsanwaltschaft [2][das Obduktionsergebnis] bekannt. Lorenz’ | |
| Freund*innen hängen umgehend Kopien davon an die Fassaden der | |
| Achternstraße. Drei Schüsse von hinten. In Kopf, Oberkörper und Hüfte. Ein | |
| vierter streifte seinen Oberschenkel, wohl auch von hinten. Das widersprach | |
| der ursprünglichen Darstellungen der Polizei. | |
| ## Das ganze Land schaut zu | |
| Spätestens jetzt erreicht der Fall bundesweit Aufmerksamkeit. Kamerateams | |
| strömten in den Nordwesten und belagerten in den Tagen vor der für Freitag | |
| angekündigten Demo die Oldenburger Innenstadt. Dabei nehmen sie wenig | |
| Rücksicht auf die Trauernden, stellen sich zum Teil direkt vor den immer | |
| weiter anwachsenden Gedenkort und versperren Freund*innen und Bekannten | |
| den Weg. Einige, teils sehr junge Oldenburger*innen, beschweren sich später | |
| gegenüber der taz, so unvermittelt und im Angesicht ganz persönlichen | |
| Schmerzes und Trauer in Interviewsituationen vor laufender Kamera | |
| verwickelt worden zu sein. | |
| Die Oldenburger Polizei warnt vor einer „hoch emotionalen Stimmung“ und | |
| verschickt vor der Demo ein Schreiben an alle weiterführenden Schulen in | |
| Oldenburg: Sie sollten ihre Schüler*innen mahnen, den Ort der | |
| Versammlung nicht aus „bloßer Neugier“ aufzusuchen. Auch der | |
| [3][Oberbürgermeister mahnt] „zur Besonnenheit“. Dabei bezeichnete er | |
| Stimmen, die auf Rassismus hinweisen, als „extremen politischen Rand“ und | |
| appellierte an die Teilnehmenden der Demo, „sich nicht instrumentalisieren | |
| zu lassen“. Er wirbt für Verständnis gegenüber der Polizei und [4][vergisst | |
| zunächst], den Angehörigen von Lorenz A. sein Mitgefühl auszusprechen. | |
| Im Laufe der Woche meldeten sich Politiker*innen und | |
| Aktivist*innen aus ganz Deutschland zu Wort. In Niedersachsen steht | |
| jetzt eine Gesetzesänderung zum Einsatz von Bodycams im Raum. Nur der | |
| scheidende Bundeskanzler äußert sich nicht – der Fall habe dafür die | |
| „Schwelle der Aufmerksamkeit“ noch nicht überschritten. So äußert sich s… | |
| Sprecher auf der Bundespressekonferenz auf Nachfrage. | |
| Freitagabend strömen dann 10.000 Menschen auf den Oldenburger Pferdemarkt. | |
| Die Bühne wurde dem kleinen Orga-Team spontan von einer sich | |
| solidarisierenden Person zur Verfügung gestellt. Die Polizei hält sich in | |
| Absprache mit den Veranstalter*innen zurück. | |
| Freund*innen von Lorenz verteilen Sticker, sie hängen inzwischen überall | |
| in Oldenburg. In Grau zeigen sie ein Kindheitsfoto des Erschossenen und den | |
| Spruch „Gerechtigkeit für Lorenz“. Viele kleben ihn sich direkt auf ihre | |
| Kleidung. Andere tragen schwarze Shirts mit dem Bild von Lorenz, das seine | |
| Familie ausgesucht hat. Freund*innen organisierten den Druck – nun tragen | |
| es alle auf der Bühne: Mitglieder der frisch gegründeten Initiative, eine | |
| enge Freundin der Mutter, die diese vertritt, weil es ihr selbst zu | |
| schlecht geht um teilzunehmen – und Lorenz’ „Brüder“. Ob nun blutsverw… | |
| oder nicht, ihnen allen wurde ein Stück ihres Lebens entrissen. Diese Rolle | |
| hat sich keine*r ausgesucht – doch nun stehen sie hier. | |
| Sie bleiben nicht allein auf der Bühne, weitere Brüder betreten diese und | |
| sprechen: Sidy und Lassana Dramé sind angereist, ihr Bruder Mouhamed wurde | |
| 2022 in Dortmund von der Polizei erschossen. Und auch Mamadou Saliou Diallo | |
| ist nach Oldenburg gekommen – die bis heute unaufgeklärte mutmaßliche | |
| Tötung seines Bruders Oury Jalloh prägt seit nun 20 Jahren die | |
| Beschäftigung mit dem Thema. Nach ihren Reden fallen sich die verschiedenen | |
| Brüder in die Arme, hier auf der Bühne verbünden sie sich. | |
| ## Tausende auf der Straße | |
| Die anschließende Demonstration mit 10.000 Teilnehmenden [5][verläuft | |
| friedlich], trauernd, wütend – vor allem jedoch empathisch und | |
| entschlossen. Die „Tagesschau“ berichtet, was sich auf der zu diesem | |
