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# taz.de -- Recherche „Exporting Abortion“: Schwangerschaftsabbrüche über…
> Für Schwangerschaftsabbrüche müssen Frauen oft weite Wege auf sich nehmen
> – wegen der politischen Lage, komplizierter Verfahren oder schlechter
> Betreuung.
Bild: Demo für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch am Weltfrauentag 2024 in …
Zwei Frauen aus Deutschland, zwei Beweggründe, ein Ziel: ein
Schwangerschaftsabbruch in den Niederlanden. Die eine hat die gesetzliche
Frist in Deutschland überschritten, die andere könnte den Eingriff auch
hierzulande vornehmen lassen – doch in Deutschland ist der Prozess so
kompliziert, dass sie den einfacheren Weg nach Holland wählt. Beide Frauen
sprechen nicht im Detail über ihre Entscheidung, sondern hinterlassen
anonyme Angaben in einem Fragebogen, den das Rechercheprojekt „Exporting
Abortion“ verschickt hat.
„Ich bin sehr dankbar, dass es einen Ausweg für mich gab. Zum Zeitpunkt
meiner Schwangerschaft habe ich mich sehr hilflos gefühlt und dachte, es
gibt keine Wahl“, schreibt die Frau, die außerhalb der in Deutschland
erlaubten Frist in die Niederlande reiste. Die zweite gibt lediglich an,
sich im Nachhinein „sehr gut“ dabei zu fühlen. Beide sind erleichtert.
Beide haben für diese Erleichterung mehr als fünf Stunden Fahrt auf sich
genommen.
Fast die Hälfte aller europäischen Frauen, die einen
Schwangerschaftsabbruch im Ausland vornehmen lassen, tun das in den
Niederlanden. Aus Deutschland, wo die Gesundheitsversorgung als
fortschrittlich gilt, reisen jährlich mehr als 1.000 Frauen über die
niederländische Grenze, um dort einen Abbruch vornehmen zu lassen.
Das ist eines der Ergebnisse von [1][Exporting Abortion], einem
internationalen Rechercheprojekt von mehr als zehn Journalist:innen. Fasst
man die verfügbaren Statistiken aus den 15 untersuchten Ländern zusammen,
so ist es ein sehr häufiges Phänomen, dass Menschen für einen
Schwangerschaftsabbruch Landesgrenzen überqueren.
## Warum ausgerechnet die Niederlande?
Den vorliegenden Zahlen zufolge ist die Strecke Deutschland–Niederlande die
am meisten genutzte. Aber sie stellt nur einen Teil der jährlichen
Bewegungen dar. Im Jahr 2023 haben mindestens 7.900 ausländische Frauen in
einem europäischen Land einen Abbruch vornehmen lassen, mindestens 5.800
von ihnen kamen selbst aus Europa. Aber warum gehen so viele Frauen
ausgerechnet nach Holland?
Zum Teil lässt sich die besonders hohe Zahl damit erklären, dass
Deutschland ein bevölkerungsreiches Land ist und direkt an die Niederlande
grenzt. Aber auch die Gesetzeslage dürfte eine Rolle spielen.
In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch nur bis zur zwölften Woche
nach der Empfängnis möglich – und nur nach einer Pflichtberatung sowie
einer dreitägigen Wartezeit zwischen der Beratung und dem Eingriff. In den
Niederlanden ist der Zugang deutlich einfacher: Hier ist ein Abbruch bis
zur 24. Woche erlaubt, in den meisten Kliniken werden Abbrüche bis zur 22.
Woche durchgeführt.
Seit 2022 gibt es in den Niederlanden weder eine Beratungspflicht noch eine
Wartezeit. Oft reicht ein einziger Tag für den Eingriff. Zwar zeigt sich
noch kein klarer Trend, aber auffällig ist, dass die Zahl der deutschen
Patientinnen in den Niederlanden von rund 1.250 im Jahr 2022 auf etwa 1.350
im Jahr 2023 gestiegen ist.
