| # taz.de -- Antiukrainische Stimmung in Polen: Militärhilfen ja, Kindergeld ne… | |
| > In Polen kippt die Stimmung gegenüber den ukrainischen Geflüchteten. Doch | |
| > beim Thema Sicherheit steht das Land weiterhin geschlossen hinter Kyjiw. | |
| Bild: Immer seltener im Straßenbild Polens zu sehen: Blau-Gelb. Wie hier am 13… | |
| Warschau taz | In Polen kippt die Stimmung: Die blau-gelben Flaggen der | |
| Ukraine, die [1][seit dem russischen Angriff auf das Land am 24. Februar | |
| 2022 überall in Polen wehten], sind kaum noch zu sehen. Die Infopunkte für | |
| neue Geflüchtete aus der Ukraine sind verschwunden. Russische Trolle in den | |
| sozialen Medien haben es geschafft, die in Polen lebenden Ukrainer als | |
| Schmarotzer dastehen zu lassen, die angeblich viel zu hohe Sozialleistungen | |
| bekämen und noch dazu den Polen die Arzttermine wegnähmen. | |
| Umfragen wie etwa das polnisch-ukrainische Sympathiethermometer zeigen eine | |
| Abkühlung in der gegenseitigen Wahrnehmung. Nur beim Thema „Militärhilfe | |
| für die Ukraine“ sind sich die meisten Polen einig: Diese solle unbedingt | |
| weiter geleistet werden – allein schon, um einer Eskalation des Krieges | |
| durch Russlands Präsident Wladimir Putin und einem Überfall auf Polen | |
| vorzubeugen. | |
| Man kenne natürlich diese Umfragen, sagt der Ukrainer Oleksandr Pestrykov. | |
| Der Historiker arbeitet bereits seit zehn Jahren als Experte für | |
| polnisch-ukrainische Beziehungen in der Stiftung „Ukrainisches Haus“ in | |
| Warschau. „Aber uns macht etwas anderes größere Sorgen“, betont er. Der | |
| Verein „Nigdy Wieej – Nie wieder“ gebe jedes Jahr ein sogenanntes Braunbu… | |
| für Polen heraus. Es sammelt gewalttätige Vorfälle: „Allein in den letzten | |
| zwei Jahren wurden Ukrainer in Polen rund 400 Mal angegriffen, | |
| krankenhausreif geschlagen oder bedroht“, sagt er. Auch die ukrainische | |
| Stiftung, die es bereits seit 15 Jahren gibt, bleibt von diesen Attacken | |
| nicht verschont. | |
| Der vor einem Jahr mit blauer Farbe auf die Eingangstür gesprühte Galgen | |
| ist zwar nicht mehr zu sehen, aber der Täter konnte bislang nicht gefasst | |
| werden. „Ob uns da wirklich jemand mit dem Tod drohen wollte, wissen wir | |
| nicht“, erklärt Pestrykov. „Unsere Stiftung befindet sich auf dem Gebiet | |
| des ehemaligen Warschauer Ghettos. Leider werden hier schon mal Galgen und | |
| Hakenkreuze an die Häuserwände geschmiert“, erläutert er. Aber vielleicht | |
| sei es auch kein Antisemit gewesen, der sich in der Haustür geirrt habe – | |
| sondern ein russischer Provokateur, der einen Keil zwischen Ukrainer und | |
| Polen treiben wollte. Und damit, sagt er, habe die Stiftung ständig zu tun. | |
| ## Die Geister der Vergangenheit als Propagandamaterial | |
| Auf seinem Laptop zeigt er die Internetseite der Stiftung und deutet auf | |
| das Foto einer anderen antiukrainischen Schmiererei: „Hier hatte jemand auf | |
| unsere Hauswand gesprüht [2][‚Wolhynien ist ukrainisch‘] und dazu die | |
| rot-schwarze Flagge der UPA, also der Ukrainischen Aufstandsarmee.“ Das | |
| Graffito bezieht sich auf die [3][Massenmorde an rund 100.000 Polen durch | |
| ukrainische Soldaten im Kriegsjahr 1943]. | |
