| # taz.de -- Politik für die Zukunft: Warum ist Robert Habecks Politikstil gesc… | |
| > Echte Zukunftspolitik bringt Kollateralschäden mit sich. Es mangelt | |
| > derzeit an einer gesellschaftlichen Kultur für zeitgemäße Politik. | |
| Bild: Politikstil mit Zuversichtsansatz erst mal gescheitert: Robert Habeck nac… | |
| Als Barack Obama Präsident wurde, war ich so begeistert vom Stil dieses | |
| Politikers, dass ich ein paar Tage ernsthaft dachte, nun würde die Welt | |
| atomwaffenfrei, die freiheitlich-emanzipatorische Kultur würde sich global | |
| durchsetzen und so weiter. Das lag vermutlich daran, dass ich eine | |
| Überdosis Post-68er-Kultur intus hatte, die von Geringschätzung der | |
| parlamentarischen Politik und demokratischen Mehrheiten geprägt war. | |
| Und die Lösungen stets im Gegenmodell suchte, Politiker, die „anders“ sein | |
| sollten, dem reflexhaften Ruf nach der „Zivilgesellschaft“ und | |
| übernatürlichen Kräften, die alles schaffen, wenn die Guten sich | |
| zusammenfinden. Wie ein Sprecher im Schlamm von [1][Woodstock] sagte: „Wenn | |
| wir uns richtig anstrengen, dann können wir diesen Regen vielleicht | |
| stoppen!“ Dann riefen alle: „No rain, no rain.“ Yeah! Selbstverständlich | |
| goss es in Strömen weiter, aber das ignorierten wir. | |
| Jedenfalls hat Barack Obama einen politischen Stil weiterentwickelt, der | |
| 1960 mit John F. Kennedy begann. Es war die Ablösung des | |
| militärisch-autoritären Stils durch einen, der die Bereitschaft zur | |
| politischen Öffentlichkeit und zur Mitsprache bezeugte, wie man nachlesen | |
| kann in Ole Meinefelds neuem Buch „[2][Das Wagnis der Öffentlichkeit. | |
| Politische Stile bei Hannah Arendt]“. Von Willy Brandt („Mehr Demokratie | |
| wagen“) bis Winfried Kretschmann („Politik des Gehörtwerdens“) folgte | |
| dieser Stil der Liberalisierung der westlichen Gesellschaften. | |
| Obamas Stil aber war solitär, weil er auf eine einzigartige Weise | |
| politische Ernsthaftigkeit und popkulturelle Lässigkeit verband. Obama war | |
| der ästhetische Höhepunkt der Geschichte, die wir als unsere verstanden | |
| haben. Aber er markierte auch ihr Ende. | |
| ## Kein Vertrauen in die Bürger | |
| In Deutschland war es gleichzeitig so, dass weder Angela Merkel noch Olaf | |
| Scholz auch nur einen Funken Vertrauen in uns Bürger hatten. Ihr Stil | |
| beruhte darauf, möglichst nicht zu sprechen, weil – so die Einschätzung – | |
| man uns Wohlstandsbürgern Wahrheit nicht zumuten durfte, sonst würden wir | |
| sauer und sie sofort abwählen. Merkel gelang es, ihre Defizite (null | |
| Charisma, null rhetorische Begabung) in eine Marke und Stärke umzudeuten, | |
| Scholz nicht. | |
| Und dann kam der Kanzlerkandidat [3][Robert Habeck] mit einem | |
| außergewöhnlichen Wagnis. | |
| Ein selbstreflexiver, stets auf die Komplexität der Gegenwart hinweisender | |
| Stil, mit einem antidystopischen, antipolarisierenden und überparteilichen | |
| Zuversichtsansatz: Das war der Versuch, neue Allianzen für die Lösung neuer | |
| Probleme zu gewinnen. Obwohl Habeck gerade durch diesen Stil hohe | |
| persönliche Popularitätswerte hat, ist der Ansatz bei der Bundestagswahl | |
| gescheitert. Warum – und was folgt daraus? | |
| Eine Möglichkeit wäre, dass Merkel und Scholz einen Punkt haben und es | |
| Habecks Problem war, dass er ansatzweise echte Zukunftspolitik machen | |
| wollte, die auch Kollateralschäden mit sich bringt. Für ernsthafte Politik | |
| auf der Höhe der Zeit und Bereitschaft, mit ihren Nachteilen umzugehen, | |
| gibt es in den liberalen Demokratien des Westens (noch) keine | |
| gesellschaftliche und politische Kultur. | |
| ## Wo bleibt echte Zukunftspolitik? | |
| Die Frage ist, welcher Politikstil dazu beitragen kann, die Bundesrepublik | |
| in eine neue Geschichte zu führen. Eine, die positiv über Nationalstaat, | |
| Sozialdemokratismus und Erweiterung individueller Rechte hinausweist. Eine, | |
| die Freiheits- und Sicherheitsgewinne schützt, aber neue Pflichten als | |
| Investition in eine gemeinsame Zukunft akzeptiert. Die den Einzelnen und | |
| die Gesellschaft nicht ideologisch überfrachtet, aber auch nicht moralisch | |
| unterfordert. | |
| Merz, Klingbeil, Söder, Esken, Reichinnek, Dröge? Wenn man in dieser | |
| Hinsicht die kommenden Protagonisten in Regierung und Opposition scannt, | |
| dann landet man schnell wieder bei Robert Habeck. | |
| 30 Mar 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
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