# taz.de -- Stimmen sammeln für Volksbegehren: Werben für die Werbepause | |
> Eine Hamburger Initiative will weniger Reklame im öffentlichen Raum. Vor | |
> allem digitale Screens sollen aus Sicht der Aktivist*innen | |
> verschwinden. | |
Bild: Dezent: Werbeplakat gegen Werbung, gesehen in Altona | |
Hamburg taz | Digitale Werbung ist in Hamburg allgegenwärtig. In der Bahn | |
werben fernseherähnliche Bildschirme für die neuesten Rabattaktionen in der | |
Mönckebergstraße. Digitale Litfaßsäulen zeigen das aktuelle Kinoprogramm. | |
Am Straßenrand stehen Screens, die auf ein neues Automodell hinweisen – und | |
dabei selbst so groß wie ein Kleinwagen sind. | |
Seit einigen Wochen läuft auf diesen Bildschirmen sogar eine Kampagne des | |
„Fachverbands Aussenwerbung“, der in Deutschland für über 90 Prozent des | |
Umsatzes in dieser Branche steht. Hamburger Organisationen erklären dort, | |
wie sehr ihnen die Anzeigen geholfen haben – mit einem Porträtfoto der | |
Verantwortlichen und einer Danksagung. Die Hamburger Tafel etwa sagt Danke | |
für 40.000 satte Menschen in der Stadt, das Reeperbahn-Festival für 20 | |
Jahre musikalische Vielfalt. Darunter der Spruch „Außenwerbung macht’s | |
möglich!“. | |
„Es stört uns, dass man im öffentlichen Raum auf Schritt und Tritt mit | |
Werbebotschaften und anderen Botschaften, die man sich nicht ausgesucht | |
hat, behelligt wird“, sagt Martin Weise. Er ist Mitgründer von „Hamburg | |
werbefrei“ – [1][die Volksinitiative fordert ein Gesetz, das digitale | |
Außenwerbung in Hamburg verbietet]. | |
Auch wenn der Name es nahelegt, will „Hamburg werbefrei“ Werbung nicht | |
vollständig abschaffen. In einem gewissen Rahmen sei sie Teil des | |
öffentlichen Raumes, meint Weise. Analoge Werbung an Litfaßsäulen oder | |
Bushaltestellen soll es darum auch weiterhin geben, die Hälfte der Fläche | |
allerdings für Kultur zur Verfügung stehen. | |
## Ganz neue Ausmaße | |
Digitale Werbeanzeigen dagegen will die Initiative komplett verbieten. „Als | |
vor einigen Jahren angefangen wurde, die Stadt mit Monitoren vollzustellen, | |
hat sich unsere Initiative gegründet“, erklärt Weise. Die Werbung habe ein | |
ganz neues Ausmaß angenommen. | |
Außerdem seien die Bildschirme selbst problematisch: Sie hätten einen hohen | |
Energieverbrauch, und sie gefährdeten die Verkehrssicherheit. „Die | |
Werbewirtschaft ist stolz darauf, dass man 2,38 Sekunden lang auf ein | |
digitales Werbedisplay guckt. Wenn man mit 50 km/h im Pkw unterwegs ist, | |
sind das über 30 Meter, die man in der Zeit zurücklegt“, sagt Weise. | |
Dass der Stadt Einnahmen wegfallen, wenn sie Werbung drastisch reduziert, | |
wissen die Aktivist*innen. „Das ist es mir persönlich absolut wert. Die | |
Stadt verkauft etwas, was ihr gar nicht gehört: unsere Aufmerksamkeit“, | |
sagt Weise. Ab Ende April werden Aktivist*innen von „Hamburg werbefrei“ | |
Unterschriften für ihr Volksbegehren sammeln, drei Wochen haben sie dafür | |
Zeit. Mit Plakaten machen sie schon jetzt darauf aufmerksam. | |
„Wir werden schon oft angesprochen, dass es ironisch sei, dass wir mit den | |
Plakaten Werbung machen“, erzählt Weise. Ausgestattet mit weißer „Hamburg | |
werbefrei“-Weste und drei Packungen Kabelbindern plakatiert er die Pfosten | |
von Straßenlampen und Schildern in Hamburg. Mal mit Lastenrad, mal mit Pkw. | |
„Aber Plakate sind das Hauptmittel der politischen Kommunikation in unseren | |
Städten. Wir haben uns schwergetan mit dem Plastik, aber man bekommt | |
darüber viel Aufmerksamkeit.“ Knapp 4.000 Plakate hat die Gruppe drucken | |
lassen, weitere sollen folgen. | |
Die Anzeigen des Fachverbands Aussenwerbung spannen sich auf Werbetafeln | |
