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# taz.de -- SPD-Vorsitzende Saskia Esken: Sie ist noch da
> Saskia Esken gehört zu den wenigen Frauen im Zentrum der Macht. Doch die
> Kritik an ihr ist groß, auch in der SPD. Zu Recht?
Bild: „Ich sorge schon dafür, dass ich gehört werde“: Die Bundesvorsitzen…
Berlin taz | Die Auswahl zwischen zwei Ministerien fällt Saskia Esken
schwer. Klima und Wirtschaft oder Bauen? Die SPD-Vorsitzende überlegt. „Da
mach ich wohl … Klima und Wirtschaft.“ Zumindest ins Schattenkabinett von
Bundestranslerin Margot Schlönzke hat es Esken an diesem Abend im Juni 2024
schon mal geschafft. Das Publikum im Theater am Berliner Mehringdamm
applaudiert begeistert. Esken lächelt. Viel Applaus bekommt sie in letzter
Zeit nicht.
Damals, als Esken zu Gast beim politischen Kabarett von Dragqueen Margot
Schlönzke gewesen ist, war die Ampelkoalition noch nicht zerbrochen, an
Neuwahlen dachte nur Christian Lindner, und im Weißen Haus regierte Joe
Biden. Seitdem ist viel passiert, die Welt hat sich verändert. Aber Saskia
Esken ist noch da.
Und sie könnte sogar Ministerin der nächsten Koalition werden. Genau wie
ihr Co-Vorsitzender Lars Klingbeil, der sich nach dem schlechtesten
SPD-Ergebnis seit Gründung der Bundesrepublik [1][zum Fraktionsvorsitzenden
beförderte], ist Esken nicht zurückgetreten. Und kündigte Ende Februar an:
„Ich verspreche, dass ich nerve.“
Damit nervt sie zumindest schon mal Genoss:innen in der eigenen Partei.
Sie klebe wie Pattex am Parteivorsitz, so Gerhard Gaiser, früherer
SPD-Kreisverbandsvorsitzender von Freudenstadt in der SZ. Freudenstadt
gehört zu Eskens Wahlkreis. Gaiser kennt sich aus mit Pattex, er war selbst
40 Jahre als Kreisvorsitzender im Amt. Auch die Berliner
Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey – wie Esken eine standhaft sitzen
gebliebene Wahlverliererin – findet, man dürfe ihr kein Ministeramt geben.
## Esken sorgt für Reibung
Und auch im Parteivorstand gibt es Kritik an ihr, es könne doch nicht sein,
dass die eine nur gehe, wenn auch der andere gehe. Und das sei kein
Mann-Frau-Ding, es gehe um Leistung. Wahr ist: Klingbeil hat seinen
Wahlkreis in Niedersachsen zum wiederholten Mal direkt gewonnen, Esken
schnitt in Calw mit 12,9 Prozent noch unter dem baden-württembergischen
Zweitstimmenergebnis ab. Aber der Nordschwarzwald galt auch nie als
sozialdemokratisches Kernland.
„Es gibt keinen einzigen inhaltlichen Vorwurf gegen Saskia Esken“, schimpft
Maria Noichl, eine von zwei Vorsitzenden der einflussreichen SPD-Frauen.
Esken sei eine zielstrebige Frau, die stets klare Kante gegen rechts
gezeigt habe. „Es wäre einfach unfair, wenn man ihr die Schuld an diesem
Wahlkampf in die Schuhe schiebt.“ Noichl findet: „Wir brauchen Saskia Esken
in der ersten Reihe.“
Esken sorgt für Reibung. Für Politiker:innen ist das an sich normal;
wer Dinge verändern will, stößt auf Widerstand. Aber tut Esken sich und
ihrer Partei einen Gefallen, wenn sie weitermacht? Braucht die SPD eine
„Nervensäge“, um in der sich anbahnenden schwarz-roten Koalition erkennbar
zu sein? Und wie geht Esken als Mensch mit dem Dauerfeuer gegen sie um, das
sie mit stoischer, zuweilen leicht verkniffener Miene scheinbar erträgt? Am
vergangenen Montag, im Gespräch in ihrem Büro im siebten Stock des
Willy-Brandt-Hauses, weicht sie der Frage, ob ihr die Angriffe zusetzen,
aus: „Frauen werden in der Politik auch weiterhin anders beurteilt als
Männer.“
Kritik ist sie gewohnt, nicht erst, seitdem sie 2019 zur Parteivorsitzenden
gewählt wurde. „Die Saskia. Sie war ja nie unumstritten im Landesverband.
