# taz.de -- Sondervermögen: Reicht das, um die deutsche Infrastruktur zu moder… | |
> Die neue Bundesregierung will viele Milliarden Schulden aufnehmen und | |
> investieren. Gelingt die Modernisierung? | |
Bild: Zum Symbol geworden: Die Carolabrücke in Dresden | |
Berlin taz | Es gibt dieses Bild der eingestürzten Carolabrücke in Dresden. | |
Die Ursache waren wohl unsichtbare Risse im Stahl, die niemand hätte | |
erahnen können. Aber um Ursachenforschung geht es an dieser Stelle nicht. | |
Die eingestürzte Brücke wurde zum Sinnbild. Die Erzählung, dass Deutschland | |
eine moderne Volkswirtschaft sei, hat Risse bekommen. Straßen sind marode. | |
Kinder kommen mit Bauchschmerzen nach Hause, weil sie die Schultoiletten | |
nicht benutzen wollen. Und über die Deutsche Bahn wird geschimpft wie über | |
das Wetter – als wäre Unpünktlichkeit eine Naturgewalt. | |
Deutschlands Infrastruktur braucht ein Update. Darin sind sich auch Union | |
und SPD einig. Noch bevor eine neue Regierung gebildet wurde, haben sie | |
mithilfe des alten Bundestags beschlossen, 500 Milliarden Euro locker zu | |
machen, um Straßen, Schienen, Energienetze, Schulen und Krankenhäuser zu | |
ertüchtigen. Bei einer Laufzeit von 12 Jahren sind es im Schnitt gut 41,6 | |
Milliarden pro Jahr. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft | |
(IW) beziffert den [1][Investitionsstau auf 600 Milliarden Euro]. | |
Umso wichtiger ist es, wohin die Milliarden fließen. Laut Koalitionsvertrag | |
sollen Länder und Kommunen 100 Milliarden bekommen, weitere 100 Milliarden | |
sollen in den Klima- und Transformationsfonds fließen. Aus dem Bundesanteil | |
des Sondervermögens sollen zunächst bis 2029 Maßnahmen in Höhe von rund 150 | |
Milliarden Euro finanziert werden. | |
Das Land wagt also eine Großbaustelle. Doch wer an Großprojekte wie | |
Stuttgart 21 denkt, darf sich zu Recht fragen: Kann Deutschland das | |
eigentlich? | |
## Es braucht Personal | |
Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB), der sich über den | |
Geldsegen freut, hat keinen Zweifel. „Die Bauindustrie steht parat und kann | |
sofort loslegen“, sagt deren Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller. In | |
Deutschland seien „noch nie Bauprojekte daran gescheitert, weil wir nicht | |
leistungsfähig gewesen wären.“ | |
Doch ganz so easy sieht es nicht jeder. Zentral sei, ob ausreichend | |
Baukapazitäten vorhanden sind, also Maschinen plus Personal, das sie | |
bedienen kann, erklärt Martin Gornig vom Deutschen Institut für | |
Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). „Gerade der Tiefbau ist bereits gut | |
ausgelastet“, so Gornig. Der Tiefbau umfasst grob gesagt alles, was unter | |
der Erde und an der Erdoberfläche liegt – also Tunnel, Straßen, Schienen, | |
aber auch Brücken. Gornig begrüßt das Sondervermögen, aber damit es „nicht | |
einfach in den Preisen verpufft, braucht es hier dringend eine | |
Kapazitätsausweitung“, erklärt er. | |
Es ist eine einfache Rechnung: Wenn die Nachfrage steigt, aber die | |
Kapazität nicht, macht sich das in Preissteigerungen bemerkbar. Doch | |
Kapazitäten ließen sich nicht von heute auf morgen erhöhen, so Gornig. Es | |
brauche auch mehr Personal in den Ämtern: „Bevor der erste Arbeiter eine | |
Baustelle betritt, muss viel passiert sein.“ Wichtig sei also, das Geld | |
„klug und über einen längerfristigen Zeitraum einzusetzen.“ | |
Ökonom Jens Südekum sieht das ähnlich. Für den Kapazitätsaufbau spreche | |
zumindest der lange Zeithorizont des Sondervermögens: Baufirmen könnten | |
davon ausgehen, dass „es die nächsten zehn Jahre viele staatliche Aufträge | |
geben wird, nicht nur punktuell.“ Dies könne dafür sorgen, dass mehr | |
eingestellt wird. „Aber diese potentiellen Bewerber muss es erstmal geben“, | |
sagt Südekum. Deshalb brauche es Reformen, „um die Erwerbsbeteiligung zu | |
erhöhen.“ Werde das nicht berücksichtigt, führe das Finanzpaket „nicht zu | |
Wachstum, sondern zu höheren Baupreisen und Inflation.“ Und steigende | |
Preise für Bautätigkeit würden sich „auch im privaten Wohnungsbau bemerkbar | |
machen.“ | |
Nur Geld reicht nicht | |
Nur mit mehr Geld, darin sind sich Expert*innen einig, sei es nicht | |
getan. Wichtig sei, die öffentlichen Auftraggeber in die Lage zu versetzen, | |
die zusätzlichen Projekte auch bewältigen zu können“, sagt der Verband der | |
Deutschen Bauindustrie. Planungsprozesse müssten beschleunigt werden. | |
Bisher gäbe es zu viel Klein-Klein und ein unflexibles Vergaberecht. | |
Laut Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot soll das Bauen schneller, besser und | |
kostengünstiger werden. In den ersten 100 Tagen soll ein Gesetzentwurf für | |
