# taz.de -- SPD in der Krise: Vorwärts – und nicht vergessen | |
> Berlins SPD-Spitze startet PR-Kampagne für den Prozess der | |
> Parteierneuerung. Der Gesamtkurs stößt bei linken Genoss:innen auf | |
> wachsenden Unmut. | |
Bild: Neue Speerspitze der Mietenbewegung? Berlins SPD-Chef:innen Nicola Böcke… | |
Berlin taz | Es läuft einfach nicht für die Hauptstadt-SPD. Gut drei | |
Viertel der Berliner:innen sind unzufrieden mit der Arbeit der | |
schwarz-roten Landesregierung, die Partei selbst wird öffentlich immer | |
weniger wahrgenommen, bei der Bundestagswahl ist die SPD mit berlinweit | |
[1][nur noch 15,1 Prozent regelrecht abgesoffen]. | |
„Die SPD ist etwas im Abwärtstrend, kontinuierlich“, sagt Landeschef Martin | |
Hikel. Zusammen mit der Co-Parteivorsitzenden Nicola Böcker-Giannini will | |
er nun mit einer Imagekampagne gegensteuern. Plakatwände, Aufsteller vor | |
Parteibüros, Social Media, Flyer und Postkarten. Motto: „Vorwärts Berlin“. | |
Am Donnerstagnachmittag wurde sie gegenüber dem KaDeWe am Wittenbergplatz | |
vorgestellt. Passant:innen gab es reichlich, Interesse am Kampagnenstart | |
eher nicht. Dabei will die SPD damit doch demonstrieren, „dass wir als | |
Partei nicht nur während des Wahlkampfs sichtbar sind“, wie Böcker-Giannini | |
zur taz sagt. | |
Im Rahmen von „Vorwärts Berlin“ sollen die Berliner:innen motiviert | |
werden, ihre „Ideen für eine lebenswerte Stadt 2035“ an den | |
SPD-Landesverband zu schicken. Das Ganze ist Teil des von Böcker-Giannini | |
und Hikel im vergangenen Jahr angestoßenen parteiinternen „Zukunftsprozess | |
Berlin 2035“, der in ein Programm für die Abgeordnetenhauswahl 2026 fließen | |
und die einstige „Berlin-Partei“ wieder aus dem Tal der Tränen führen sol… | |
## Ein bisschen Vergesellschaftung als Option | |
Sonderlich viel hat die Öffentlichkeit [2][seit der Auftaktveranstaltung im | |
September 2024] nicht mehr vom „Zukunftsprozess“ gehört. Was nicht | |
erstaunlich ist: Von den geplanten sechs Dialogforen mit Parteimitgliedern | |
und Expert:innen zu bestimmten Themen haben bislang erst zwei | |
stattgefunden, eines davon am Donnerstag zu Mieten, Bauen, Wohnen. | |
Passend dazu signalisieren ausgerechnet die dem konservativen Parteiflügel | |
zugerechneten Landesvorsitzenden bei der Vorstellung der Kampagne eine | |
gewisse Offenheit für das Thema Vergesellschaftung – nun ja, in sehr engen | |
Grenzen. Bei seit Jahren brachliegenden baureifen Grundstücken etwa, auf | |
denen nur zu Spekulationszwecken nichts passiert, könne Vergesellschaftung | |
„eine Option“ sein, sagt Martin Hikel. | |
Die Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co | |
enteignen“ lehnen die SPD-Landeschef:innen weiterhin ab. „Die Enteignung | |
großer Wohnungskonzerne schafft keine Wohnungen“, wiederholt Nicola | |
Böcker-Giannini [3][das alte Lied der Taiga], das auch die einstige | |
SPD-Regierende Franziska Giffey und ihr CDU-Nachfolger Kai Wegner singen. | |
Auch sonst bleiben die Landesvorsitzenden beim, so Böcker-Giannini, | |
„Kernthema des nächsten Jahres, des nächsten Wahlkampfs“ auf Linie. Im | |
Rahmen von „Vorwärts Berlin“ fordern sie den Neubau und Ankauf von mehr | |
bezahlbaren Mietwohnungen sowie eine unbefristete Mietpreisbremse und loben | |
das Schneller-Bauen-Gesetz. Nur folgerichtig ist der dazugehörige | |
Kampagnen-Slogan an Zahmheit schwer zu überbieten: „Zuhause darf nicht zu | |
teuer werden“. | |
## „Wir stehen an der Schwelle“ | |
Es müsse jetzt doch mal wieder vorwärts gehen, sagt Martin Hikel. Mit | |
Berlin, aber auch und vor allem mit der Partei. Wieder auf die Beine kommen | |
