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# taz.de -- Werbung an Hauswänden: Die Geister, die Adidas rief
> Immer öfter prangt auf Häusern Werbung. Eine Hausgemeinschaft im
> Hamburger Karoviertel stellt das vor ein Problem, denn sie darf
> mitbestimmen.
Bild: Das hätte man doch gern an der Wand, wenn es wie in dem Symbollbild hier…
Hamburg taz | Die gute Nachricht gleich mal vorneweg: Es gibt Vermieter,
die ihre Mieter*innen nicht bloß als graue Masse sehen, die jeden Monat
Geld überweisen und ansonsten bitte schweigen soll. Wir haben so einen.
Trotzdem – oder vielleicht eher gerade deswegen – hat er unsere
Hausgemeinschaft, die aus zehn Parteien besteht, von denen viele seit
vielen Jahren hier wohnen, kürzlich vor eine kaum einvernehmlich zu lösende
Aufgabe gestellt, die da lautet: Sind wir am Ende doch käuflich?
Es fing alles an mit einem 200 Quadratmeter großen Gemälde an der bis dahin
weißen und recht frisch gedämmten Hauswand in einem kleinen Quartier im
Stadtteil St. Pauli, das umschlossen ist von Messe, Heiligengeistfeld mit
Millerntorstadion, einem ehemaligen Schlachthof und dem Schanzenviertel.
Der Kiez ist nah, die Vorstadtruhe fern. Bis November 2002 war um die Ecke
der [1][Bauwagenplatz „Bambule“], der auch über die Stadtgrenzen hinaus
bekannt war.
Noch viel früher war es ein Arme-Leute-Viertel, heute nicht mehr. Heute
findet „Hamburg Tourismus“, dass das Karoviertel mit den großen
Einkaufsmeilen- und Zentren der Hansestadt mithalten könne, „aber trotzdem
immer anders ist!“ Also kommen samstags viele Tourist*innen, die in den
kleinen Läden unglaublich teure Aschenbecher aus den 70ern, Shirts mit
„Moingiorno“-Schriftzug oder Sneaker erstehen oder bloß angucken möchten.
Unser erstes Wandbild jedenfalls sah irgendwie dynamisch aus: so eine Art
kopfloses Wesen im Kleid, durch das ein Band fließt, das an aufgezwirbeltes
Geschenkband erinnert. Das Thema war „Unity“ und gestaltet wurde es von
Hamburger Künstler*innen. Über einen QR-Code konnten gegen Bezahlung 105
dieser Bilder runtergeladen werden, so wurde das Ganze refinanziert. Das
Motto der Aktion: „In der Gemeinschaft entstanden, für die Gemeinschaft
gemacht, durch die Gemeinschaft fortgeführt.“ Klingt schön. Unsere
Hausgemeinschaft wurde damals zwar nicht einbezogen, aber egal, gegen Kunst
an der Wand ist ja nichts zu sagen.
## Auf Werbung folgt Werbung
Doch dann wurde die Sache anders weitergeführt als gedacht: Eine
riesenhafte Adidas-Werbung prangte auf einmal an der Hauswand – inklusive
Sneaker-Fans mit Handys und Lust auf Selfies vor Adidas-Werbung, einem
Gerüst für die Sprayer*innen aus Polen, die dafür engagiert wurden und
später einem mit laufendem Motor vorm Haus stehenden Lastwagen samt
Minihebebühne für den einsamen Mann, der die Wand ganz alleine und nur mit
einem Pinsel wieder weiß streichen musste.
Auf Werbung folgte eine weitere Werbung. Das nervte nicht nur uns im Haus,
Werbebotschaften im öffentlichen Raum wirken sich ja auch das Stadtbild
aus. Und zwar möglicherweise negativ, das sieht jedenfalls die Initiative
„Hamburg werbefrei“ so und strebt ein Volksbegehren an, um Reklametafeln
per Gesetz zu reduzieren. Ende April starten sie die zweite
Unterschriftenaktion. Ein Mietshaus ist zwar keine öffentliche Fläche, aber
die Wirkung ist ja dieselbe.
Unsere Hausgemeinschaft intervenierte gegen neuerliche Werbung, keine Lust
auf Kommerz an der Wand, der Vermieter sagte der Vermittlungsagentur, die
hinter diesen Aufträgen steckt, ab, die Wand blieb weiß.
Vor Kurzem dann ging es dann auf einmal wieder von vorne los: Was wir denn
von Kunst (groß) plus Werbung (klein) halten? Auf Vermieterwunsch
diskutierte die Hausgemeinschaft das in ihrer internen Signal-Gruppe.
Mehrheitsbeschluss, wenn auch nicht einstimmig: Nö, immer noch keinen Bock
auf Werbung.
Und jetzt liegt ein neues Angebot auf dem Tisch, vielleicht ein
unmoralisches oder doch ein faires? Das gilt es herauszufinden. Das Angebot
geht so: Der Vermieter will uns was abgeben von dem Geld, das ihm die
Werbung einbringt. Heißt, jede Partei im Haus bekäme Geld, wenn wir doch
zustimmten.
Und nun? Dieses Angebot wirbelt die Debatte in der Haus-Gruppe wieder auf.
Ein bisschen Farbe sei doch schöner als die karge Wand. Wenn es nicht als
Werbung erkennbar ist, ist es doch egal. Auch gegen Bezahlung keinen Bock
auf Kommerz an der Wand. Lieber auf eine Beteiligung verzichten und im
Gegenzug hoffentlich keine Mieterhöhung kassieren. Das liebe Geld. Daran
schienen sich im Haus die Geister zu scheiden, die Adidas und unser netter
Vermieter riefen. Aber am Ende gibt es eine gute Nachricht: Die
Gemeinschaft hat sich mehrheitlich gegen Werbung auf der Wand entschieden.
2 Mar 2025
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## AUTOREN
Ilka Kreutzträger
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