Sie hatte eben immer ihren eigenen Kopf und hat sich nie verstellt, um
jemandem zu gefallen“, sagt Karl-Ulrich Templ, Schatzmeister der SPD
Baden-Württemberg. „Sie war sehr, sehr aktiv im Kreisverband, hat sich
eingebracht und war sich nicht zu schade, mal eine untergeordnete Rolle zu
spielen.“
## Das Hochdeutsch-Problem
Untergeordnet – das klingt bescheiden. Andere sagen, Esken habe in der
Landespartei bis zu ihrer Kandidatur keine Rolle gespielt. Alle waren total
überrascht als sie für den Parteivorsitz kandidierte. „Ich habe das
zunächst für einen Witz gehalten, damals haben ja so viele im Scherz
gesagt, sie wollten kandidieren,“ erzählt Leni Breymaier. Die einstige
baden-württembergische Landesvorsitzende war mit Esken gerade hoch oben auf
einem Baumwipfelpfad unterwegs, als diese von ihrem Plan erzählte.
Breymaier stärkt der Freundin und schwäbischen Leidensgenossin („wir haben
ja beide dieses Hochdeutsch-Problem“) den Rücken. „Saskia ist einfach eine
total verlässliche Frau und sie wird total unterschätzt.“
Unter normalen Umständen hätte Esken keine Chance auf das Spitzenamt
gehabt. Obwohl ihre Biografie eigentlich eine wunderbare
sozialdemokratische Erzählung der zweiten Chancen ist. Als Jugendliche sang
sie zur Gitarre mit schwarz geschminkten Lippen Neil-Young-Songs in
Fußgängerzonen, kellnerte, trug Pakete aus. Sie begann als Erste in der
Familie ein Studium und brach es wieder ab, machte eine Ausbildung zur
Informatikerin, heiratete mit Anfang 30 ihren Teamleiter bei IBM, bekam
drei Kinder, gab ihren Beruf auf. Jungen Frauen würde sie heute nicht dazu
raten, nach zehn Jahren Pause sei man keine Softwareentwicklerin mehr.
Esken war Ende 20, als sie SPD-Mitglied wurde, mit 52 Jahren wurde sie
erstmals in den Bundestag gewählt, auf Platz 18 der Landesliste. Sechs
Jahre später wurde sie dann Parteivorsitzende. Normalerweise eine
Personalie, die im engen Führungskreis mit den
Ministerpräsident:innen ausbaldowert wird. Doch die SPD war auf der
Suche nach sich selbst und nach einem Neuanfang. Die erste Frau an der
SPD-Spitze, Andrea Nahles, war gerade faktisch gestürzt worden, die Partei
lag am Boden. Also versuchte man es mit einer Doppelspitze, gecastet von
der Basis. Gegen jede Wahrscheinlichkeit setzten sich der ehemalige
nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans und die kaum
bekannte Esken gegen den späteren Kanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz
durch.
Ein Quereinstieg, der von den klassischen SPD-Netzwerken nach wie vor
misstrauisch beäugt wird. Dass eine Frau es ohne nennenswerte Unterstützung
aus Fraktion und Landesverband an die Spitze der Partei geschafft hat, gilt
manchen bis heute als eine Art Betriebsunfall.
