Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Drohungen von US-Präsident Trump: Nehmt ihn beim Wort
> Als US-Präsident setzt Trump einfach nur um, was er angedroht hat. Wenn
> die neuen Medien sein Spiel mitspielen, sind die alten Gatekeeper
> gefragt.
Bild: 5. Februar 2025, Weißes Haus: US-Präsident Donald Trump unterzeichnet e…
Aufstehen fällt schwer, wenn mit dem Griff zum Smartphone der quälende
Gedanke einhergeht: „Was ER heute Nacht wohl wieder angestellt hat?!“ Es
scheint zunehmend rational, das Schlimmste zu erwarten. Denn die Messlatte
der Realität bewegt sich mittlerweile irgendwo zwischen Androhung der
Annexion eines Landes als 51. Bundesstaat und blumigen Lobpreisungen der
russischen Demokratie. Immerhin bekam ich bisher keine Einladung, im
Messenger-Dienst Signal [1][sensible Informationen zu US-Kriegseinsätzen
mit Emojis zu kommentieren]. Immerhin.
„Doomscrolling“ ist seit dem Wahlsieg von Donald Trump zum Synonym für das
Verfolgen von Nachrichten geworden. Doch es wäre falsch, allein Social
Media das Bröckeln der US-Demokratie anzulasten. Viele der Hiobsbotschaften
werden nicht zufällig von ehemaligen Fox-News-Mitarbeitenden überbracht,
die ganz selbstverständlich auf der Regierungsbank Platz genommen haben.
Zwischen mehr oder weniger geistreichen Ideen zur Überwindung [2][der
Eierpreis-Krise] wird die Trump-Administration nicht müde, den Anbruch
eines „Goldenen Zeitalters“ zu verkünden.
## Wer betreibt hier Cancel Culture?
„In Europa verlieren sie gerade ihr wunderbares Recht auf freie
Meinungsäußerung“, klagte Trump kürzlich, angesprochen auf die Rede, die
sein Vize J. D. Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz gehalten
hatte. Eine mögliche Auslegung dieses „Kampfes für Meinungsfreiheit“
offenbart sich in diesen Tagen auf X, der Social-Media-Plattform von
MAGA-Großspender und Quasi-Regierungsmitglied Elon Musk, wo nach der
Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu gleich Dutzende
regierungskritische Accounts geblockt wurden.
Diejenigen, die sich zuvor lautstark über eine vermeintliche liberale
Sprachpolizei echauffierten, stört es nun nicht, wenn das Ignorieren von
Trumps neuen Sprachregelungen zum Golf von Mexiko eine Ausladung von
Journalisten aus dem Weißen Haus nach sich zieht. Die Frage, wofür Menschen
eigentlich wirklich stehen, die zu all dem schweigen und die Redefreiheit
ausgerechnet dann anführen, wenn es um die [3][Zulässigkeit von Vergleichen
zwischen LGBTQ+ und Geisteskrankheiten geht,] ist nicht allzu schwer zu
beantworten.
Um die Wissenschaft zu „befreien“, werden Gelder gestrichen und Listen mit
ab sofort verdächtigen Wörtern für Förderanträge erstellt. Komisch – das
hierzulande beim Thema Cancel Culture sonst überaus laute Netzwerk
Wissenschaftsfreiheit hat dazu keine Pressemitteilung veröffentlicht.
## Propagandastrategie: Accusation in a Mirror
Landauf, landab veröffentlichen deutsche Zeitungen zugleich Tipps für
Reisende, damit diese trotz Trump-Kritik im Familienchat weiterhin
unbeschadet ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten einreisen können. Manch
eine wünscht sich da doch glatt die gute alte Zeit der vermeintlichen
linken Meinungsdiktatur zurück, deren Auswüchse sich lediglich in Form
queerer Buchoptionen in Schulbibliotheken manifestierten.
Doch das Rezept des MAGA-Lagers erinnert nicht umsonst an die alte
Propagandatechnik „Accusation in a Mirror“, wonach es der politischen
Konkurrenz konsequent all das anzudichten gilt, was die eigene Gruppe
selbst im Schilde führt. Selbst eine Verfassungskrise lässt sich so mit dem
bequemen Einwand beiseite wischen, die anderen hätten es schließlich nicht
anders getan – wenn man sie nur gelassen hätte.