## Kritik an der deutschen Versorgungslage
[2][Wegen der deutlich längeren Frist ist Holland häufig der einzige
Ausweg, wenn eine Schwangerschaft zu spät entdeckt wird.] Doch Gespräche
mit Ärztinnen, die sich mit der Situation an der deutsch-niederländischen
Grenze auskennen, zeigen ein differenzierteres Bild. So zieht Gabie Raven,
eine Ärztin aus den Niederlanden, die auch in Dortmund eine Praxis führt,
den direkten Vergleich: „In den Niederlanden übernehmen spezialisierte
Kliniken die meisten Abbrüche, in Deutschland meist niedergelassene
Gynäkolog:innen – oft nach eigenen Regeln.“ Manche würden nur
medikamentöse Abbrüche anbieten, andere nur für ihre Stammpatientinnen.
„Dazu kommen volle Terminkalender, Urlaubszeiten und Feiertage“, sagt
Raven.
Sie kritisiert die deutsche Versorgungslage scharf: „Nach sechs Wochen weiß
eine Frau oft, dass sie schwanger ist und kein Kind will. Doch dann beginnt
ein Hindernislauf. Erst muss sie eine Beratungsstelle suchen und einen
Termin vereinbaren. Fehlt das Geld, geht es zur Krankenkasse. Und wenn sie
schließlich eine Praxis für den Abbruch gefunden hat, gibt es entweder
keine Termine – oder sie wird abgewiesen.“ Am Ende sehe Raven solche
Patientinnen dann in der 17. Woche in den Niederlanden. Mit ihrer Praxis in
Dortmund, die Raven 2022 eröffnet hat, will sie das ändern. Rund 800
Schwangerschaftsabbrüche führt ihr Team dort pro Jahr durch.
Elles Garcia arbeitet als Gynäkologin in einer Klinik im niederländischen
Bloemenhove und behandelt dort Patientinnen aus ganz Europa. Sie sagt:
„Personen aus Deutschland sagen uns oft, dass sie das auch in Deutschland
hätten machen können. Weil die Schwangerschaft jünger als 12 Wochen ist.“
Die Beratung und das Verfahren seien aber zu kompliziert. „Es gibt so viele
Schritte, dass sie es vorziehen, von Anfang an hierherzukommen“.
Die Recherchen von Exporting Abortion zeigen, dass Frauen aus Deutschland
auch in andere Nachbarländer ausweichen – nach Österreich zum Beispiel.
## Bayern ist Schlusslicht
Thoralf Fricke berät für den Verein Pro Familia Bayern ungewollt schwangere
Frauen. Er sagt: „Für die grenznahen Regionen macht das durchaus Sinn.
Bayern ist das Schlusslicht in der Versorgung. [3][An manchen Orten haben
wir gar keine Ärzte, an anderen machen sie zum Beispiel nur alle 14 Tage
einen Eingriff.] Wenn es zeitkritisch ist, ist Österreich manchmal
schneller.“ Dass solche Versorgungsengpässe in Deutschland bestehen, hat
die sogenannte ELSA-Studie im vergangenen Jahr aufgezeigt.
In Österreich ist ein Schwangerschaftsabbruch meist bis zur 14. Woche
möglich, ohne externe Beratungsstellen oder Wartezeiten. Nur ein Gespräch
zwischen Arzt und Patientin ist erforderlich. Österreichische Ärzte
bestätigen, dass immer wieder Frauen aus Deutschland zu ihnen kommen, um
auch in frühen Schwangerschaftswochen einen Abbruch vornehmen zu lassen.
Wie viele es genau sind, ist nicht bekannt, denn die Herkunft der ungewollt
Schwangeren wird in Österreich nicht erhoben.
Doch was, wenn Österreich oder die Niederlande zu weit entfernt sind und
ein Abbruch im Ausland generell zu viel kostet?
Eine der größten Organisationen, die Menschen beim medikamentösen
Schwangerschaftsabbruch unterstützt, ist [4][Women on Web]. Bei der
kanadischen Organisation können seit 2019 auch Menschen aus Deutschland
Hilfsanfragen stellen. Women on Web berichtet, dass allein in den ersten 9
Monaten 1.205 Frauen aus Deutschland Informationen zu einem medikamentösen
Schwangerschaftsabbruch außerhalb des formalen Gesundheitssystems angefragt
haben.