| Zeitpunkt noch laufenden Demo herumspricht. Das Schicksal Lorenz’, ihren | |
| Schrei nach Aufklärung und Gerechtigkeit, man vernimmt ihn bereits jetzt in | |
| ganz Deutschland. Die Demo wird nun noch lauter: „Für wen?!“ – „Lorenz… | |
| stimmen seine Freund*innen hinter dem Fronttransparent immer wieder an. | |
| Petra* war einige Zeit Lorenz’ Lehrerin. Als sie die Nachricht von seinem | |
| Tod bekommt, kann sie es zunächst nicht glauben. „Dann habe ich angefangen | |
| zu rechnen: 21 – könnte passen“, erzählt sie in der Woche nach der | |
| Demonstration in einem Café, nur wenige Hundert Meter vom Tatort entfernt. | |
| Dass sie auf die Demo geht, war für sie klar: „Da waren auch viele von | |
| meinen ehemaligen Schülern.“ Im Kollegium hätten einige die Demonstration | |
| gemieden, auch weil sie wegen der Stimmungsmache im Vorfeld Angst vor einer | |
| Eskalation hatten. Ob das auch am Brief der Polizei lag, ist nicht gänzlich | |
| zu sagen. Das Schreiben habe „keinesfalls einem politischen Zweck“ gedient | |
| und sei lediglich Teil der „Prävention im schulischen Kontext“ gewesen, | |
| erklärt die Polizei auf Anfrage der taz. | |
| Bei den Schüler*innen war Lorenz’ Tod schnell Thema. An vielen | |
| Oldenburger Schulen forderten sie eine Schweigeminute. An Petras Schule | |
| musste sich die Schülervertretung gegen den Widerstand der Schulleitung | |
| durchsetzen. Andere Schulen haben sich komplett geweigert. | |
| Auch an der Schule von Maries* Sohn gab es keine Schweigeminute. Bei einem | |
| Spaziergang durch den Schlossgarten, unweit der Innenstadt, erzählt sie, | |
| was in ihr seit Ostern vorgeht: „Es ist real geworden. Nicht nur in der | |
| Theorie. Mein Sohn ist auch Schwarz und in der Innenstadt unterwegs. Es | |
| hätte auch mein Sohn sein können.“ Mit ihrer Angst ist sie nicht allein. | |
| Viele Eltern Schwarzer Kinder sind verunsichert. | |
| Die meisten ihrer Kolleg:innen sind, wie sie selbst, weiß. Lorenz A.s | |
| Tod war auf der Arbeit kein großes Thema. Nach dem Wochenende hätten einige | |
| Kolleg:innen schlicht gefragt, ob sie schöne Ostern hatte: „Da habe ich | |
| zum ersten Mal wirklich verstanden, was mit dem Privileg der Ignoranz der | |
| Mehrheitsgesellschaft gemeint ist. Sie müssen sich einfach nicht mit dem | |
| Thema auseinandersetzen.“ | |
| Wie es mit dem provisorischen Gedenkort in der Achternstraße weitergeht, | |
| ist unklar. Im Moment pflegt die Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“ den | |
| Ort. Für immer wird das Ordnungsamt die Blumen und Kerzen wohl nicht | |
| liegen lassen. | |
| ## Fotografen auf der Beerdigung | |
| Für fünf Minuten läuten die Glocken der Kirche im Stadtteil Ohmstede. Hier | |
| hatte Lorenz sein Zuhause. Die Beisetzung vergangenen Donnerstag erfolgt im | |
| engsten Kreis. Familie und Freund:innen nehmen Abschied. Bei der | |
| Trauerfeier am Vormittag waren gegen den ausdrücklichen Wunsch der Familie | |
| mehrere Fotograf*innen anwesend, haben sich auch in die Kirche | |
| geschlichen. Sie lassen die Trauernden nicht in Ruhe und gehen erst, als | |
| ihnen ein Platzverweis erteilt wird. | |
| Am Sonntag, drei Wochen nach seiner Erschießung, hätte Lorenz A. Geburtstag | |
| gehabt. Die Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“ hat für den Tag eine | |
| Kundgebung organisiert und schreibt: „Lorenz war ein Sohn, ein Bruder, ein | |
| Freund, ein Teil unserer Community. Sein Tod darf nicht vergessen werden.“ | |
| Sie wollen in Gedenken an ihn Hunderte schwarze Ballons mit seinem Namen in | |
| den Himmel steigen lassen. Lorenz wäre 22 Jahre alt geworden. | |
| *Namen geändert | |
| 10 May 2025 | |
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| [4] /Polizeiopfer-Lorenz-A/!6082160 | |
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| ## AUTOREN | |
| Aljoscha Hoepfner | |
| Friedrich Kraft | |
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