## Die Medien behandeln sie ungnädig
Esken ist nach dem Nahles-Trauma der SPD erst die zweite weibliche
Parteichefin und die erste, die von der Basis gewählt wurde. Das macht es
Kritikern schwer, zu offensiv ihren Rücktritt zu fordern. Zumal es keine
anderen starken Frauen in der SPD gibt, die dieses Amt gerade unbedingt
haben wollen. Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin in
Mecklenburg-Vorpommern? Will im kommenden Jahr die Landtagswahl gewinnen,
was gegen eine derzeit doppelt so starke AfD schwer genug werden wird. Anke
Rehlinger, Regierungschefin im Saarland? Kann dort ohne Koalitionspartner
frei agieren und sieht eine Doppelspitze mit gemischten Gefühlen. Bärbel
Bas, Ex-Bundestagspräsidentin? Hat sich bislang nicht geäußert.
So bleibt Esken auch mangels Alternativen Parteivorsitzende, zumindest
[2][bis zum Parteitag im Juni]. Selbst Kritiker bescheinigen ihr, dass es
ihr gelungen sei, die Groko-müden und tief zerstrittenen Sozialdemokraten
zu einen und Regierungskritiker wieder mit der Partei zu versöhnen. Der
Wahlsieg 2021 geht auch auf ihr Konto. Warum sind Esken und die SPD
trotzdem nicht so richtig miteinander warm geworden?
Es sei ihr nie gelungen, die Herzen der Partei in der Breite für sich zu
erwärmen, heißt es aus ihrem Umfeld. Esken kann schroff im Umgang sein,
auch Medien gegenüber. Im Gespräch in ihrem Büro kritisiert sie
Journalisten, die sie zu unbedachten Äußerungen verleitet hätten oder mit
ihren Fragen einen Keil in die Partei treiben wollten. Ab und an wirkt sie
wie eine Schildkröte, die sich weiter in den Panzer zurückzieht, je
eifriger man mit dem Salatblatt vor ihrer Nase wedelt. Vielleicht kein
Wunder – von den Medien wird sie oft ungnädiger behandelt als Klingbeil,
Überschriften reichen von „Frau aus Stahl“ bis „SPD-Nervensäge“.
Norbert Walter-Borjans sagt, er habe zwei Eskens kennengelernt. „Eine, die
in der Öffentlichkeit verstörend schroff und abweisend wirken kann, und auf
der anderen Seite eine verletzliche Frau, die gelernt hat, Demütigungen
wegzustecken.“ Was auch ihm auffällt: „Für Saskia Esken gelten Maßstäbe…
denen viele ihrer männlichen Kollegen grandios scheitern würden.“
## „Unser Kanzler“
Enttäuscht hat Esken aber auch jene, die auf die Parteilinke als
Parteivorsitzende gesetzt hatten, auf eine unorthodoxe Botschafterin ihrer
Forderungen. Auf dem Wahlparteitag 2019 versprach sie noch, wieder
sozialdemokratische Politik zu machen „Klare Kante! Klarer Kurs! Klare
Sprache“. „Wir werden viel Spaß mit ihr haben“ frohlockte damals Kevin
Kühnert, in der nach ihm benannten Dokuserie, der als Juso-Vorsitzender
tatkräftig die Strippen für die Wahl des Duos Walter-Borjans und Esken
gezogen hatte. Doch viel Begeisterung entfacht Esken heute auch bei den
Jusos nicht mehr.
„Wir waren in den letzten drei Jahren schon ein ziemlicher
Kanzler-Support-Verein“, sagt der jetzige Juso-Vorsitzende Philipp Türmer.
Diese Kritik richte er allerdings an die gesamte Führungsebene der SPD.
„Saskia Esken hat aber immer wieder ihre Stimme für Vermögens- und
Verteilungsgerechtigkeit erhoben und dabei stets den Kontakt gehalten.“
Auffällig war allerdings, wie sehr sich Esken bei jeder Gelegenheit vor
„unseren Kanzler“ warf und wie sehr sie ihn und die Regierung in jedes
Mikrofon verteidigte. Und dabei wollten ihr viele noch nicht mal zuhören.
Als die SPD Anfang des Jahres Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten wählte,
sagte Esken in der Abschlussrede: „Ich bin jeden Tag dankbar, dass wir mit
Olaf Scholz einen erfahrenen, besonnenen, einen in seinen Haltungen klar
gefestigten Sozialdemokraten im Amt haben.“ Der Umschmeichelte tippte
derweil in sein Handy, in den hinteren Reihen verließen Delegierte
scharenweise den Saal. Solche Szenen gibt es zuhauf. Im Bundestag kehrt
Scholz ihr nach der verlorenen Vertrauensfrage im Dezember den Rücken zu.