Gemeint ist ein telemedizinischer Abbruch, dem eine Onlineberatung und der
anschließende Versand benötigter Medikamente vorausgeht. In einer Studie
wurden daraufhin über 100 E-Mails an Women on Web ausgewertet. Anhand
dieser kommen die Autor:innen zu dem Schluss, dass es im formalen Sektor
zahlreiche Barrieren für Schwangerschaftsabbrüche gibt. Diese verhinderten
den Zugang vor allem für vulnerable Gruppen wie Menschen mit geringen
finanziellen Mitteln oder Migrant:innen ohne Papiere. Der
telemedizinische Weg kann der Studie zufolge aber auch aus einer Position
der Selbstbestimmung heraus erfolgen, den Abbruch nach eigenen Regeln
durchzuführen.
## Polen hat die strengsten Gesetze
Doch der Schwangerschaftsabbruch per Telemedizin ist in Deutschland
politisch umstritten. Obwohl er in Europa und auch in Deutschland immer
häufiger angeboten wird und helfen könnte, Versorgungslücken zu schließen,
hat das Bundesland Bayern den telemedizinischen Abbruch ab Januar 2025
verboten. Begründet wurde das seitens der CSU und der Freien Wähler damit,
dass Frauen die vorab elektronisch verschickten Ultraschallbilder fälschen
könnten.
Thoralf Fricke von Pro Familia Bayern hält das für eine „böswillige
Unterstellung gegenüber den Frauen und Ärzt:innen“. Er sieht das Verbot als
„Symbolpolitik“, die wenig am bestehenden Problem ändern wird. Frauen im
Rest Deutschlands können weiterhin telemedizinische Unterstützung erhalten,
in Bayern wird der Zugang erschwert. Doch trotz der [5][Hürden, die es
hierzulande beim Thema Schwangerschaftsabbruch gibt], scheint Deutschland
für Menschen, zum Beispiel aus Polen, immer noch ein Zufluchtsort zu sein.
Polen hat die strengsten Abtreibungsgesetze Europas. Unter der
PiS-Regierung (2015–2023) wurden Schwangerschaftsabbrüche nahezu komplett
untersagt, erlaubt sind sie nur bei Vergewaltigung, Inzest oder
Lebensgefahr für die Frauen. Wer jenseits dessen einen
Schwangerschaftsabbruch ermöglicht – medizinisches Personal, Partner oder
Aktivist:innen –, wird bestraft. Aus Angst verweigern Ärzt:innen
selbst legale Abbrüche. Reformversuche der aktuellen liberalen Regierung
scheiterten bislang.
Maria Kubisa, eine Ärztin aus dem brandenburgischen Prenzlau, die eine
zweite Praxis im polnischen Stettin betreibt, erlebt wegen der restriktiven
gesetzlichen Lage in Polen immer wieder dramatische Fälle in ihrer
deutschen Praxis: „Es gibt sogenannte extrauterine Schwangerschaften, bei
denen der Embryo außerhalb der Gebärmutter wächst – eine akute Lebensgefahr
für die Frau.“ Weil die polnischen Ärzt:innen auch vor solchen
Schwangerschaftsabbrüchen zurückschreckten, kämen die Frauen zu ihr.