einen Bauturbo vorgelegt werden. Kann aber auch sein, dass das alles trotz | |
bester Absichten ein Papiertiger bleibt. Stichwort: Bürokratieabbau oder | |
Digitalisierung. Welche Vorgängerregierung hat sich das nicht vorgenommen? | |
Nehmen wir das Beispiel des digitalen Bauantrags – der ist nicht unwichtig, | |
um die Prozesse zu beschleunigen und die Kosten unter Kontrolle zu halten. | |
Schon Bundeskanzler Olaf Scholz hatte im Zuge seines Deutschlandpakts | |
angekündigt, dass bis Ende 2023 in allen Bundesländern der digitale | |
Bauantrag umgesetzt wird. Auf Nachfrage heißt es nun: Aktuell böten | |
bundesweit „594 der 934 Vollzugsbehörden den Dienst „Digitale | |
Baugenehmigung“ an. Das entspricht etwa 64 Prozent. Eigentlich war die | |
Idee, dass alle Bundesländer das gleiche System nutzen, aber [2][einige | |
Länder haben lieber eigene Lösungen] entwickelt. | |
Der Deutsche Städtetag begrüßt das Sondervermögen Infrastruktur, aber sieht | |
Fallstricke. Bund und Länder müssten „zügig dafür sorgen, dass die Mittel | |
unkompliziert und schnell vor Ort ankommen“, fordert Markus Lewe, Präsident | |
des Deutschen Städtetages, der auch Oberbürgermeister in Münster ist. „Was | |
wir nicht brauchen, sind komplizierte Förderprogramme, für die wir | |
Projektmanager einstellen müssen“, sagt er. | |
Er fordert, dass Städte aus dem Sondervermögen feste Budgets bekommen, „um | |
das zu machen, was vor Ort notwendig ist.“ Doch derzeit ist nicht mal klar, | |
nach welchem Verteilungsschlüssel das Geld fließen soll. Der | |
[3][Landkreistag in Sachsen-Anhalt fordert gar einen „Faktor Ost“] – die | |
ostdeutschen Bundesländer sollen besonders berücksichtigt werden. | |
## Was ist mit dem Wohnungsbau? | |
Unklar ist, was durch das Sondervermögen unterstützt werden soll. In der | |
Berichterstattung scheint der Wohnungsbau meist nicht gemeint zu sein. Wenn | |
der Fokus nun auf Straße und Schiene liegt, fürchten manche, dass der | |
ohnehin durch hohe Zinsen gebeutelte Wohnungsbau noch stärker leidet. Die | |
Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt teilt die Sorge nicht. Wenn nun | |
tatsächlich Anschubinvestitionen flößen, würde „auch der Wohnungs- und | |
Gebäudebau davon profitieren“, teilt Sprecher Frank Tekkiliç der taz mit. | |
Etwas skeptischer sieht das Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts. | |
„Ich war erschrocken, als die 500 Milliarden im Raum standen und der | |
Wohnungsbau keine Rolle spielte“, sagt er der taz. Günther fordert schon | |
lange ein Sondervermögen für den Wohnungsbau, insbesondere die [4][Zahl der | |
Sozialwohnungen sinkt seit Jahrzehnten]. | |
Wohnen sei „nicht nur die soziale Frage unserer Zeit, sondern auch | |
Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg“, sagt Günther. „Dringend | |
benötigte Fachkräfte müssten auch irgendwo wohnen.“ Schon heute sei der | |
Wohnraummangel eine Bremse für die Gewinnung von Mitarbeitern, sagt auch | |
Axel Gedaschko, Präsident des Interessenverbands der Wohnungswirtschaft | |
GdW. | |
Doch können die Mittel aus dem Sondervermögen auch für den Sozialen | |
Wohnungsbau verwendet werden? Noch-Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) | |
antwortete kürzlich auf dem [5][Wohnungsbautag] ausweichend: Das | |
Sondervermögen werde „mit einem Wirtschaftsplan ausgestattet, wo wir | |
unterschiedliche Bedarfe etablieren.“ Klar sei aber, „dass es eine | |
zusätzliche Förderung“ brauche. | |
Eine Sprecherin des SPD-Vorstands teilt der taz auf Nachfrage hingegen mit: | |
„Über das Sondervermögen kann auch der Wohnungsbau gefördert werden.“ Au… | |
die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen fordern, dass Mittel aus dem | |
Sondervermögen [6][„gezielt über kommunale Wohnungsbaugesellschaften und | |
Genossenschaften in den Bau neuer Wohnungen fließen“ sollten.] Doch ob die | |
Union das genauso sieht, ist unklar. Eine Sprecherin der Union verweist | |
lediglich auf das geplante Errichtungsgesetz für das Sondervermögen. Darin | |
müssten Details festgelegt werden. | |
Ob Deutschland also so viel bauen kann, wie es sich vorgenommen hat, hängt | |
von vielen Stellschrauben ab – viel Potential also, dass sich noch | |
unsichtbare Risse auftun. | |
22 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Faktencheck-zur-Schuldenbremse/!6067508 | |
[2] /Digitalisierung-der-Bauantraege/!5933715 | |
[3] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/sondervermoegen-infrastruktur… | |
[4] /Investitionen-fuer-bezahlbaren-Wohnraum/!6067714 | |
[5] /Wohnungsbau-Gipfel/!6081600 | |
[6] https://www.nrwspd.de/2025/03/24/beginn-eines-jahrzehnts-der-investitionen-… | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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