Bei der Inauguration von Donald Trump kam das Who is Who des Silicon Valley
zusammen. Das ist praktisch, denn die Schlachten des Trump’schen
Kulturkampfs werden in nicht unerheblichem Ausmaß in den digitalen privaten
Vorgärten dieser Männer ausgetragen. Dort dirigiert einen der
Empfehlungsalgorithmus vom MAGA-Content direkt zu 20-jährigen
Cryptotradern, die einen tieferen Sinn hinter Trumps Handelspolitik zu
erkennen glauben. Es ist ein Ökosystem mit eigenen Codes und vielen
Amerika-Emojis. Wo etwa ein kleiner Junge mit großen Augen erklärt, was
einen echten konservativen Kerl so ausmache.
Ein paar Wischbewegungen weiter sagt eine aufgewühlt wirkende Lehrerin, sie
bereue ihre Wahlentscheidung. Wer hätte schließlich ahnen können, dass der
Deep State nun auch [4][mittels Abschaffung des Bildungsministeriums]
bekämpft werden muss.
## Das Phänomen Silencing
Ob alles oder nichts davon Fake ist, lässt sich nicht sagen. Daran wird
sich vorerst auch nichts ändern. Die Kooperation zwischen dem Instagram-
und Facebook-Mutterkonzern Meta und Factchecking-Organisationen wird in den
USA eingestampft. Ich höre erst auf zu scrollen, als ich bei Chemtrails und
der flachen Erde angekommen bin.
Die derzeitige Haltung der großen Silicon-Valley-Player spielt vor allem
dem MAGA-Team in die Hände. Im Meta-Verwaltungsrat sitzt jetzt auch Dana
White, Kampfsport-Veranstalter und langjähriger Trump-Verbündeter. Und über
die Rolle von X scheint alles gesagt. Vorbei sind die Zeiten, als Mark
Zuckerberg und Elon Musk sich beim Cagefight duellieren wollten. Nun ist
man sich einig, dass man die Meinungsfreiheit gegen Eingriffe des Staates
verteidigen muss. Jedenfalls dann, [5][wenn es um den Digital Services Act
und andere lästige Rechtsvorschriften der EU geht]. Gleichzeitig verkaufen
rechtsextreme Identitäre auf X Exklusivcontent für 7 Euro im Monat – wie so
ganz normale Influencer.
Es gibt eine vielzitierte [6][Studie zum Stand der Meinungsfreiheit]. Eine
der Fragen lautet: „Haben Sie das Gefühl, dass man heute in Deutschland
seine politische Meinung frei sagen kann, oder ist es besser vorsichtig zu
sein?“ Abgesehen davon, dass vorsichtiges Nachdenken vor dem Tätigen
politischer Aussagen generell nie verkehrt ist, neige ich mittlerweile zu
berufsbedingter Vorsicht. Die Unbefangenheit kommt eben abhanden, wenn man
schon einmal einen Post veröffentlicht hat, unter dem sich ein paar Stunden
später eine wahre Jauchegrube von bösartigen Kommentaren auftut, weil man
von einem großen rechtsextremen Account markiert wurde.
Das Phänomen des Silencing ist wissenschaftlich gut untersucht. Wer
negative Erfahrungen macht, zieht sich aus Debatten zurück. [7][Digitale
Gewalt] ist ein beschönigendes Wort dafür, dass da anschließend irgendwo
Menschen morgens aus der Haustür gehen und sich fragen, ob diese
„Kameraden“ wirklich wissen, wo die Kinder zur Schule gehen.
## Eine offene Kampfansage
Bei dieser Art von Meinungsfreiheit machen diejenigen, die am lautesten
brüllen, irgendwann alles nur noch unter sich aus. Erst recht, wenn es der
Plattformeigner vormacht: Infolge Dutzender X-Posts von Elon Musk, in denen
er Richter als „böse“ beschimpft und eine „Tyrannei der Justiz“ beklag…
[8][äußerten mehrere US-Bundesrichter gegenüber der Nachrichtenagentur
Reuters], sie hätten Sorge um ihre Sicherheit. Aber dafür spart man Kosten
bei der Content-Moderation.
Ein Präsidentschaftskandidat, der es schafft, in Wahlkampfzeiten an einem
Tag mehr als vierzig falsche Aussagen zu tätigen, wird auch in
Regierungszeiten kein gutes Verhältnis zu Medien entwickeln. Jedenfalls zu
Medien, deren Anspruch es ist, mehr als nur Hofberichterstattung zu
betreiben. Viele von Trumps Lügen schüren gezielt Hass gegen Gruppen. Diese
Art von Desinformation ist das emotionale Schmiermittel der großen
Verschwörungserzählung eines angeblichen Deep State. Erst die Bösartigkeit
überzeichneter Feindbilder macht den eigenen Gegenentwurf wirklich
attraktiv.
Autoritäre Politiker arbeiten sich mit Vorliebe an Justiz, Medien und
Wissenschaft ab, weil es ihnen im Kern um Deutungshoheit geht.
