| # taz.de -- Linke Stylekunde: Klassenfrage in drei Streifen | |
| > Unsere Kolumnistin grübelt über linke Begeisterung für Adidas. Und | |
| > darüber, wie sich ihr Sozialleben mit der ersten eigenen Markenhose | |
| > verändert hat. | |
| Bild: Eine Trainingsjacke für alle: Karl Marx beim Landesparteitag der Linken … | |
| Ich habe mich schon immer gefragt, warum die linke Szene so eine krasse | |
| Obsession mit Adidas hat. Egal wie sehr wir uns spalten, die Marke ist in | |
| jeder linken Gruppierung – von der Dyke*Organisierung bis hin zum | |
| Ü30-Antifa-Treff – beliebt. Dass wir eine Marke feiern, deren Gründer Adi | |
| Dassler [1][NSDAP-Mitglied war] und im Krieg Zwangsarbeiter*innen | |
| beschäftigte, ist zwar absurd, aber darum geht es hier heute nicht, sondern | |
| um die Suche danach, was genau Adidas jetzt mit links sein und Klasse zu | |
| tun hat. | |
| Ich war ein absolut unmodisches Kind. Meine Mutter brachte mir Kleidung von | |
| Kik und dem einzigen Second-Hand-Laden im Nachbardorf mit: T-Shirts mit | |
| fetzigen Sprüchen, neongelbe Schals, graue Sweatshirt-Jacken. Wir hatten | |
| kein Geld. | |
| Meine erste Adidas-Hose war ein Glücksgriff: Meine Mutter brachte aus | |
| besagtem Second-Hand-Laden eine schlichte Shorts mit – und ich war | |
| verliebt. Zu sagen, dadurch hätten sich die abwertenden Blicke der anderen | |
| in Luft aufgelöst, wäre zu viel gesagt. Dennoch habe ich das erste Mal in | |
| meinem Leben Komplimente für ein Kleidungsstück bekommen. | |
| ## Klassismus am Körper | |
| Dadurch kommt aber auch die Erkenntnis, dass man anders behandelt wird, | |
| [2][wenn man anders aussieht]. Und das ist brutal. Mir war es von dem einen | |
| auf den anderen Moment wichtig, was ich trug. All mein Taschengeld, über | |
| Monate zusammengespart, ging in Markenkleidung. Ich will zeigen, wer ich | |
| bin. Das tun alle, die die finanziellen Ressourcen dazu haben: Punks mit | |
| ihren Kutten ebenso wie FDPler mit ihren Tommy-Hilfiger-Steppjacken. | |
| Es gibt auch peinliche Ausrutscher – wie als die Luxusmarke Balenciaga | |
| kaputte Schuhe für mehrere hundert Euro auf den Markt gebracht hat: Poverty | |
| Cosplay. | |
| Wir trugen kaputte Kleidung aus Mangel an anderen Optionen, [3][nicht für | |
| Style]. Ich begehre auch, dass man mir eine Zugehörigkeit ansieht. Klasse | |
| und Sportlichkeit in einem Look: Aber dann eben auch nur in einem | |
| bestimmten Rahmen. So aussehen, als könnte ich jederzeit Liegestütze machen | |
| – aber trotzdem auch eins: sozial akzeptiert. Adidas ist Klasse. Aber | |
| welche eigentlich? Adidas ist eine funktionale Sportbekleidungsmarke der | |
| Arbeiter*innenklasse. | |
| In den 70er Jahren wurde sie besonders in der britischen Ultraszene populär | |
| und war somit Teil eines (männlichen) proletarischen Stils, der sich mit | |
| der antifaschistischen Szene überkreuzte. Das ist die einfache Geschichte, | |
| warum die Marke bis heute so präsent in linken Kreisen ist. Aber Adidas ist | |
| längst mehr als proletarische Ästhetik. Der männliche Habitus und damit | |
| auch der Kleidungsstil wurde später von den queeren Bewegungen reclaimed – | |
| als Symbol für den Widerstand gegen Geschlechternormen. | |
| ## Style für alle(s) | |
| Adidas ist zugänglich – man kann die Kleidung neu kaufen oder auf der | |
| Straße finden, weil sie ein über Jahre andauerndes Massenprodukt geworden | |
| ist. Teilweise ist sie noch Ausdruck von working class – oder eben das | |
| Accessoire einer Person, die working class stilisiert. | |
| Denn sind wir mal radikal ehrlich: Eins dieser Sprüche-T-Shirts, die mir | |
| meine Mama damals mitgebracht hat, würde ich wahrscheinlich heute nicht | |
| mehr tragen und das hat definitiv mit klassistischer Abwertung zu tun. Die | |
| Jogginghose hingegen [4][funktioniert überall]: In Leipzig ist sie modisch, | |
| in der Kunstszene Teil eines jeden Kleiderschranks. | |
| Adidas auf einer Benefizveranstaltung zu tragen, ist lange kein | |
| revolutionärer Akt mehr. Es ist ein Kleidungsstück, das problemlos in | |
| bürgerliche Kreise diffundiert ist. Man kann sich den Stil aneignen, ohne | |
| die realen Konsequenzen von Armut tragen zu müssen. Sie ist inzwischen eine | |
| von vielen Marken mit problematischer Vergangenheit (und Gegenwart), die | |
| Menschen aus den verschiedensten Subkulturen stilsicher tragen. | |
| 21 Mar 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /DFB-Teamquartier-mit-den-drei-Streifen/!5774647 | |
| [2] /Oekonomin-ueber-Schoenheit-im-Kapitalismus/!5990844 | |
| [3] https://www.youtube.com/watch?v=yuTMWgOduFM | |
| [4] https://www.vogue.de/artikel/jogginghose-trend-favoriten-2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Jona Rausch | |
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