# taz.de -- Juristin über Schwangerschaftsabbrüche: „200 Kilometer zu reise… | |
> In Deutschland sei der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht | |
> ausreichend gesichert, sagt Céline Feldmann vom Deutschen | |
> Juristinnenbund. | |
Bild: Demonstrierende protestieren in Berlin gegen § 218, am 8.3.2025 | |
taz: Frau Feldmann, wann ist ein Schwangerschaftsabbruch legal in | |
Deutschland? | |
Céline Feldmann: In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch | |
grundsätzlich strafbar, aber es gibt Ausnahmen: Die medizinische | |
Indikation, also wenn das Leben oder die Gesundheit der schwangeren Person | |
gefährdet ist, hat keine Frist. Und die kriminologische Indikation, zum | |
Beispiel nach einer Sexualstraftat. Die greift bis zur 12. Woche. In beiden | |
Fällen übernimmt die Krankenkasse die Kosten. Am häufigsten findet ein | |
Abbruch nach der Beratungslösung statt: Wenn sich die schwangere Person in | |
einer anerkannten Beratungsstelle beraten lässt, mindestens drei Tage bis | |
zum Abbruch wartet und den Abbruch von einer Ärzt*in durchführen lässt, | |
ist dieser bis zur 12. Woche straffrei. Die Kosten werden nur übernommen, | |
wenn die schwangere Person entweder über kein oder nur ein sehr geringes | |
Einkommen verfügt. Und dann gibt es noch eine juristische Privilegierung | |
von schwangeren Personen: Wenn sie eine Beratung hatte und der Abbruch bis | |
zur 22. Woche stattfindet, sieht das Gericht von einer Strafe ab. | |
taz: Wie bewerten Sie diese gesetzliche Lage? | |
Feldmann: Der Schwangerschaftsabbruch ist im Strafgesetzbuch geregelt. Hier | |
gilt er in Form der Beratungsregelung als tatbestandslos, aber dennoch als | |
rechtswidrig – eine Konstruktion, die in der Rechtswissenschaft heftig | |
kritisiert wird. Das gibt es sonst im Strafgesetzbuch nicht und hat | |
weitreichende Folgen. Durch die Stellung als „rechtswidrig“ wird | |
ausgedrückt, dass der Abbruch vorwerfbares Unrecht darstellen soll. Das | |
begünstigt gesellschaftliche Stigmatisierung und erschwert es, den | |
Schwangerschaftsabbruch als normale Gesundheitsleistung zu betrachten. Das | |
ist einer der Gründe dafür, warum Schwangerschaftsabbrüche nach der | |
Beratungsregelung nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen | |
werden. | |
taz: Wofür plädiert der Deutsche Juristinnenbund (DJB)? | |
Feldmann: Die Entscheidung über einen Abbruch ist verfassungsrechtlich | |
geschützt, als Teil des reproduktiven Selbstbestimmungsrechts sowie des | |
Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit. In Deutschland wird der | |
Zugang zu einem straffreien Abbruch aber nicht ausreichend gesichert, was | |
vor allem daran liegt, dass die Zahl der Anbieter sich seit 2003 fast | |
halbiert hat. Besonders in ländlichen Regionen gibt es oft keine | |
Versorgung. Der DJB fordert daher eine Neuregelung und eine | |
Entkriminalisierung des Abbruchs. Es geht nicht um eine ethische Debatte, | |
sondern um eine Frage von Rechten. Das Strafrecht ist der falsche Ort, um | |
moralische Fragen zu diskutieren. Es ist auch nicht hinnehmbar, dass | |
Personen bis zu 200 Kilometer reisen müssen, um einen Abbruch vornehmen zu | |
lassen, besonders wenn man bedenkt, dass viele Ärzt*innen, die noch | |
Abbrüche vornehmen, in den kommenden Jahren in Rente gehen werden. Das muss | |
sich ändern, und ein erster Schritt wäre eine Entkriminalisierung. | |
taz: Wie steht Deutschland da [1][im Vergleich zu anderen Ländern]? | |
Feldmann: Interessanterweise ist der Schwangerschaftsabbruch in vielen | |
europäischen Ländern auch im Strafgesetzbuch geregelt. In den Niederlanden | |
ist der Abbruch bis zur 24. Woche erlaubt, wobei es früher eine fünftägige | |
Wartezeit nach der Beratung gab, die aber seit 2022 abgeschafft wurde. Also | |
deutlich einfacher als bei uns. In Österreich gilt er, wie bei uns, | |
grundsätzlich als Straftat, wird aber nicht verfolgt und es gibt Ausnahmen. | |
Die Frist beträgt dort drei Monate, wobei theoretisch ein Abbruch bis zur | |
16. Woche möglich wäre. Es gibt auch später noch Ausnahmen, zum Beispiel | |
bei einer medizinischen Indikation, wenn das Leben der Schwangeren | |
gefährdet ist oder der Fötus eine Gefahr darstellt. | |
taz: Ist es auch grundsätzlich strafbar, wenn Personen aus Deutschland | |
einen Abbruch im Ausland vornehmen lassen? | |
Feldmann: Auf der sicheren Seite ist die schwangere Person auf jeden Fall, | |
wenn sie die Voraussetzungen der Beratungslösung erfüllt – dann ist der | |
Eingriff nach dem Gesetz ohnehin straffrei. Theoretisch gilt das deutsche | |
Strafrecht im Falle des Abbruchs für Deutsche, die ihren Lebensmittelpunkt | |
in Deutschland haben, auch im Ausland. Ob das für die schwangere Person | |
heute noch zeitgemäß ist, ist fraglich – und übrigens ein weiterer Grund, | |
warum der Schwangerschaftsabbruch entkriminalisiert werden sollte. | |
taz: 2024 [2][lag ein Gesetzentwurf vor], der einen Abbruch vor der 12. | |
Woche straffrei stellen sollte. Er wurde nicht mehr beschlossen. Wie stehen | |
jetzt die Chancen für eine Änderung? | |
Feldmann: Es ist schwer zu sagen, ob eine Gesetzesänderung noch | |
durchgesetzt werden kann, besonders wenn man die Haltung von CDU und CSU | |
zur Reform von Paragraf 218 betrachtet. Der Gesetzesentwurf, der von über | |
324 Abgeordneten verschiedener Fraktionen unterstützt wurde, hat es leider | |
nicht zur Abstimmung geschafft, dabei enthielt er den Minimalkonsens. Das | |
ist enttäuschend, vor allem, weil es sich um eine langjährige und dringende | |
Forderung handelt. Wir setzen uns weiterhin für die Entkriminalisierung des | |
Abbruchs ein. | |
12 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Mayya Chernobylskaya | |
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