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# taz.de -- DFB-Teamquartier mit den drei Streifen: Gammbo Bahia
> Das DFB-Team sucht in Herzogenaurach die Harmonie von 2014, als es im
> Campo Bahia residierte. Aber die Adidas-Puma-Stadt ist ein anderes
> Kaliber.
Bild: Versteckter Luxus: Das Quartier des DFB-Teams in Herzogenaurach wird gut …
Herzogenaurach taz | Sie wird derzeit oft bemüht, die Parallele des
aktuellen EM-Quartiers der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in
Herzogenaurach zum WM-Quartier „Campo Bahia“ 2014 an der brasilianischen
Küste. Nun liegt Herzogenaurach nicht am Atlantik, sondern am kleinen
Flüsschen Aurach in Mittelfranken. Und gegrüßt wird hier nicht mit einem
verheißungsvoll klingenden „Bom dia!“, sondern schlicht mit „Servus“ o…
„Grüß Gott“.
Ansonsten aber wirkt der „Home Ground“, das neue, am Dienstag bezogene
EM-Quartier auf dem Firmengelände von Sportartikelhersteller Adidas,
tatsächlich ein wenig wie abgekupfert. „Es erinnert schon auch an das Campo
Bahia“, sagte Bundestrainer Joachim Löw.
Wieder schlafen die Mitglieder des Kaders in für vier Personen ausgelegten,
mondänen Bungalow-Einheiten aus Holz. Wieder wohnen sie naturnah in einer
kleinen Waldlandschaft, abgeschottet von der Öffentlichkeit. Trainiert wird
gleich nebenan auf dem firmeneigenen Adi-Dassler-Sportplatz. Hinzu kommt:
Zum Vorrunden-Spielort München sind es mit dem Bus knapp zwei Stunden,
mögliche K.o.-Runden-Spiele in Sevilla oder Bukarest sind vom nur 20
Minuten entfernten Flughafen Nürnberg gut zu erreichen. Perfekte
Bedingungen für die Nationalmannschaft und zugleich willkommene Werbung für
Adidas.
Etwas in den Hintergrund gerät bei diesem Bierhoff’schen Wohlfühl-Narrativ
oft, dass die Geschichte von Herzogenaurach und der beiden ansässigen
Unternehmen Adidas und Puma nicht nur eine Geschichte des Erfolgs ist,
sondern vor allem eine der Spaltung, die die Stadtgesellschaft
jahrzehntelang vergiftet hat – und dies teilweise bis heute tut. Der Geist
von Herzogenaurach: Er war lange Zeit ein böser.
Als die zwei jungen Brüder Adolf und Rudolf Dassler 1923 in der
mütterlichen Waschküche die Schuhfabrik „Gebrüder Dassler“ gründeten, w…
ihr Umsatz rasant. Auch oder gerade weil sie als NSDAP-Mitglieder [1][beste
Kontakte zu NS-Sportgrößen pflegten]. Als Rudolf zu Beginn des Kriegs
eingezogen wurde, verwaltete Adi die Fabrik weiter. Er beschäftigte
Zwangsarbeiter, produzierte Schuhwerk für die Wehrmacht und später sogar
Panzerabwehrwaffen.
## Verfeindete Zweiteilung
Als Rudolf nach Kriegsende aus US-Kriegsgefangenschaft zurückkehrte,
entbrannte ein unlösbarer Streit zwischen den Brüdern. Die Konsequenz:
Tüftler Adolf gründete 1948 Adidas, Verkaufstalent Rudolf Puma. „Seitdem“,
sagt Irene Lederer, Leiterin des Stadtmuseums in Herzogenaurach, „hat das
kleine Flüsschen Aurach die zwei Firmenstandorte und damit die gesamte
Stadt getrennt.“
Die Belegschaft wurde vor die Wahl gestellt: Entweder ihr arbeitet für
Rudolf oder Adolf. „Dadurch entstand diese klassische, teils verfeindete
Zweiteilung von Herzogenaurach,“ sagt Lederer. Von nun an habe
Herzogenaurach für lange Zeit als „Stadt des gesenkten Blickes“ gegolten.
Denn der erste Blick ging immer auf die Schuhe des Gegenübers. Gehört er
oder sie zur Adidas- oder zur Puma-Fraktion? [2][Die Spaltung reichte bis
in die Familien]. Und klar: ganz besonders in die Familie Dassler.
„Adidas war bei uns in der Familie immer NG und stand für ‚nie gehört‘�…
sagt Michael Dassler, Enkel von Puma-Gründer Rudolf und heute nicht nur
Betreiber einer Vinothek im Stadtzentrum, sondern zugleich als
FDP-Stadtratsmitglied auch dritter Bürgermeister von Herzogenaurach. „Ich
kannte niemanden aus dem anderen Familienzweig und die kannten mich auch
nicht. Und das war schon, ich will jetzt nicht sagen Hass, aber mehr als
eine gesunde Rivalität.“ Bis heute haben die Familien wenig bis gar nichts
miteinander zu tun.
Von der Spaltung kann auch Klaus Bauer berichten, der die Konflikte als
Jugendspieler des 1. FC Herzogenaurach hautnah miterlebt hat. Sein Verein,
deren zweiter Vorstand er heute ist, war der blaue Verein, der von Adidas
gesponsert wurde. Nur eine steile Treppe weiter unten lag der rote Verein,
der ASV Herzogenaurach. Sponsor war dort stets Puma. Schon bei Spielen der
Jugendmannschaften, erinnert sich Bauer, strömten bei Lokalderbys schon mal
1000 Zuschauende auf den Fußballplatz.
„Da waren die Stehplätze der Zuschauer genau definiert: Die Adidas-Fans
standen dort und die Puma-Leute dort.“ Während die jungen, konkurrierenden
Nachwuchskicker tagsüber gemeinsam zur Schule gingen, ging es auf den
Rängen hitzig zur Sache, sagt Bauer: „Teilweise hat man da sogar richtige
Hassreden gehört.“ Zwar betonen sowohl Bauer als auch Michael Dassler, dass
die alte Feindschaft heute so gut wie keine Rolle mehr spiele – auch weil
die Dassler-Erben ihre Anteile an beiden Unternehmen Anfang der 90er Jahre
verkauft haben. Doch ganz verschwunden, auch das beteuern beide, ist sie
noch nicht.
Joachim Löw und seine Mannschaft wohnen und trainieren während der
Europameisterschaft also in einer Stadt, deren konfliktreiche Geschichte
bis in die Gegenwart reicht. Dass der Geist des Campo Bahia in
Herzogenaurach reaktiviert werden kann, ist aber trotzdem gar nicht so
unrealistisch.
12 Jun 2021
## LINKS
[1] https://www.linksfraktion-ps.de/fileadmin/lcmssfpirmasens/user/upload/PE_Ka…
[2] https://www.youtube.com/watch?v=v5QAG53HQME
## AUTOREN
Mathias von Lieben
## TAGS
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