Zwar ruft er sie später an, entschuldigt sich, und auch sein Umfeld
bestätigt, dass er Esken wirklich schätze. Doch die Botschaft ist gesetzt:
Saskia Esken kann man ignorieren. Bei den Sondierungsgesprächen sitzt sie,
die nur auf dem rechten Ohr hört, links außen am Tisch, die vier Männer
sitzen sich gegenüber. Unionschef Friedrich Merz trifft wichtige Absprachen
in den Koalitionsverhandlungen mit Klingbeil.
## Im Südwesten wird Esken geschätzt
„Das ist nun mal so, in einer Welt der Alphamänner“, sagt Esken. Allein
körperlich seien Klingbeil, Merz und Söder auf Augenhöhe, weil alle gleich
groß. „Da muss man sich durchzusetzen wissen, aber ich sorge schon dafür,
dass ich gehört werde.“
Beobachter:innen sind sich einig, dass Esken keine klassische
Netzwerkerin ist. Während Klingbeil äußerlich weich wirkt, aber [3][als
knallharter Machtpolitiker gilt], ist Esken das Gegenteil: schroff nach
außen, aber intern um Herzlichkeit bemüht. Fühlt sie sich von der Partei
getragen? „Ja“, antwortet Esken knapp. Und sagt auf Nachfrage: „Im
persönlichen Umgang begegnet mir viel Zuspruch.“
Das Bild von ihr wird freundlicher, je weiter man von Berlin nach Südwesten
fährt. Sie könne gut zuhören, lasse andere Meinungen gelten, sei aber auch
durchsetzungsstark. Florian Kling ist SPD-Mitglied, amtiert aber als
parteiunabhängiger Oberbürgermeister von Calw, dem Wohnort von Saskia
Esken. Finanziell sei man Schlusslicht in Baden-Württemberg, sagt Kling,
doch 90 Prozent der Investitionen gebe man für Schulen und Kitas aus, das
sei im ländlichen Raum ein Standortvorteil. „Wir haben eine
hundertprozentige Kitaplatzabdeckung hier, wir sind beinahe so gut wie
Ostdeutschland.“ Ohne Esken wären während der Pandemie nicht alle Schulen
der Stadt binnen weniger Monate mit Tablets und Glasfaseranschluss versorgt
worden.
Als die Schulen 2020 im Eiltempo auf digitales Lernen umstellen mussten,
setzte die damalige Kanzlerin Angela Merkel lieber auf die Expertise der
einstigen Softwareentwicklerin Esken als auf die ihrer Parteifreundin Anja
Karliczek, der damaligen Bundesbildungsministerin. Merkel und Esken trafen
sich im Kanzleramt, machten mit den Ländern im Spätsommer einen 1,5
Milliarden schweren zweiten Digitalpakt klar.
„Ich bin sehr glücklich über ihren Einfluss im Bund“, sagt Kling. Überha…
habe der Bund in den letzten Jahren mehr für Bildungspolitik getan als das
Land: das Startchancen-Programm für benachteiligte Schulen, der
Digitalpakt, der Anspruch auf Ganztagsbetreuung – „und hinter allem stand
Saskia Esken“.
Genau wie Templ würde Kling sich freuen, wenn Esken Bildungsministerin
würde. Interesse an dem Job, der im föderalen Deutschland viel
Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Ländern erfordert, soll sie schon
2021 gehabt haben. Esken selbst sagt dazu nur: „Die Personalfragen klären
wir ganz am Ende der Koalitionsverhandlungen.“ Ob sie im Juni erneut als
Parteivorsitzende antreten wird, verrät sie nicht. Es gilt aber als
unwahrscheinlich, dass sie noch mal gewählt würde. In der Politik, sagt
Esken, wolle sie bleiben. „Einen anderen Beruf habe ich nicht vor zu
ergreifen.“
30 Mar 2025
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## AUTOREN
Anna Lehmann
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