Deutungshoheit über Instanzen, die die eigene Autorität untergraben
könnten. In seiner eigenen Kommunikationsblase bleibt Trump dank
Verschwörungserzählungen über seriöse Medien Held unzähliger Geschichten.
Es ist eine Katastrophe mit Ansage, nur leider wollten das viele nicht
wahrhaben. Eine offene Kampfansage an die unabhängige Justiz ist nicht
wirklich überraschend, wenn sie aus dem Mund eines Präsidenten kommt, der
bei seinen Wahlkampfveranstaltungen Capitolstürmer die Nationalhymne singen
ließ. Erst vor Kurzem bezeichnete Trump die Berichterstattung über ihn von
großen US-Medien wie CNN als „illegal“.
Wenn die neuen Medien sein Spiel mitspielen, wäre es umso wichtiger, dass
die alten Gatekeeper laut werden. Doch zwischen unzähligen „umstrittenen
Aussagen“ fiel es einigen von ihnen offenbar schwer, eine angemessene
Sprache für das große Ganze zu finden. In der Zwischenzeit haben gleich
mehrere renommierte Faschismusforscher angekündigt, die USA zu verlassen.
Vielleicht wären wir besser beraten, die Aussagen von autoritären Akteuren
dazu, was sie an der Macht vorhaben, nicht länger fantasievoll umzudeuten.
Vielleicht ist manchmal einfach genau das gemeint, was gesagt wurde. Auch
wenn es schwerfällt, das zu glauben.
29 Mar 2025
## LINKS
[1] /Nach-Leak-von-US-Geheimchat/!6074937
[2] /Vogelgrippe-in-den-USA/!6075242
[3] https://www.queer.de/detail.php?article_id=52204
[4] /Akademikerfeindlichkeit-in-Trumps-USA/!6073520
[5] /Trump-Musk-und-die-Tech-Milliardaere/!6057399
[6] /Studie-zu-Meinungsfreiheit/!5978066
[7] /Digitale-Gewalt/!5988991
[8] https://www.reuters.com/world/us/judges-face-rise-threats-musk-blasts-them-…
## AUTOREN
Katharina Nocun
## TAGS
wochentaz
Elon Musk
Donald Trump
Schwerpunkt USA unter Trump
Twitter / X
GNS
Krise der Demokratie
Schwerpunkt USA unter Trump
Schwerpunkt USA unter Trump
Kolumne Die Woche
Donald Trump
wochentaz
Schwerpunkt USA unter Trump
Elon Musk
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Welt aus den Fugen geraten: Der Weg aus dem Irrsinn
Damit wir nach all dem rechten Wahn wieder zur Vernunft und Besonnenheit
kommen, braucht es demokratische Atempausen – die richtig genutzt werden.
US-Bundesstaat Wisconsin: Liberale US-Richterin gewinnt Wahl
Im US-Bundesstaat Wisconsin haben die Demokraten einen Triumph
davongetragen. Eine liberale Richterin hat den Sitz im Obersten Gerichtshof
erhalten.
Trumps Gerede über eine dritte Amtszeit: Zerstörung als Strategie
Eine dritte Amtszeit klingt wie Quatsch, ist es aber leider nicht: Trump
und seinen Getreuen ist alles zuzutrauen.
Merz, Trump, Erdoğan und Depressionen: Ein dreckiges Dutzend
Merz schmäht den Begriff GroKo, Seehofer kehrt zurück, ein Journalist wird
aus Versehen in Kriegspläne der US-Regierung eingeweiht. Wird's schlimmer?
+++ USA unter Trump +++: Dänemark erteilt Washington eine klare Abfuhr
Außenminister Lars Løkke Rasmussen kritisiert insbesondere den
US-Vizepräsidenten. Der US-Auslandssender Voice of America bleibt vorerst
erhalten. Ein wichtiger-Impfstoffexperte muss gehen.
Starlink in der Ukraine: Abhängig von ganz oben
Für die Ukraine ist Starlink essenziell, um die russische Invasion
abzuwehren. Doch die Nutzung steht infrage. Alternativen gibt es kaum.
Jeffrey Goldberg: Der Chefredakteur des „Atlantic“ ist Trumps Intimfeind
Ein Journalist, eine Chat-Gruppe, ein absolutes Desaster für die
US-Regierung. Wer ist der Mann, der sich mit einem Leak zu Trumps
Intimfeind machte?
Elon Musks politischer Feldzug: Der Besessene
Elon Musk hat Donald Trump den Weg zurück ins Weiße Haus geebnet, jetzt
mischt er sich in Europas Politik ein. Was treibt diesen Mann?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.