| Das sei besonders perfide gewesen, sagt er, denn die meisten Ukrainer | |
| würden diese Taten heute als verbrecherisch und falsch verurteilen. „Unsere | |
| Nachbarn hier in Warschau und viele bisherige Freunde nahmen das aber für | |
| bare Münze. Sie dachten, dass wir die damalige Nazi-Kollaboration einiger | |
| UPA-Einheiten positiv bewerten würden“, stöhnt er. Und fährt fort: „Sie | |
| warfen uns vor, dass Putins geplante ‚Entnazifizierung‘ der Ukraine | |
| vielleicht doch nicht so falsch sei.“ | |
| Er klappt den Laptop zu. Die Stiftung habe große Mühe gehabt, das wieder | |
| zurechtzurücken. „Wolhynien liegt heute auf dem Gebiet von drei Staaten – | |
| der Ukraine, Polens und von Belarus“, erklärt er. „Wir erkennen die | |
| Nachkriegsordnung an, haben seit unserer Unabhängigkeit kein Nachbarland | |
| überfallen und planen das auch nicht.“ Pestrykov schüttelt den Kopf. | |
| Russland hingegen habe die Ukraine attackiert, um das alte Sowjetreich | |
| wiederherzustellen. | |
| ## Fake-Brief fällt auf fruchtbaren Boden | |
| Eine Kampagne betraf das Ukrainische Haus direkt: Es gab einen Fake-Brief, | |
| dem Ukrainischen Haus zugeschrieben, der auf einer Wahlveranstaltung für | |
| den polnischen Präsidentschaftskandidaten und derzeitigen Warschauer | |
| Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski Werbung machen sollte. Ganz sicher, | |
| sagt er, sei dieser eine russische Provokation gewesen: „In einem der | |
| Briefe, die uns aus verschiedenen Städten in Polen zugeschickt wurden, | |
| stand das Wort „Bürgermeister“ auf Russisch und in kyrillischer Schrift“, | |
| so Pestrykov. Da habe wohl jemand den Brief im Internet automatisch | |
| übersetzen lassen, und aus irgendeinem Grund sei das eine Wort im Original | |
| stehengeblieben. | |
| „In der Stadt Łańcut in Südostpolen kursierte dann sofort das Gerücht, da… | |
| die Anhänger des UPA-Anführers Stepan Bandera hinter Trzaskowski stünden | |
| und der Oberbürgermeister von Warschau kein polnischer Patriot, sondern ein | |
| Verräter sei.“ Er schlägt sich die Hände vors Gesicht: „Stepan Bandera w… | |
| ein ukrainischer Nationalist, der aber während der Wolhynien-Massaker an | |
| den Polen schon in einem deutschen Konzentrationslager saß!“ | |
| Pestrykov, der die polnische Staatsbürgerschaft beantragt hat, schüttelt | |
| wieder den Kopf: „Wie kann man so leichtgläubig sein? Da reichen ein paar | |
| negative Stereotype, und schon fällt die böse Saat auf einen fruchtbaren | |
| Boden.“ Mit der gleichen „Verräter-Masche“, die jetzt Trzaskowski schaden | |
| solle, müsse ja auch immer wieder Premier Donald Tusk kämpfen, der | |
| angeblich ein Mann Berlins und auch ein Verräter sein solle. | |
| ## Rechte schüren Ressentiments | |
| Polen werde schon seit längerer Zeit mit einem Cyberkrieg aus dem Osten | |
| überzogen, gegen den die Sicherheitskräfte nur schwer ankämen, sagt | |
| Pestrykov. Im Internet kursieren immer mehr Hasskommentare gegen die | |
| angeblich kriminellen, korrupten oder kranken Geflüchteten und Migranten. | |
| Allein 2024 kamen bis zu 74 Millionen Social-Media-User in Polen in Kontakt | |
| mit Fake News oder Hass-Posts über Ukrainer und Ukrainerinnen, zählte das | |
| Recherche-Portal Oko.Press in Warschau. | |
