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# taz.de -- Fassaden-Streit: Ist das noch Kunst – oder schon Aurich?
> Eine Optikerin lässt die Fassade ihres Hauses in Aurich bemalen. Das Bild
> stößt auf viel Zustimmung – aber die Verwaltung will es entfernen lassen.
Bild: Auricher Zankapfel: Elke Lenk vor ihrer umstrittenen Fassade.
Aurich taz | Sie hat sich was getraut: Die Auricher Unternehmerin Elke Lenk
hat die Fassade ihres Wohn- und Geschäftshauses mit einem surrealen
Graffiti-Gemälde bemalen lassen, etwas schrill, auf jeden Fall aber prall
und bunt. Sehr ostfriesisch mit Kuh, Blumen und Wiesen und zwei dürren
Ärmchen zu beiden Seiten, die das Firmenschild festhalten. Die Auricher
BürgerInnen sind hellauf begeistert, die Stadtverwaltung nicht: Das
Kunstwerk soll weg, und zwar bis Anfang Dezember.
In einer Nacht- und Nebelaktion turnte der Auricher Graffiti-Künstler Tim
Write, so sein Kampfname, an der Fassade des Hauses Burgstraße 45, mitten
in der Innenstadt, herum und zückte Spraydosen mit grünem, gelbem und
blauem Inhalt. Die Fußgängerzone führt durch die Auricher Altstadt mit
vielen historischen Häusern. An Werktagen ist es manchmal schwierig, deren
Schönheit zu erkennen vor lauter Markisen, Kleiderständern und
Werbeschildern.
„Ich habe mein Haus immer zu einem Gesamtkunstwerk machen wollen“, erzählt
die Eigentümerin von Burgstraße 45, Elke Lenk. Aber der Unternehmerin
fehlten Künstler und Motiv-Idee. „Bis ich Tom Write kennenlernte“: Der
versprach die Fassade umsonst zu bemalen, wenn er denn die Farbe gestellt
bekäme. „Das Ganze hat mich 200 Euro gekostet“, sagt Lenk.
Eine Erlaubnis für ihre Kunstaktion hat sie nicht eingeholt: „Ich war mir
nicht sicher, ob die Stadtverwaltung die Aktion erlauben würde und wollte
einfach mal Initiative zeigen.“ Daraufhin schlug die Verwaltung zu.
„Neben dem Haus von Frau Lenk steht eine denkmalgeschützte Villa. Das Bild
ist dominant und zerstört den Eindruck der historischen Umgebung“, meint
der zuständige Abteilungsleiter der Stadt Aurich, Kay-Michael Heinze. Zudem
habe er Angst vor Nachahmern. Es wäre verheerend für das Stadtbild, wenn
sich ein Hausbesitzer zum Beispiel eine Fassade mit Panzern bemalte, so
Heinze. „Ich kenne keinen Auricher Hausbesitzer, der das tun würde,“
kontert Lenk.
## „Grelle Farben“
„Wir hätten eine solch flächendeckende Bemalung mit diesen grellen Farben
nicht genehmigt“, sagt Heinze. Inzwischen habe man sich im Gespräch darauf
geeinigt, dass Lenk das Bild bis Anfang Dezember übermalen lässt. „So wie
es jetzt aussieht, muss das Bild weg“, sagt Heinze, aber so ganz sicher ist
er sich nicht. Ein weiteres Gespräch ist anberaumt. „Ich weiß ehrlich
gesagt noch nicht, was ich mache“, sagt Lenk vorsichtig. Eine Verfügung
oder juristische Aufforderung habe sie jedenfalls noch nicht bekommen.
Das könnte nach dem niedersächsischen Denkmalschutzgesetz aber geschehen,
erklärt Heinze. Aber er wolle den Fall nicht eskalieren lassen. Auch
Hauseigentümerin Lenk will kooperativ sein, hofft aber noch, dass das
Graffito wenigstens zeitweilig bleiben kann: „Ich hoffe, die Stadt erteilt
nachträglich eine Ausnahmegenehmigung.“ Ein Jahr könnte das Bild bleiben.
Lenk sagt, dass sie Zustimmung aus ganz Deutschland bekomme: „Das Bild ist
durch alle Medien in Deutschland gegangen. Das ist doch eine Top-Werbung
für die Stadt.“ Auch in Aurich selbst freue man sich über die Abwechslung.
„Es engagieren sich Fremde für das Bild und reden miteinander; in anderen
Städten sind solche Wandbilder Kult“, sagt Lenk. Die Auricher Punkband
Knallfrosch Elektro hat sogar Unterschriften dafür gesammelt. Nur einer
leiste beharrlich Widerstand: „Ein Auricher SPD-Stadtrat hat mich
kritisiert und fordert meine Bestrafung“, ist sich Lenk sicher.
## Nie endende Sanierung
Dass sich so viele AuricherInnen hinter die Unternehmerin stellen, hat eine
Geschichte. Seit über drei Jahrzehnten wird Aurich saniert. Viele sagen, es
werde zu Grunde saniert und so wurde jede Großbaustelle von harschem
Bürgerprotest begleitet. Und davon gibt es einige: die wuchtige
Konsum-Kaserne „Carolinenhof“, ein Kaufhausklotz mitten in der Innenstadt;
der überdimensionierte Marktplatz, den viele als leer und kalt empfinden;
die mittlerweile pleite gegangene Markthalle und schließlich das
umstrittenste Kunstwerk der Stadt, der surreale „Sous-Turm“, ein
Stahlobjekt des Bildhauers Albert Sous.
Zurzeit kämpft die Stadt mit einem Prestige-Bau von Enercon. Das ist einer
der größten Windanlagenhersteller der Welt und Aurichs größter Arbeitgeber.
Am Stadtrand hat das „Energie-Erlebnis-Zentrum“ initiiert. Dagegen hatte
sich im Vorfeld Widerstand geregt: viele AuricherInnen fanden den Bau zu
teuer, zu langweilig, zu groß. Auch Gutachter warnten, dass das abgelegene
Aurich die erhofften 600.000 Besucher pro Jahr nie erreichen werde. Nun
muss die Stadt das Defizit tragen. Kein Wunder, dass ihre BewohnerInnen die
bauliche und ästhetische Expertise der Stadt gering schätzen.
Aurichs Denkmalschützer haben durchblicken lassen, sie würden einen
zart-grauen, leicht beigen oder weißen Uni-Anstrich für das Lenkhaus
vorschlagen. „Das ist langweilig und sieht bald schäbig aus“, schimpft
Lenk. Vielleicht könne man das Bild kleiner machen und mit weniger grellen
Farben malen, schlägt Heinze vor.
## Kritisch beäugtes Jugendzentrum
Im Zuge der Fassadendiskussion sind auch die Graffiti an Aurichs legendärem
Jugendzentrum „Schlachthof“ in den Blick der Verwaltung geraten. Die gibt
es zwar schon Jahrzehnte, aber: „Wir werden mit den Jugendlichen sprechen“,
sagt Heinze, „was man da machen kann.“
Den Blick aufs historische Herzstück der Stadt, das Auricher Schloss,
verhindert übrigens ein hässlicher Gerichtsklotz aus den 1960er-Jahren. Mit
Graffiti dran! Es ist noch nicht geplant, das Gebäude abzureißen.
21 Nov 2017
## AUTOREN
Thomas Schumacher
## TAGS
Graffiti
Kunst im öffentlichen Raum
Bürokratie
Schwerpunkt Stadtland
USA
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