mit Flächen von bis zu neun Quadratmetern – die DIN-A1-„Hamburg | |
werbefrei“-Plakate wirken dagegen mit einer Größe von einem halben | |
Quadratmeter eher mickrig. „Das zeigt die Meinungsmacht der Konzerne, den | |
öffentlichen Raum zu bespielen. Ein klassischer Fall von David gegen | |
Goliath“, meint Weise. | |
Eine Woche bevor „Hamburg werbefrei“ plakatiert hat, begann der Fachverband | |
Außenwerbung, seine Kampagne in Hamburg auszuspielen. Das sei ein Zufall, | |
sagt Kai-Marcus Thäsler, Hauptgeschäftsführer des Fachverbands. Auch in | |
anderen Städten plane der Verband ähnliche Kampagnen oder „Dankesaktionen�… | |
wie Thäsler sie nennt. In der Außenwerbung sei es üblich, dass bestimmte | |
Partner – gemeinnützige Organisationen oder Kulturveranstalter – für wenig | |
oder kein Geld Kommunikationszeit auf den Screens bekommen. Dafür würden | |
sich diese Organisationen jetzt bedanken. „Das hat nichts spezifisch mit | |
‚Hamburg werbefrei‘ zu tun.“ | |
Die Kampagne in Hamburg sei schon für letztes Jahr geplant gewesen, wurde | |
dann aber auf 2025 verschoben, sagt Thäsler. „Man muss immer darauf | |
achten, wann Kapazitäten dafür da sind. Während des Wahlkampfs wollten wir | |
nicht, und jetzt passte es, weil in den Hamburger Ferien Kapazitäten auf | |
den Bildschirmen waren.“ Thäsler sagt, er habe nicht einmal gewusst, dass | |
„Hamburg werbefrei“ genau jetzt plakatiert. | |
## Vorbild Berlin | |
Vorbild für das Hamburger Volksbegehren war „Berlin werbefrei“. [2][Die | |
Berliner Gruppe gibt es schon seit 2018], sie wurde aber durch lange | |
Bearbeitungszeiten und einen Gerichtsprozess aufgehalten. Mittlerweile ist | |
„Hamburg werbefrei“ seiner Schwesterinitiative voraus: In Berlin findet | |
das Volksbegehren voraussichtlich Anfang 2026 statt. Die beiden Gruppen | |
arbeiten eng zusammen. „‚Berlin werbefrei‘ unterstützt uns ganz stark“, | |
sagt Weise. | |
Volksbegehren sind in Hamburg Teil der Volksgesetzgebung, die aus drei | |
Stufen besteht. 2022 hat „Hamburg werbefrei“ bereits Unterschriften für die | |
erste Stufe gesammelt, eine Volksinitiative. 10.000 Unterschriften waren | |
nötig, über 15.000 kamen zusammen. Wenn die Bürgerschaft das Gesetz nach | |
der Initiative nicht annimmt, folgt ein Volksbegehren. Zumindest | |
normalerweise – „Hamburg werbefrei“ musste erst einen Umweg über das | |
Verfassungsgericht gehen, nachdem der Hamburger Senat Klage erhoben hatte. | |
Der Gesetzesentwurf verstoße gegen das Recht der Bürgerschaft, allein über | |
den städtischen Haushalt zu entscheiden, und greife in das Recht der | |
Werbetafel-Eigentümer*innen ein, argumentierte der Senat. [3][Im September | |
2024 wies das Gericht die Klage in fast allen Teilen ab]: Das Gesetz sei | |
überwiegend mit höherem Recht vereinbar und inhaltlich nachvollziehbar. | |
Seitdem ist der Weg für ein Volksbegehren frei. Damit dieses zustande | |
kommt, benötigt die Gruppe knapp 66.000 Unterschriften, das entspricht fünf | |
Prozent der Hamburger Wahlberechtigten. Sollte der Senat den Gesetzentwurf | |
nicht übernehmen, folgt ein Volksentscheid, bei dem über den Entwurf | |
abgestimmt wird. Dieses Votum wäre dann bindend. | |
Die Aktivist*innen gehen nicht davon aus, dass die Dankeskampagne des | |
Fachverbands Außenwerbung sie Stimmen kostet. Im Gegenteil: „Wir finden das | |
super. Das zeigt, dass sie sich bedroht fühlen“, meint Weise. Er glaubt, | |
dass die Kampagne dem Volksbegehren mehr positive Aufmerksamkeit als | |
Gegenwind bringt, denn: „Weit mehr als fünf Prozent der Personen werden | |
checken, was eigentlich dahintersteckt.“ | |
7 Apr 2025 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Louisa Eck | |
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