| Rechte Gewerkschaften und Parteien wie die Recht und Gerechtigkeit (PiS), | |
| die bis Ende 2023 die Regierung in Polen stellte, schüren zusätzlich den | |
| sozialen Neid. Auch die einst berühmte, aber jüngst nach rechts | |
| abgedriftete Gewerkschaft Solidarność reite diese Welle. Rechte | |
| organisieren außerdem Grenzblockaden und behaupten, dass ukrainische Waren | |
| den EU-Standards nicht genügen müssten – und so auf den polnischen Tellern | |
| minderwertiges Obst, Gemüse und Fleisch aus der Ukraine lande. Das hat | |
| Einfluss auf die Stimmung im Lande. | |
| Viele Politiker in Polen richten ihre politischen Äußerungen stark an der | |
| Mehrheitsmeinung der Gesellschaft aus. Und so fordert inzwischen sogar | |
| Trzaskowski, der Favorit unter den Präsidentschaftskandidaten, dass | |
| ukrainische Eltern kein Kindergeld mehr bekommen sollten, wenn sie nicht in | |
| Polen arbeiteten und auch Steuern bezahlten. Pestrykov sagt: „Das | |
| verschlechtert leider auch die Stimmung uns gegenüber. Aber in der Praxis | |
| hätte ein solches Gesetz fast keine Auswirkungen.“ | |
| Denn es arbeiteten ja bereits 70 bis 80 Prozent der ukrainischen | |
| Geflüchteten in Polen. Und für die anderen würden oft Ausnahmen gelten, | |
| etwa wegen Krankheit oder Behinderung. Und älteren geflüchteten Ukrainern | |
| werde die Rente sowieso nicht vom polnischen Staat, sondern vom | |
| ukrainischen ausgezahlt. | |
| ## Der Status als Arbeitsmigrant erscheint vielen besser | |
| „Allerdings haben nun rechte Parteien im Parlament Gesetzesprojekte | |
| eingereicht, die den Ukrainern – und nur ihnen als einziger | |
| Geflüchtetengruppe – sämtliche Sozialleistungen streichen sollen.“ Sobald | |
| das Gesetzesprojekt veröffentlicht sei, werde das Ukrainische Haus | |
| offiziell dazu Stellung nehmen. | |
| „Dabei hat der polnische Staat ohnehin schon fast alle Sozialleistungen | |
| gestrichen. Es gibt kein Begrüßungsgeld mehr, keinen Wohnungs- oder | |
| Essenszuschuss, keine Arbeitslosenhilfe, nur noch Kindergeld in Höhe von | |
| 800 Zloty (knapp 200 Euro) pro Monat bis zum 18. Lebensjahr, | |
| Schulausbildung und ärztliche Versorgung.“ Wer nicht arbeite, habe kein | |
| Geld oder bekomme monatliche Beträge von der Familie aus der Ukraine | |
| geschickt, um sich in Polen über Wasser halten zu können. | |
| Der Trend unter den Ukrainern in Polen – neuesten Statistiken zufolge sind | |
| es nur noch knapp 2 Millionen – gehe dahin, den Status „Geflüchteter“ | |
| loszuwerden. Und stattdessen den Status „Arbeitsmigrant“ oder „-migrantin… | |
| zu erwerben. „Das hat mit dem Arbeitskult in Polen zu tun“, so Pestrykov. | |
| „Während die Migranten meist schwer arbeiten, oft in Krankenhäusern, in der | |
| Altenbetreuung oder auch auf dem Bau, Steuern zahlen und sich zu | |
| integrieren versuchen, liegen die Geflüchteten angeblich den polnischen | |
| Steuerzahlern auf der Tasche – so die allgemeine Vorstellung bei vielen | |
| Polen.“ | |
| Die Zahl der Geflüchteten, erklärt der Historiker Pestrykov, sinke weiter – | |
| während die Zahl der Arbeitsmigranten aus der Ukraine kontinuierlich | |
| steige. | |
| 15 Apr 2025 | |
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| Gabriele Lesser | |
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