# taz.de -- Volksbegehren gegen Werbeflut in Hamburg: Kampf mit dem Klemmbrett | |
> Die Initiative „Hamburg werbefrei“ hat mit dem Sammeln von Unterschriften | |
> begonnen. Beim Start vor dem Bahnhof Altona war ein Demokratie-Bus dabei. | |
Bild: Geht doch: Werbung für eine Stadt mit weniger Werbung | |
Hamburg taz | Es ist, als hätten manche nur darauf gewartet, dass es | |
endlich losgeht, vielleicht auch befeuert durch die Plakate, mit der die | |
Initiative „Hamburg werbefrei“ für ihr Anliegen wirbt. [1][Seit Wochen | |
hängen sie in der Stadt], so auch hier, vor dem Einkaufszentrum in der | |
Ottenser Hauptstraße. | |
Jetzt, zum Start der Unterschriftensammlung, steuert ein Mann mit kurzem | |
Bart auf einen der Stehtische zu. Die Werbung auf der Straße empfinde er | |
als aggressiv, meint er, „sie trifft einen hier“, er zeigt auf seine Brust. | |
Klar, dass er unterschreibt. | |
Es ist der erste Tag, an dem die Initiative Unterschriften auf der Straße | |
sammelt. In weißen Westen, die das Design ihrer Anti-Werbungsplakate | |
aufnehmen, stehen die Freiwilligen da. Oft kommen Passant*innen von | |
selbst zu ihnen, manchmal entsteht ein kleines Gedränge, weil es mehr | |
Interessenten als Freiwillige gibt. | |
Mehrere Radio- und Fernsehsender filmen. Als Blickfang steht im Hintergrund | |
ein weißer Doppeldeckerbus mit der Aufschrift „Omnibus für Direkte | |
Demokratie“. Davor steht, barfuß und in Rosa, ein älterer Herr mit sehr | |
wachen blauen Augen. Werner Küppers ist der Busfahrer und noch viel mehr: | |
Er lebt in dem Bus und fährt damit seit Jahren durch Deutschland, von | |
Einsatzort zu Einsatzort. Diese Woche ist er in Ottensen, nächste Woche in | |
Moorburg. | |
## Kurz wandern die Blicke | |
Die Sache sei doch völlig klar, meint Küppers, dessen Spitzname „Flamingo“ | |
lautet. Jeder, der sich damit beschäftige, müsse gegen die Werbeflut auf | |
öffentlichen Plätzen und Straßen sein. Man lasse sich doch nicht freiwillig | |
manipulieren! Wie zum Beweis wechselt auf einer der Werbetafeln, die vor | |
dem Einkaufszentrum stehen, das Bild. Kurz wandern die Blicke hin. | |
Über 2.700 digitale und/oder beleuchtete Werbescreens gibt es mittlerweile | |
in Hamburg. Seit der Coronapandemie sind es mehr geworden. Auf ihrer | |
Website demonstriert die Initiative [2][mit Vorher-nachher-Bildern], wie | |
die Stadt aussehen würde, wenn ihr Volksbegehren durchkäme: Die digitalen | |
Screens würden bis auf wenige Ausnahmen ganz verschwinden, ebenso die | |
Werbeflächen, die die Aussicht verstellen oder sonst das Stadtbild stören. | |
Für die Stadt Hamburg gingen damit Einnahmen in zweistelliger Millionenhöhe | |
verloren. Der Senat verweist zudem auf die Werbewirtschaft, die Schaden | |
nehmen würde, käme das Volksbegehren durch. Sein Versuch, die Sache vor dem | |
Hamburgischen Verfassungsgericht zu Fall zu bringen, [3][ist allerdings | |
gescheitert] – der Gesetzentwurf der Initiative ist, mit nur kleinen | |
Änderungen, zulässig, urteilten die Richter*innen. | |
Knapp 66.000 Unterschriften wären nötig, damit das Volksbegehren | |
durchkommt, 80.000 Unterschriften hat die Initiative angepeilt. Dass sie | |
das schafft, ist gar nicht so unwahrscheinlich, wie ein Besuch in ihrem | |
Hauptquartier zeigt. | |
Es liegt im Gängeviertel neben einem Café, vor dem auf Holzbänken | |
schläfrige junge Menschen sitzen. Drinnen, in dem winzigen Raum der | |
Initiative, herrscht Betriebsamkeit. Laptops sind aufgeklappt, Stapel von | |
noch leeren Namenslisten und Taschen mit Stimmensammler-Kits warten auf | |
ihre Abholung. | |
Und sie werden abgeholt, erst von einem Mann mit Lederhose und kariertem | |
Hemd, der mit den Aktivist*innen im Raum über den Namen der Initiative | |
diskutiert. „Hamburg werbefrei“, die politisch aktiven Leute wüssten ja | |
Bescheid, aber den anderen müsse man das schon erklären. „Fast werbefrei“ | |
sei wohl treffender, meint er und zieht mit einer Tasche ab, nachdem er | |
sich als Helfer hat registrieren lassen. | |
Später kommt noch ein Herr in braunem Cord, der als ehemaliger | |
Grundschulleiter vorgestellt wird. Auch er möchte sammeln. 450 Leute hätten | |
sich bereits als Sammler*innen registriert, sagt Martin, der | |
Pressesprecher der Initiative. 170 seien sie in der Signal-Chatgruppe, an | |
3.000 Menschen gehe der Newsletter. Aber ein Selbstläufer sei es nicht, man | |
müsse für den Erfolg schon was tun. | |
## Schwester-Initiative aus Berlin | |
Aktivist*in Sarah ist aus Berlin angereist, [4][wo es die | |
Schwester-Initiative schon seit 2018 gibt]. Das Problem sei ihr bewusst | |
geworden, nachdem die Brandmauern in Berlin zu riesigen Werbeflächen | |
umgestaltet worden waren, sagt sie. Dazu sei dann die Zunahme der | |
beleuchteten Screens gekommen. In Berlin ist das Verfahren durch die | |
langsam mahlenden Mühlen des dortigen Senats aufgehalten worden. Nächstes | |
Jahr wird dann aber auch in der Hauptstadt abgestimmt. | |
Wie es in Hamburg weitergeht, ist noch nicht klar. Übernimmt der Senat das | |
Volksbegehren nicht, stünde ein Volksentscheid an, bei dem mindestens 20 | |
Prozent der Wahlberechtigten für den Gesetzentwurf der Initiative stimmen | |
müssten. Gleichzeitig laufen Ende kommenden Jahres [5][die Verträge der | |
Stadt mit den Werbefirmen Ströer und JCDecaux] aus, die die Außenwerbung | |
nicht nur in Hamburg, sondern deutschlandweit unter sich aufgeteilt haben. | |
Das sei gar nicht so schlecht, meinen die Aktivist*innen von „Hamburg | |
werbefrei.“ Mit einem drohenden Volksentscheid im Rücken könnte der Senat | |
nicht gut verhandeln. | |
23 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Stimmen-sammeln-fuer-Volksbegehren/!6078844 | |
[2] https://www.hamburg-werbefrei.de/vorher-nachher | |
[3] /Volksinitiative-gegen-Werbetafeln/!6032502 | |
[4] /Neues-Volksbegehren-in-Berlin/!5474642 | |
[5] /Kampagne-gegen-Aussenwerbung/!6079227 | |
## AUTOREN | |
Daniel Wiese | |
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