Mehrfach hätte sie solche Fälle schon operiert. „Diese Situationen bleiben
lange im Gedächtnis.“
## „Auf die gesetzliche Lage kann man sich nicht verlassen“
Die Frauen müssten weite Wege auf sich nehmen, sagt die Ärztin, „und ich
muss alles perfekt machen, damit sie sicher nach Hause kommen“. Dabei habe
sie so sehr auf die neue polnische Regierung gesetzt. Bisher vergeblich. Im
vergangenen Jahr geriet Kubisa ins Visier der polnischen Behörden. Die
Polizei durchsuchte ihre Praxis in Stettin, die Staatsanwaltschaft wirft
ihr illegale Schwangerschaftsabbrüche vor. Kubisa bestreitet das und
betont, in Stettin gar keine Abbrüche durchzuführen. Sie mache dort nur
medizinische Nachversorgung. Der Gerichtstermin steht noch aus. „Die
Ungewissheit ist belastend, aber ich mache weiter. Es gibt zu viele
Patientinnen, die meine Hilfe brauchen.“
Kubisa führt nach eigenen Angaben in Brandenburg monatlich etwa 30
Schwangerschaftsabbrüche durch. Außerdem kämen viele polnische Frauen zur
Sterilisation zu ihr nach Prenzlau – nicht nur Mütter, sondern auch junge
Frauen, die sich bewusst vor einer ungewollten Schwangerschaft schützen
wollen. „Sie wollen nicht vom Staat gezwungen werden, schwanger zu werden.
Sie haben Angst um ihr Leben“, erzählt Kubisa.
Die polnisch-deutsche Gruppe Ciocia Basia, gegründet 2014, hilft mit rund
15 ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen jährlich über 100 polnischen
Personen bei der Organisation von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland
und unterstützt sie in Härtefällen finanziell. Auch die Aktivist:innen
stoßen in Deutschland immer wieder auf Hindernisse: „Jede Praxis hat eigene
Regeln“, sagt eine Ehrenamtliche von Ciocia Basia. „Medikamentös nur bis
zur 7. Woche, operativ nur bis zur 12. Woche, Raucher nehmen wir nicht –
abstrus. Auf die gesetzliche Lage allein kann man sich da nicht verlassen.“
Bei frühen und unproblematischen Schwangerschaften empfiehlt Ciocia Basia
daher einen medikamentösen Abbruch vor Ort in Polen mithilfe von
Organisationen wie [6][Women help Women]. Ab der 13. Woche müssten die
Frauen nach Österreich, wo es keine Beratungspflicht gibt, oder nach
Holland, sagt die Ehrenamtliche.
## Die Herkunft wird nicht dokumentiert
Polen ist eines der wenigen europäischen Länder, in denen mehr Frauen für
einen Schwangerschaftsabbruch ins Ausland reisen, als ihn im eigenen
Gesundheitssystem vornehmen zu lassen. Offiziellen Zahlen zufolge gab es
zwischen 2019 und 2023 landesweit 4.244 legale Abbrüche. Für denselben
Zeitraum dokumentiert Exporting Abortion mindestens 4.582
Schwangerschaftsabbrüche polnischer Frauen im Ausland.
Die deutsche Statistik zu Schwangerschaftsabbrüchen erfasst nicht, aus
welchen Ländern die ausländischen Patient:innen stammen. Obwohl das
Schwangerschaftskonfliktgesetz eigentlich vorschreibt, dass der
Herkunftsstaat der ungewollt Schwangeren dokumentiert wird. Das
Statistische Bundesamt erklärt auf Anfrage, dass dies wegen der geringen
Zahl an Fällen und des hohen Aufwands für die genaue Erfassung nicht
erfolgt. Diese Informationen seien „bisher auch vom Gesetzgeber sowie
Verbänden nicht eingefordert“ worden. Bei „den geringen Fallzahlen spielen
auch Geheimhaltungsaspekte eine Rolle“, heißt es vonseiten der Beamten.
Im Jahr 2023 reisten rund 460 Personen für einen Schwangerschaftsabbruch
nach Deutschland ein – davon fanden rund 330 Eingriffe in Berlin und
Brandenburg statt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass viele dieser Frauen aus
Polen kamen.
13 Apr 2025
## LINKS
[1] https://exportingabortion.com/
[2] /Spaetabtreibungen-in-Deutschland/!5681768
[3] /Schwangerschaftsabbrueche-in-Bayern/!5783989
[4] https://www.womenonweb.org/de/page/521/%C3%BCber-women-on-web
[5] /Wirbel-um-Schwangerschaftsabbruch/!6050276
[6] https://womenhelp.org/en/
## AUTOREN
Mayya Chernobylskaya
## TAGS
Schwerpunkt Abtreibung
Paragraf 218
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Schwangerschaftsabbruch
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