oder zur „Nischenpartei“ verkümmern: „Wir stehen an der Schwelle.“ Und: | |
„Ich finde schon, dass sich eine Partei regelmäßig neu erfinden muss.“ | |
Genau das sei auch Sinn und Zweck des „Zukunftsprozesses Berlin 2035“ und | |
der Imagekampagne, die sich eben nicht nur an die eigenen Mitglieder | |
richte. | |
Nun versuchen sich Böcker-Giannini und Hikel seit bald einem Jahr darin, | |
die Berliner SPD neu zu erfinden. Schon im innerparteilichen Kampf um den | |
Landesvorsitz, [4][der im Mai 2024 per Mitgliederentscheid zu ihren Gunsten | |
ausging], waren die ehemalige Sportstaatssekretärin und der Neuköllner | |
Bezirksbürgermeister mit markigen Sprüchen angetreten. | |
Die generelle Gebührenbefreiung beim Schulessen – ein Lieblingsprojekt der | |
Parteilinken – sollte auf den Prüfstand gestellt werden, den eigenen | |
Senator:innen drohten Böcker-Giannini und Hikel mit „klaren | |
Konsequenzen“, sollten sie nicht „liefern“: Eine lagerübergreifende | |
Umarmungsstrategie war das nicht. Zugleich blieb es bei den Ankündigungen. | |
Passiert ist jedenfalls nichts. | |
## Parteiinterne Forderungen nach einem Linksruck | |
Angesichts der Klatsche bei der Bundestagswahl wächst unterdessen der Unmut | |
insbesondere der Parteilinken. Eine unklare Strategie, fehlende | |
Glaubwürdigkeit, zu wenig Durchsetzungsfähigkeit und Durchsetzungswillen: | |
Die [5][Gruppe „frei und links“ innerhalb der SPD-Fraktion im | |
Abgeordnetenhaus] lässt in einem jüngst erstellten Positionspapier kein | |
gutes Haar an den führenden Genoss:innen – im Senat und an der | |
Parteispitze. | |
Die auch von Hikel und Böcker-Giannini immer wieder leidenschaftlich | |
verteidigte Koalition mit der CDU auf Landesebene habe „Vertrauen | |
zerstört“, viele Menschen nähmen die Sozialdemokrat:innen nur noch | |
als „getrieben, statt als treibende Kraft“ wahr, heißt es in dem internen | |
Papier, das der taz vorliegt. | |
An die Adresse von Bausenator Christian Gaebler ist dabei die Forderung | |
gerichtet, die SPD müsse endlich „konsequent auf der Seite der Menschen, | |
nicht der Immobilienlobby“ stehen. Für Wirtschaftssenatorin Franziska | |
Giffey ist der Satz bestimmt, in Berlin gebe es nicht nur ihr bevorzugtes | |
Spielfeld Start-ups und Tech, sondern auch soziale Wirtschaft. | |
Die insgesamt acht Abgeordneten – darunter der ehemalige Finanzsenator | |
Matthias Kollatz, der Innenpolitiker Martin Matz und die Umweltexpertin | |
Linda Vierecke – fordern mit Blick auf die Wahl zum Landesparlament 2026 | |
nun einen strategischen Linksruck. Zumal es, wie die Bundestagswahl gezeigt | |
habe, [6][mit Linken und Grünen „stabile Mehrheiten für Bündnisse links der | |
Mitte“] in der Hauptstadt gebe. Ihr Fazit: „Die SPD hat nicht verloren, | |
weil Berlin nach rechts gerückt ist – sondern weil sie nicht als | |
kämpferische linke Partei wahrgenommen wurde.“ | |
Martin Hikel lässt sich davon bei der Vorstellung der Imagekampagne nicht | |
beeindrucken. „Ich habe da keine Kritik herausgelesen“, sagt der | |
Parteichef. Im Gegenteil, das sei doch ein „sehr konstruktiver“ | |
Debattenbeitrag, der zeige, dass es auch bei den SPD-Linken „den Wunsch | |
gibt, Veränderungen herbeizuführen“. Und noch etwas: „Dass wir für viele | |
nicht mehr relevant sind, das nehmen ja auch wir wahr.“ | |
21 Mar 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-der-Bundestagswahl-in-Berlin/!6068484 | |
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[5] /SPD-Fraktion-im-Abgeordnetenhaus/!6012457 | |
[6] /Strukturelle-Mehrheit-fuer-R2G-in-Berlin/!6068661 | |
## AUTOREN | |
Rainer Rutz | |
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