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# taz.de -- Femizide in den Niederlanden: Die Dolle Minas sind zurück
> In den Niederlanden bringt der Mord an einer 17-Jährigen das Thema
> Femizid in die Schlagzeilen. Auch eine feministische Ikone der 1970er
> tritt wieder auf.
Bild: Aktion der dollen Minas in den 70ern für Frauenrechte
Amsterdam taz | „Wir fordern die Nacht zurück“– die Losung ist
allgegenwärtig, wenn in den Niederlanden in diesen Tagen die neue
kulturelle Saison beginnt. In Bars und Clubs, Kinos und Theatern begegnet
man ihr. In mehreren Städten erstrahlten Dienstagnacht Hauswände und
markante Bauwerke in Orange, darunter der Amsterdamer Hauptbahnhof oder die
Erasmus-Brücke in Rotterdam. Die Farbe steht nicht für das niederländische
Königshaus Oranien-Nassau, sondern für eine globale UN-Kampagne: Unter dem
Titel [1][„Orange the world“ ] soll Gewalt gegen Frauen und Mädchen
gestoppt und verhindert werden.
Ein entsprechender Fall beschäftigt die Niederlande seit einer Woche: Eine
17-Jährige aus einem Dorf südlich von Amsterdam wurde nach dem Ausgehen im
Zentrum der Hauptstadt ermordet. Um halb vier machte sie sich per Fahrrad
auf den 15 Kilometer langen Rückweg.
Eine Dreiviertelstunde später wurde ihre Leiche am Wegrand gefunden. Laut
Polizeiangaben wurde das Opfer von einem Mann, ebenfalls auf einem Fahrrad
unterwegs, mit einem Messer angegriffen. Gegen den 22-jährigen
Tatverdächtigen wird auch wegen einer Vergewaltigung und eines weiteren
sexuellen Übergriffs in Amsterdam ermittelt.
Die Dauerpräsenz des Mords und der Vergewaltigung in den Medien, die erst
in den letzten Tagen miteinander verknüpft wurden, haben offenbar einen
Stein ins Rollen gebracht: In zahlreichen Medien berichteten Mädchen und
Frauen von ihren Erfahrungen als Opfer sexueller Belästigung und Gewalt
durch Männer – und der Struktur dahinter.
## Berichte über Belästigungen und Angriffe
Als etwa die Tageszeitung Het Parool Leserinnen zum Thema befragte, kamen
dabei Zeugnisse wie dieses zum Vorschein: „Ich bin 56 und hatte meinen fair
share an männlicher Einschüchterung und Aggression. Das erste Mal, an das
ich mich erinnere, war mit 12, und als ich 16 war, griff mir ein Mann an
die Brüste.“
Die betreffende Frau berichtet, wie zahllose andere überall im Land, von
Männern, die nachts auf dem Fahrrad oder in ihrem Auto bedrohlich langsam
neben ihr fuhren oder sie bis zur Haustür verfolgten. Einmal „packte ein
Mann nachts in einer dunklen Straße seinen Schwanz aus der Hose“. Durch den
bekanntesten Park der Hauptstadt, tagsüber von Tausenden Bewohnerinnen und
Touristen bevölkert, traut sie sich nachts nicht mit dem Fahrrad, alleine
in den Wald auch nicht bei Tageslicht.
„Ich werde auch manchmal belästigt. Jede Frau kennt das“, kommentiert
Danique de Jong, eine 29-jährige Den Haagerin. Auf ihre Initiative erschien
der besagte Slogan „Wir fordern die Nacht zurück“ nun an Bahnhöfen,
Autobahnen oder in Innenstädten auf Reklamewänden. Per Crowdfunding kamen
dafür inzwischen mehr als eine halbe Million Euro zusammen. Doch das ist
bei Weitem nicht genug, findet De Jong. „Wir müssen weiter darüber reden
und in Bewegung kommen“, zitiert die Nachrichten-Seite nu.nl sie. „Wir
müssen Männern Handlungsperspektiven bieten. Denn es ist ein
Männerproblem.“
Diskutiert wird darüber auch auf Social Media und in Onlineforen – und
durchaus kontrovers. Zahlreiche Reaktionen zeigten Unverständnis darüber,
dass eine 17-Jährige spät nachts alleine mit dem Fahrrad eine entsprechende
Strecke zurücklegt. Auch die Schriftstellerin Nienke ’s Gravemade ertappte
sich bei diesen Gedanken. Per Instagram-Post erläuterte sie, wie sie sich
dafür schämt und folgert: „Wie erdreisten wir uns als Gesellschaft dazu,
Mädchen und Frauen mitverantwortlich zu machen für ihr eigenes Unheil,
ihren eigenen Tod?“
## Wiederkehr der „Dolle Minas“
Die Debatten vollziehen sich nicht im luftleeren Raum. Erst in diesem
Sommer sorgte die Nachricht, dass sich in den vermeintlich so emanzipierten
Niederlanden 40 bis 50 Femizide jährlich ereignen, durchschnittlich also
etwa jeden achten Tag, für Aufsehen. Auf der politischen Agenda spielt das
Thema bislang eine untergeordnete Rolle – was auch einer der Gründe dafür
ist, dass in diesem Jahr eine feministische Bewegung der ersten Stunde
wieder die Bühne betrat: die „Dolle Minas“.
Anfang des Jahres verbrannten sie in Amsterdam ein Korsett, am gleichen
Ort, an dem sie dies erstmals 1970 taten. „Dolle Minas“ heißt soviel wie
„verrückte Minas“ und bezieht sich auf Wilhelmina Drucker, eine Feministin
der ersten Stunde, an deren Monument in Amsterdam die erste Verbrennung
stattfand.
„Same shit, different century“, heißt es [2][auf ihrer Webiste] dazu. „D…
Kampf um Freiheit und Gleichheit ist noch lange nicht vorbei.“ Neben
Einkommensungleichheit oder der Verteidigung von Abtreibungsrechten gegen
christliche Fundamenalist*innen widmen sich die wiederauferstandenen
Dolle Minas ausdrücklich dem Thema Femizid – wie etwa Anfang August mit
einem Marsch in Rotterdam. Wie relevant dieser war, haben die folgenden
Wochen einmal mehr gezeigt.
27 Aug 2025
## LINKS
[1] https://unwomen.de/orange-the-world/
[2] https://dollemina.org/
## AUTOREN
Tobias Müller
## TAGS
Schwerpunkt Femizide
Niederlande
Feminismus
Amsterdam
Rotterdam
Social-Auswahl
Schwerpunkt Femizide
Türkei
Schwerpunkt Abtreibung
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